ishtar. 389 AF. 12 Jahre zuvor.

?Name. ? ?Ishtar Tsai?un.?
?Alter. ? ?30 galaktische Standardjahre.?
?Beruf.? ?Ausgebildeter RCCD-Soldat bei Ethertec.?
?Holen Sie ihn rein.?

Der schneeweiße Gang war hell ausgeleuchtet, die gesamte Decke des ungefähr zwanzig Meter langen Korridors war die Lampe selbst, unterteilt in perfekt quadratische Segmente. Ein steriler Schein ergoss sich somit von oben zu Boden und tauchte alles in ein künstlich wirkendes Licht ohne Schatten. Jede Wand und der gesamte Boden waren überall erhellt, und absolut glatt und poliert. Es war irgendein seltsames Material, irgendwas zwischen Kunststoff und Metall, auf dem der Klang der Schritte vom Boden selbst verschluckt wurde. Es war totenstill, bis auf Ishtar, der vor einer der wenigen Türen auf einem genauso weißen Stuhl saß. Er wartete.

Gestern war er noch im Lager gewesen. Es war eines dieser privatisierten Ausbildungscamps gewesen, ab vom Schuss und jenseits der großen Städte an der Küste des Kontinents. Er hatte dort mehrere Jahre seines Lebens verbracht - sonst war ihm nichts übrig geblieben. Um Soldat zu werden, brauchte man keinen hohen Schulabschluss. Seine Eltern hatten immer gesagt, dass Ishtar bestimmt irgendwann an die Universität gehen würde, doch irgendwie hatte er es geschafft, sich nachhaltig den Weg für eine sichere Zukunft zu verbauen. ?Sohn, was ist bloß aus dir geworden??, hatte sein Vater immer gesagt, und beschämt sein Gesicht in den Händen vergraben. Mutter hatte geweint, als er sein Abschlusszeugnis bekommen hatte. Ishtar hatte beide schon ewig nicht mehr gesehen, seit er in das Ethertec-Lager gegangen war, das vielleicht seine letzte Chance gewesen war, dort zählten keine Noten, keine Einschätzungen, sondern Kraft, Wille und Mut. Dinge, die Ishtar abliefern konnte, wenn es nötig war. Vielleicht war es deswegen dort geblieben und hatte nicht sich einen anderen Beruf gesucht. Alle anderen Möglichkeiten seines Lebens war irgendwie hinter einer Art Mauer versteckt, und ein schmaler Korridor war übrig geblieben, durch den er nun wie auf Schienen entlang lief. Am Ende wartete irgendwann in einigen Jahrzehnten die Auslese, mit der er in den militärischen Ruhestand gehen würde: Die Bedeutungslosigkeit.
Vor ein paar Tagen hatte er eine Tür gesehen, zu seiner Rechten, eine Abzweigung. Dahinter war es ziemlich schummrig gewesen, aber das Schild am Eingang versprach etwas, nach dem er sich schon immer sehnte - Erfolg. Er musste nur dort unterschreiben, und ein paar Tage später wurde er in die Räume hinter der Tür mitgenommen. Sie schlug daraufhin zu, und war für immer verschlossen. Es war dunkel.

Ishtar hatte ein mulmiges Gefühl, als er auf dem Gang saß. Vielleicht hätte er doch nicht unterschreiben sollen - sie hatten seinen Pass mitgenommen. Er hatte das Kleingedruckte des unvorstellbar umfangreichen Dokuments kaum gelesen. Ethertec hatte ihm versprochen, ?Teil der Zukunft? zu werden, was auch immer das bedeuten mag. Laut dem Herrn im Anzug, der ihn angeworben hatte, war dies eine Gelegenheit, die sonst niemand bekommen würde. Unter dem Deckmäntelchen der Geheimhaltung hatte er gesagt, dass er Ishtar nichts Genaueres über das ?Projekt? mitteilen könnte, ihm jedoch so etwas wie ?beruflichen Erfolg? versprochen. Im Nachhinein fühlte er sich etwas naiv, ohne großes Nachdenken den Vertrag unterschrieben zu haben, doch es war die einzige Möglichkeit gewesen, dem Militäralltag zu entkommen. Seit Kriegsausbruch vor ein paar Monaten war er nur damit beschäftigt gewesen, Einsätze anderer Truppen vorzubereiten. Er selbst jedoch - er blieb am Boden, während die anderen davonzogen und diese ?Menschen? bekämpften. Der Herr im Anzug, er war sein Ausweg aus der Bedeutungslosigkeit gewesen.

Die Tür neben Ishtar öffnete sich, und heraus trat ein farblich zur Umgebung passender, in einen weißen Kittel gekleideter Lar. Er war offensichtlich schon etwas älter, seine tiefbraune schuppige Haut warf vor allem im helleren Halsbereich tiefe, hängende Falten, und die Gegend rund um seine Augen war zerworfen wie Erde nach einem Beben. Er hatte seine Hände mit den Fingerspitzen dreiecksförmig zusammengedrückt, und seine Bewegungen waren absolut fließend, und es sah vielmehr aus, als würde er aus der Tür herausgleiten als einfach nur hinauszugehen. Sein Blick wanderte an die Seite der Tür und fand Ishtar, der dort wie ein Häufchen Elend auf dem Stuhl zusammengesunken war. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht.
?Sie müssen Ishtar sein. Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Doktor Krorin.?, sagte der Lar im Kittel freundlich, und seine Stimme klang wärmer und freundlicher, als sein Äußeres vermuten ließe. Er streckte die Hand zu Ishtar, der reflexartig aufstand, die Hand schüttelte und parallel dazu wie ein Soldat abnickte. Der Doktor grinste erneut, und man erkannte auch, wie er leicht nickte.
?Kommen Sie rein.?, meinte er daraufhin.

Der Raum hinter der Tür war genauso weiß wie der Korridor, jedoch mit einem weißen Schreibtisch mit einem riesigen Display eingerichtet. Dahinter war fast die gesamte Rückwand ein riesiges Display, über das Informationen huschten, Wetterberichte, Nachrichten, Datensätze, Karten, Videos aus dem Larnet?
Mit einer subtilen Geste mit den Fingern beim Eintreten von Dr. Krorin verschwand alles und wurde nach rechts aus dem Bild gedrückt. Es blieb nur ein Ethertec-Logo zurück, welches in der Mitte des Bildschirms in der Schwebe hing, es bewegte sich nichts mehr.
Dr. Krorin setzte sich auf den gepolsterten Stuhl hinter dem Schreibtisch, Ishtar hingegen auf einen kleineren auf der anderen Seite. Er bemerkte die kleine, dekorative Topfpflanze, das einzige Objekt, das auf dem Schreibtisch und sonst im ganzen Raum stand. Die Sterilität war einschüchternd.

Der Doktor tippte ein Passwort auf dem Display ein. Es war ewig lang, offensichtlich eine wilde Kombination aus Zahlen, Buchstaben und Sonderzeichen. ?Sie wissen, wofür Sie sich angemeldet haben??, fragte er währenddessen, den Blick nach unten auf die digitale Tastatur gerichtet.
?Äh? ja, Teil der Zukunft, das hat man mir gesagt, Sir??, stotterte Ishtar, während er seine Beine zusammenpresste und den Schwanz hinter sich zusammenrollte.
?Nennen Sie mich nicht Sir. Bitte.?, unterbrach ihn der Doktor.
Ishtar musste schlucken. Verdammt, wo war er hier hereingeraten? Es war sowas wie sein erstes richtiges Vorstellungsgespräch - und es gab kein Zurück.
?Ishtar, Sie wissen hoffentlich was Sie für ein Dokument unterschrieben haben.?, meinte Dr. Krorin und sah auf, während er seine Arme auf den Tisch auflegte und verschränkte. Dürre Finger, stumpfe Krallen. Chirurgenhände. ?Sie, mein Lieber, Sie sind jetzt jemand Besonderes. Ich hoffe, dass war Ihnen besonders wichtig. Nicht jeder hatte die Chance, Teil dieses Projekts zu werden.?
Er drückte auf eine Schaltfläche auf dem Display, und Ishtars Akte erhob sich als flacher holographischer Stapel in der Mitte des Tisches. ?Ihre Spezifikationen sind ausgezeichnet. Leider schätzt Sie niemand so recht in ihrer Division. Manche bezeichnen Sie als, Zitat ?Einzelgänger?, wenn man ihrer Akte glauben darf.? Er zog aus dem Stapel eine Seite hervor. ?Sie wissen, Ethertec glaubt an seine Soldaten.?
Ishtar nickte langsam. Der Doktor schüchterte ihn irgendwie ein, obwohl er eine gewisse Freundlichkeit ausstrahlte. ?Doktor, das Militär war vor ein paar Jahren meine einzige Chance. Ich habe alles getan, damit ich sie ausnutzen kann.?, erwiderte er.
Dr. Krorin grinste. Seine Reißzähne waren scharf und verdammt spitz. ?Das haben Sie. Das haben Sie.? Er steckte die Seite wieder in den Stapel. ?Wir bauen jetzt darauf auf. Mit einem einzigartigen Projekt.? Kein Zurück. Ishtar war nervös.
?Wenn wir uns verstehen - alles, was ich ab jetzt sage, ist absolut geheim. Sie sagen es niemanden, den sie sehen, der außerhalb dieser Einrichtung herumläuft. Wenn Sie das tun, hat Ethertec alles in der Hand, Sie aus dem Weg zu räumen. Diese Einrichtung ist ihr neuer Arbeitsplatz. Sie bekommen hier eine Wohnung, Versorgung, alles was Sie wollen, solang Sie sich an die Regeln halten. Nur so als kleiner Hinweis. Verstanden??
?Ja, Sir? ähm, Doktor.?, antwortete Ishtar ruckartig. Wo war er hier nur reingeraten??
Der Doktor nickte, und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, die Hände wieder vor sich zu einer Dreiecksform zusammengedrückt. Die persönliche Akte Ishtars verschwand Seite für Seite wieder im Display, dabei erhaschte er selbst einen kurzen Blick auf das, was darin lag: Larnet-Benutzerdaten, Tracking-Koordinaten, Schulnoten, Videos, seitenweise Textdokumente mit einem ?Top Secret?-Header?

?Ishtar, Sie haben gelernt, die RCCDs zu operieren, richtig??, fragte Dr. Krorin.
Was für eine Frage - so gut wie jeder Soldat lernte das, außer eine Handvoll Mechaniker, die die Anak am Boden unterstützen, als intelligentes Stützbein im Kanonenfutter-Insektenschwarm, der das ferngesteuerte Metall in Schuss hielt.
?Ja, Doktor. Eine Heidenarbeit. Die Drohnen sind unvorstellbar schwer zu bedienen. Wenn man in dieses Gestellt eingesteckt wird, das die Bewegung der Gliedmaßen abtastet? da braucht man Kraft, damit man darin flüssig laufen kann. Die Ausfälle der Übertragung nicht mit eingenommen.?, antwortete er selbstsicher. Jahrelang hatte er in diesen Fernsteuerungsapparaten für die Drohnen gesteckt. ?Die Anak halten die Maschinerie in Schuss. Wir können ja nicht selbst runter.?
Der Doktor nickte. ?Blutgerinnung, ja. Die Lar sind stark, aber verletzlich. Wir bluten schneller aus als alle anderen Rassen in dieser Galaxie. Die Drohnen sind bekannterweise eine sehr fehlerbehaftete Lösung für dieses Problem.?, erwiderte dieser ruhig. ?Die manuelle Bedienung ist daran schuld.?
Ishtar kannte das Gefühl, in diese Apparate eingespannt zu sein, während er sein robotisches Alter Ego in hunderten Kilometern Entfernung kontrollierte - das Gefühl der Beklemmung, Schwerfälligkeit, die sich anhäufenden Systemfehler. Und er war nur in einem manngroßen RCCD gewesen, wie musste es wohl den Mecha- oder Panzeroperatoren ergehen, die teils hausgroße Maschinen bedienten?

?Ishtar, wissen Sie, was ein Overflow ist??, fragte der Doktor weiter. ?Ich denke, dass sie es nicht so genau wissen.? Mehrere Bilder erschienen auf dem Tischdisplay, sie zeigten Lar, denen reihenweise Kabel aus dem Hinterkopf hingen, wie ein Haarzopf zusammengewickelt, oder einige, denen in festen Abständen kleine Kontakte in den Rücken eingelassen waren. ?Als man die RCCDs eingeführt hatte, wollte man zuerst die Drohnen über ein Neurointerface steuern. Das heißt, man greift zum Beispiel Bewegungen vom Motorkortex und Kleinhirn ab, um den Roboter zu steuern, oder sendet visuelle Daten vom Roboter in die Sehrinde.? Ein Bild von einem Largehirn erschien, dessen verschiedene Areale bunt eingefärbt waren, vom typischen Fortsatz an der Vorderseite, zuständig für den ausgeprägten Geruchssinn, bis zum stark gefalteten Kleinhirn an der Rückseite des Hirnstamms. Ishtar war etwas verwirrt, warum ihm der Doktor all diese Dinge zeigte.
?Sie sehen, heutzutage benutzt man immer noch mechanischen Input - das mit dem Neurointerface hat nicht funktioniert. Direkter Zugriff auf das Gehirn durch Technik führt zu fatalen Fehlern auf beiden Seiten. Dieses Phänomen nennen wir den Overflow.? Das Hirn teilte sich und ein Areal in der Mitte wurde markiert. Dr. Krorin wies mit seinem Finger auf die verdrehte Struktur und fuhr fort: ?Das ist der Thalamus. Er wirkt als ?Filter? für das Großhirn und lenkt gezielt Informationen in unser Bewusstsein. Alles, was wir fühlen und was unser Körper vollführt, läuft durch den Thalamus. Er verarbeitet jede ein- und ausgehende Information und leitet sie entsprechend weiter.?
Es erschienen weitere Bilder um den Hirnabschnitt. Ishtar konnte dem Doktor zwar folgen, doch er wusste nicht genau, wie er die Flut an wissenschaftlichen Informationen einordnen sollte. Die Bilder zeigten dieselben Lar wie auf den ersten Bildern, Kabel im Kopf und am Rücken, doch vor ihrem Mund stand Schaum, ihre Gliedmaßen waren seltsam verdreht, und ihre Augen verdreht, sodass die Pupillen fast komplett im Schädel verschwunden waren.
?Schließt man einen Lar über ein Neurointerface an eine der RCCDs, dann passiert das, was Sie auf diesen Bildern sehen. Der Thalamus filtert nicht mehr richtig die Informationen, die eintreffen, sowohl die aus dem Körper selbst als auch dem externen System. Das Gehirn überlastet sozusagen - zu viele Informationen. Epileptische Anfälle sind nur der Anfang. Der ganze Körper und das perfekt ausgelotete System der Homöostase kommen nachhaltig aus dem Gleichgewicht. Das ist ein Overflow.? Der Doktor machte eine kurze Pause, und fragte urplötzlich: ?Können Sie mir folgen??

?Äh?? Ishtar war sichtlich überrascht. Seit mehreren Minuten hatte er kein Wort mehr gesagt. ?Ja. Irgendwie. Sie kennen ja meine Noten? Biologie war nicht mein stärkstes Fach, wissen Sie??
Der Doktor lachte. ?Ishtar, hierzu braucht man keinen Doktortitel, um das zu verstehen. Ihr Hirn ist wie ein Eimer, und wenn man zu viel Wasser einfüllt, fließt er über. Und wenn es ganz schlecht kommt, fällt er um und dann hat man die Sauerei.? Was für eine Analogie. ?Die RCCDs arbeiten heute noch mit mechanischer Abtastung, weil Kontrolle über Neurointerfaces zu sofortiger Überlastung des Hirns des operierenden Soldaten führen.? Er öffnete die geschlossene Dreiecksform seiner Hände und wies mit beiden auf Ishtar, während sie noch in seinem Schoß lagen. ?Und hier kommen Sie ins Spiel.?

In Gedanken an die Bilder wurde dieser etwas panisch. Er rutschte leicht auf dem Stuhl umher, wie ein nervöses kleines Kind, das unbedingt auf die Toilette musste. Verdammt, er war bei irgendeinem irren Hirndoktor gelandet, der ihm sein Gehirn nachhaltig zerschießen würde.
?Äh, Doktor, ich glaube, dass??, setzte er an, doch der Doktor unterbrach ihn sofort:
?Ethertec hat ein System entwickelt, das einen Overflow verhindert. Und Sie werden es testen.?, meinte dieser fast schon triumphierend. Ishtar sank wieder in seinen Stuhl zurück. Ach du Scheiße.

Wieder erschien eine Grafik auf dem Bildschirm, und erhob sich ein paar Zentimeter über die Oberfläche. Die Silhouette eines Körpers, mehrere Punkte entlang der Wirbelsäule markiert, und Kabel führten bis ans Gehirn zu kleinen, rot pulsierenden Kontakten. ?Wir legen die Kontakte wie bisher an ihr Hirn an. Vier bis zum Thalamus, der Rest in die Großhirnrinde.? Irgendetwas umschloss den Körper, es sah aus wie eine groteske, kantige Version von Knochen, die entlang der Wirbelsäule und Gliedmaßen entlangführte, der Torso geschützt von schweren Metallplatten. ?Wir werden sie nicht direkt an einen RCCD anschließen - ein Exoskelett reicht vollkommen aus. Wir legen zusätzliche Computer-Leistung an, leistungsstarke Rechenkerne an ihrer Wirbelsäule, die die Informationen schon vor dem Eintreten ins Gehirn filtern, eine gewisse Arbeitsteilung - ? Doktor Krorin sprach dies euphorisch aus, wie in Ekstase. ? - wir bringen ihr Gehirn und ihren Körper auf die nächste Ebene, herrje. Perfekte Synchronität mit einer Maschine, eine Verschränkung von Gehirn und Technik. Sie lenken es, und es lenkt Sie. Es versteht Sie und reagiert mit Ihnen.? Er lehnte sich nach vorne, die Hände wieder in der Dreiecksform zusammengepresst, doch dieses Mal mit großer Kraft, sodass die Knöchel hervortraten. ?Höchstmögliche Harmonie! Und wenn das erst funktioniert, können sie auch eine entsprechende Drohne steuern, einfach so aus der Ferne - ihren Körper verlassen und in einen anderen in der Ferne schlüpfen, ohne die Angst zu haben, dass ihr Gehirn zu Brei wird.? Der Doktor vollführte eine triumphierende Geste. ?Die Revolution unseres Militärs. Das Roboterproblem wird gelöst - keine Fehler mehr. Keine Schwerfälligkeit. Eine perfekte Armee aus synthetischen Stellvertretern.?

Bei diesem Gedanken erschauderte Ishtar. Sie würden ihn aufschneiden, an seinem Gehirn arbeiten. Doch es gab kein Zurück - und ein Teil von ihm sagte, dass es seine einzige Chance bleiben würde. Er wäre der Erste. Jemand Besonderes. Vielleicht sogar jemand, der irgendwann einen Einsatz leiten würde, und in den feindlichen Linien Angst und Schrecken verbreiten würde. Stärker, schneller, tödlicher. No risk, no fun. Er würde Teil der Zukunft sein, wie es der Herr im Anzug ihm versprochen hatte.

Der Doktor grinste erneut. Er war etwas verrückt, aber vielleicht auch einfach nur überzeugt davon, dass alles funktionieren würde. ?Der Gedanke gefällt Ihnen, oder nicht? Ein Krieg zieht auf, Ishtar, und er ist nicht morgen vorbei. Mehrere Milliarden Menschen sind in dieser Galaxie wie aus dem Nichts aufgetaucht - gäbe es keinen besseren Zeitpunkt, die Zukunft der Kriegsführung einzuleiten??
Ishtar saß schweigend in seinem Stuhl. Mit seiner Unterschrift hatte er sich de facto endgültig an Ethertec verkauft, es gab keine Wahl. Er musste mitspielen.
?Da haben Sie Recht, Doc.?, antwortete er, wobei immer noch eine gewisse Angst in seiner Stimme mitschwang. Der Doktor lachte herzhaft, und streckte erneut die Hand über den Tisch zu Ishtar, worauf dieser sie griff und mit einem festen Händedruck umschloss.

?Willkommen beim Tech-Programm, Abteilung Coryphæus.?

ishtar. 389 AF. 12 Jahre zuvor. Eine Woche nach Aufnahme.
Off-Topic: Fukken backstory bro. TL;DR

Er hatte sich am Tag vor dem Eingriff mehrere Male übergeben.
Genau ins Waschbecken. Grünlich-gelbes Erbrochenes hatte sich in es ergossen, bisher exakt drei Mal über den Morgen verteilt. Sein Magen rebellierte gegen das Bevorstehende, eine Mischung aus Nervosität, Angst und den Pillen, die er täglich einnahm, ließen ihn rumoren und es fühlte sich so an, als würde sich sein Innerstes nach außen stülpen und umgekehrt. Es war ein seltsamer Anblick, wie er sich würgend über das Waschbecken lehnte, während die Welt um ihn herum in Schneeweiß getaucht war, von den Wänden über die Toilette bis zum Licht. Es tat in seinen Augen weh, er hatte seit seiner Aufnahme Kopfschmerzen vom grellen Licht, das die Korridore in der Einrichtung erfüllte.

Seit nunmehr einer Woche war Ishtar hier - gefangen in den weißen Korridoren. Nur selten hatte er Personen gesehen, manchmal kamen sie, um ihn irgendwelche Dinge zu fragen (?Haben Sie irgendwelche Beschwerden??) oder seine Werte zu checken. Seine größte Freude war es noch, wenn der Kerl mit dem Essen kam, einen metallenen Wagen vor sich herschiebend, auf dem sich immer eine reichhaltige Mahlzeit türmte. Doch auch er verschwand meistens schweigend wieder in der allgemeinen Sterilität der Gänge. Es war wie ein Gefängnis, in dem alle paar Stunden jemand nach dem Rechten sah und dann wieder ins Nichts verschwand. Der Korridor war letztlich klein, ein quadratischer Rundgang, in dessen Mitte das Büro von Dr. Krorin ruhte, umschlossen von als Lager und Labors bezeichneten Räumen, die jedoch allesamt mit schweren Metalltüren verschlossen waren. Am Anfang war er noch im Kreis gelaufen - doch überall bot sich derselbe Anblick. Weiß. Nur das Büro des Doktors hob sich etwas hervor, durch den kleinen Stuhl, der auf der linken Seite der Tür stand, und ein Stück weiter hinunter befand sich Ishtars ?Zelle?, wie es der Doktor genannt hatte. Sie war zwar stilvoll eingerichtet, mit einem überaus weichen Bett, einem bequemen Sofa und Esstisch in geschwungener Form. Doch gemäß der Einrichtungsordnung war auch hier alles Weiß, keine Dekorationen, einzig und allein ein gelber Bettläufer stach aus der Tristheit hervor. Selbst seine sieben Sachen, die sich auf der einen Seite des Sofas ansammelten, wirkten inmitten des grellen Weiß wie eine Art spitze Nadel, die sich in die Netzhaut bohren könnte, wenn man nur seinen Blick darüber schweifen ließ.
So lief Ishtar meistens umher, wenn er nicht in seiner ?Zelle? lag und sich mit dem stark gefilterten Larnet auseinander setzte, dass es in der Einrichtung gab. Er starrte meistens die leeren Gänge hinunter und wartete, ob vielleicht jemand um die Ecke laufen würde. Die Stille war gespenstisch, es wirkte fast schon paradox, wenn er sich seine Kopfhörer aus dem Militärcamp aufsetzte und die Musik den Gang erfüllte. Ruhe wurde zu dröhnenden Beats und kreischenden Synth-Leads, während er den kurzen Rundgang entlang lief.

Am vierten Tag widmete er sich den Schildern an den Türen - kleine, schwarze Strichcodes im Türrahmen, unter denen ein kaum lesbarer Text stand. Ishtar hatte sie zuerst gar nicht bemerkt, und er musste die Augen zusammenpetzen, um sie richtig lesen zu können, als er sie auf einem seiner zahllosen Rundgänge entdeckt hatte.
Zimmer. Labor. Labor. Lager. Labor. Dr. Krorin. Labor. ?Thalamus?.
Das letzte Zimmer stach klar hervor, und es war paradoxerweise die einzige Tür, die nicht an der Innenseite des Korridors gelegen war. Außerdem war die Schrift nicht schwarz, sondern gelb, genauso wie sein Bettläufer, den er schon vor zwei Tagen zusammengeknüllt in die Zimmerecke geworfen hatte. Thalamus, das hatte der Doktor erwähnt gehabt. Das Sortierzentrum des Gehirns. Die Tür sah auch ein klein wenig anders aus als die anderen, sie wirkte massiver und schwerer. Ishtar fuhr über die Oberfläche, und er spürte, wie seine Krallen über das Metall kratzten. Sein Blick fiel auf eine andere, winzige Tafel, die auf der anderen Seite des Türrahmens eingelassen war.
?Amygdala? in Rot und ?Cerebellum? in Blau, darunter ein Symbol, das wohl so etwas wie ?Durchlaufen? bedeuten sollte - ein Pfeil, der durch ein Quadrat verlief.
Ishtar war verwundert, vielmehr in der Hinsicht, dass der Doktor die Worte ?Amygdala? und ?Cerebellum? nicht in seiner ausführlichen Einführung genannt hatte. Irgendetwas war jenseits des Raumes, der wohl mit dem Projekt in Verbindung stand, von dem Ishtar ein Teil war.
Zurück in seinem Zimmer schnappte er sich sein Larnet-Tablet, und gab dort zuerst das Wort ?Amygdala? ein. Mandelkern - Angst, Gefahrenanalyse, Warnung, Wut. ?Cerebellum? - Kleinhirn, Motorik, Feinfühligkeit, Koordination.

Der Doktor kam später in sein Zimmer. Er hatte mehrere Akten in seinen Händen, darüber war eine Checkliste angeheftet. Ishtar schwieg, während er auf dem Bett saß, und sah dem Lar hinterher, wie er sich den Stuhl vom Esstisch nahm und sich darauf setzte, die Akten überfliegend.
?Was sind Amygdala und Cerebellum??, fragte Ishtar. Er wollte nicht, dass der Doktor das Gespräch beginnen würde, denn er hatte zu viele Fragen. Es war selbstverständlich, wenn man seit mehreren Tagen in einer Art Vakuum seine Zeit verbracht hatte - mit der Aussicht auf die Dinge, die der Doktor ihm erzählt hatte.
Der Doktor sah auf und setzte wieder dieses seltsame Grinsen auf.
?Sie haben es gesehen, nicht wahr?? Er kratzte sich mit einer seiner Hände an den Falten an seiner Kehle. ?Die Schilder. Ich muss zugeben, sie sind alles andere als exponiert. Sie werden hier nicht lange verweilen, Ishtar, das wissen Sie. Sie merken, diese Umgebung schlägt sich auf ihrer Seele nieder - das Weiß. Es ist stechend und überall. Wenn Sie es so sehen wollen, ist es ein Belastungstest für ihr Gehirn. Ein Wartezimmer, sozusagen.? Dr. Krorin klopfte mit seinem Handrücken auf die Akten, die er in seiner anderen Hand hielt. ?Testergebnisse. Ihr Hirn steckt es gut weg.?
?Sie haben meine Frage nicht beantwortet.?, unterbrach Ishtar den Doktor. Er verfinsterte bewusst etwas seinen Blick, um vielleicht etwas sein Gegenüber einschüchtern zu können, doch der Doktor musste nur noch mehr grinsen. Er legte die Akten beiseite und legte wieder seine Hände, als Dreieck zusammengepresst, in seinen Schoß.
?Amygdala und Cerebellum sind die anderen. Die zwei.?, sagte er schließlich. ?Sie sind nicht der Einzige hier.?
?Sind sie auch in so einem? weißen Wartezimmer??, hakte Ishtar nach. Er wollte mehr wissen.
?Selbstverständlich. Nur ist ihr Bettvorleger jeweils rot beziehungsweise blau. Ein kleiner Unterschied, wissen Sie. Sonst ist alles gleich. Den zwei geht es genauso wie Ihnen - sie laufen umher, schlagen ihre Zeit tot, Kopfschmerzen, Übelkeit, Stress. Wenn es sie interessiert, Cerebellum erscheint wie ein harter Kerl, aber diese Umgebung ist für ihn hochgradiger Stress.?
?Sie haben mir das erklärt? mit dem? Thalamus.?
?Jawohl.? Der Doktor grinste wieder. ?Sie wollen wissen, wozu die zwei im Stande sein werden, oder? Sie haben es gesucht - Angst und Wut, Koordination und Feinfühligkeit.? Er kratzte sich wieder an den Falten. Es schien eine Art Tic zu sein, wie er bei Zufriedenstellung dort seine Finger in den Wulsten vergrub, sie umherbewegte, sodass sich die schuppige Haut darum wickelte, darüber schob und auf dem Fleisch herumrutschte. ?Im Vergleich zu ihnen ist das eher symbolisch. Körperkontrolle? stellen Sie sich vor, jemand könnte allein mit der Kraft seines Willens Objekte bewegen, ja gar zerstören - auseinanderreißen, zermalmen, durch die Luft schleudern. Cerebellum wird dazu imstande sein.? Er war wieder in dieser Euphorie, in der er sich über die Errungenschaften der Wissenschaft ergötzte, während er weiterhin die Falten an seiner Kehle knetete. Kleine Schuppen lösten sich ab und fielen in seinen Schoß. ?Amygdala - sie wird die Angst in die Reihen unserer Gegner bringen, während sie die Zerstörung über sie bringt. Vor ihren Flammen werden sie zusammenzucken und sich verkriechen.? Es wirkte einstudiert, aber Ishtar glaubte, dass der Doktor verrückt genug war, diese Dinge sich spontan auszudenken, irgendwie klang alles so krank, dass es wahr sein konnte. Er legte wieder seine Hände in den Schoß, seine Kehle war wunder als zuvor.
?Sie werden sie kennenlernen, wenn es soweit ist. Nach dem ersten Eingriff, in drei Tagen.?, sagte Dr. Krorin schließlich.
?Nach? einer Woche wollen sie anfangen??, stotterte Ishtar panisch. ?Wollen Sie nicht noch ein wenig? ähm, warten? Ist es nicht noch zu früh für so einen Eingriff?? Verdammte Scheiße.
?Wir haben keine Zeit zu verlieren, Ishtar. Die Menschen rücken vor, und sollten wir erfolgreich sein wollen, müssen wir schnell handeln und dieses Projekt rigoros durchziehen. Tests, Tests, Tests - und dann Außeneinsätze. Der erste Schritt muss irgendwann getan werden.? Der Doktor senkte seinen Blick. ?Amygdala wird morgen das erste Mal operiert. Cerebellum hat schon den ersten Schritt hinter sich, die ersten Tests beginnen heute, sobald ich diesen Raum verlasse. Ishtar, Sie sind das Schlusslicht, wenn sie es so sehen wollen. Wollen Sie das für immer bleiben?? Er öffnete erneut die Akten, die neben sich lagen. ?In drei Tagen, morgens. Wir legen die ersten Kontakte und Leitungen, sodass wir die Bewegungen ihres linken Arms abgreifen können. Direkt an die Nerven in der Wirbelsäule, das Gehirn tasten wir erstmal nicht an. Wenn sie aufwachen, testen wir.? Dr. Krorin warf ihm die Akten in den Schoß. ?Lesen Sie es sich genau durch. Ich komme später wieder für einen Rundumcheck. Amygdala ruft mich.?
Und so war er wieder verschwunden in den Korridoren, während Ishtar schweigend die Akten in seiner Hand hielt. Die Tage zogen sich hin, doch alles ging viel zu schnell.

Er übergab er sich ein viertes Mal am letzten Tag in das Waschbecken, hypnotisiert von dem ihm umgebenden Weiß, während ihm immer wieder Erinnerungen an die letzten Tage durch den Kopf schossen - das Gespräch mit dem Doktor, die Sache mit Amygdala und Cerebellum, die Gefängnisatmosphäre? er fragte sich, wo er genau landen würde, wenn die OP vorbei wäre, doch dieser Gedanke wurde von einem erneuten Würgen unterbrochen, als sich auch der letzte Krümel seines Frühstücks aus seinem Körper verabschiedete. Verdammt. Das Selbstmitleid schlug wieder zu.

Der weiße Stuhl stand nun vor der ?anderen? Tür mit dem Thalamusschild. Hier sollte er warten, hatte ihm der Doktor gesagt. Sein Magen rumorte, nach einem undefinierbaren Rhythmus, während etwas hinter seiner Schädeldecke nach außen wollte und mit einer Art Schlagbohrer sich einen Weg nach außen bahnte. Er saß eine ganze Weile auf dem Stuhl, bis sich die Tür neben ihm dröhnend öffnete. Heraus trat eine eindeutig weibliche Lar, deren graziler Körper von einem dieser weißen Kittel verhüllt war. ?Ishtar Tsai?un.?, sagte sie, und lehnte sich leicht nach vorne.
Er murrte, während er sich die Hand vor den Kopf hielt. ?Hmmm-jaaa??
?Folgen Sie mir bitte.? Er rappelte sich auf, und trat durch die ominöse Tür in einen schmalen, schummrigen Gang. Die Frau vor ihm war nicht mehr als ein Schemen, der im Eilschritt voraus lief, und Ishtar hatte Mühe, ihr zu folgen.
Der Gang öffnete sich, und vor ihm lagen nun eine weitere verschlossene Tür auf der anderen Seite der Wand sowie eine Art Liege, auf die ein Spotlight von der Decke aus gerichtet war. Es sah aus wie in einem schlechten Horrorfilm - es fehlten nur noch Kettensägen und scharfe Messer. Doch der halbdunkle Raum war bis auf die Liege vor ihm leer.
?Bitte legen Sie sich hin, machen Sie es sich bequem.?, sagte die Lar, und stolzierte zu einem in einer dunklen Ecke versteckten Beistelltisch. Ishtar folgte ihrer Aufforderung, und ließ sich auf die Liege fallen. Das Spot über ihm war blendend hell, doch er war es nach der Woche in Weiß gewohnt. Der Schlagbohrer in seinem Kopf wurde wieder aktiver.
?Achtung. Es piekst gleich.? Irgendeine Infusion im Unterarm. Er starrte hinüber, und sah, wie eine Kanüle in seinem Fleisch verschwand. Mit einer Mullbinde umwickelte die Lar das Eintrittsloch, damit notfalls kein Blut verloren gehen würde. Verdammt. Wenn er daran dachte, dass Lar ausbluten können, wenn eine Kanüle rausrutschen und das keiner bemerken würde? Schlagbohrer. Sein Magen meldete sich auch wieder, obwohl er leer war.

?Bleiben Sie liegen. Es geht schnell.? Die Lar klebte ihm irgendwelche Pflaster auf den Unterarm.
?Ist es normal, dass ich meine Beine nicht mehr spüre???, fragte Ishtar, oder vielmehr, lallte er nach einer Weile.
?Bleiben Sie einfach ruhig.? Mehr Pflaster. Irgendwie wurden seine Gliedmaßen schlaff. Der Schlagbohrer meldete sich langsam ab. Es gab wohl nichts mehr zu durchbrechen.
?Ruhig bleiben.? Die Stimme hallte seltsam nach, bis sie in der Dunkelheit verschwand. Er spürte noch, wie er abrutschte, und dann fiel er in ein schwarzes Loch, eine Untiefe der Finsternis. Sein Körper war weg, gestohlen. Er hatte ihn weggegeben.
?So ist?s gut.?, hallte es dumpf in seinem Kopf nach. Irgendwas wurde in seinen Hals geschoben.
Das Letzte, was Ishtar fühlte, war das Ruckeln einer Bahre auf Rädern, die über einen Gang geschoben wurde, bis er vollends bewusstlos wurde.

Dann war es still, genauso wie auf den weißen Korridoren.

ishtar.

"Aufwachen." Jemand rüttelte ihn an seiner Schulter wach. "Ishtar, verdammt. Aufwachen."
Er öffnete seine Augen. Es war zuerst alles unscharf, und im Halbdunkel des Raumes sah er nur verschwommene Konturen, die sich erst langsam zu Formen und dann zu Personen sowie Objekten zusammensetzten. Illaq kniete vor ihm auf dem Boden, sein einer Arm ruhte auf seinem Oberschenkel. Er rückte sich sein Nachtsichtgerät auf seiner Stirn zurecht. "Es ist soweit.", sagte er.
Ishtar gab ein leises Grummeln von sich. Er hing mehr oder weniger zusammengesunken an der dem Fenster gegenüberliegenden Wand, seine Gliedmaßen lagen schlaff auf dem staubigen Boden. Nach der Ablöse in der Nacht war er sofort eingenickt, während er seine gesamte Ausrüstung noch am Körper getragen hatte. Sein Nacken tat weh - ein Muskel war wohl verspannt.

Mit einem schwachen Impuls, der sich durch Ishtars Muskeln ausbreitete, sprang das Exoskelett wieder an. System online. Ein leises Surren, als die Motoren in die Grundposition gebracht wurden.
Illaq hatte sich wieder zu Rasha und Ushtar gesellt, die beide aus dem Fenster in gebückter Haltung hinaussahen. Sie schienen auf etwas zu warten, so wie sie nur ihren Kopf knapp über die Sims erhoben, sodass man sie von außen nicht sehen konnte. Es war noch schummrig, doch ein sanfter oranger Schein zeigte sich in der Ferne am Kraterrand. Ein neuer Morgen.
Ishtar gesellte sich zu seiner Truppe. "Uhrzeit?", fragte er trocken, und holte eine kleine Feldflasche aus seiner Brusttasche hervor. Seine Kehle war ausgetrocknet, das Wasser tat gut. Sie hatten jedoch nicht viel dabei, irgendwann würden sie die Flaschen wieder auffüllen müssen.
Ushtar sah auf seine Armbanduhr, die er an seiner linken Hand trug. "6:29. In fünf Minuten kommen sie runter ins Südbecken und in die Stadt."
Illaq zog ein Fernglas hervor und spähte aus dem Fenster heraus. "In ein paar hundert Meter Entfernung brennt es." Er drehte an einem Rad an der Seite. "Ich beobachte den Kraterrand, sollte was sein, meld ich mich."
Rasha starrte weiterhin mit ihrem eiskalten Blick aus dem Fenster. Ihre Hand war an die Wand gepresst, und man konnte sehen, wie sie ihre Krallen kurz dort entlanggezogen hatte. Fünf feine, aber zerfaserte Linien im Putz, die zu ihren Fingerspitzen führten.

"Hat sich Tosh gemeldet?", hakte Ishtar nach, und steckte die Feldflasche wieder ein.
"Nur kurz. Er hat sich aber nicht nochmal gemeldet.", antwortete Ushtar. "Er hat gesagt, er gibt uns den Status durch, sobald wir uns bewegen sollen."
"Gut." Ishtars Exoskelett surrte leise, als er seinen Kopf kreisen ließ. Irgendein Muskel war so verspannt, das diese Bewegung in jede Richtung wehtat, dieses schmerzhafte Ziehen in einer Faser. "Ladet eure Waffen. Falls etwas passieren sollte." Er zog seine Maschinenpistole aus der Halterung an seinem Rücken, und steckte ein Magazin hinein. Die anderen folgten seiner Anweisung - Illaq musterte nun den Kraterrand durch sein Scharfschützengewehr. Es war still.

"6:33. T minus eine Minute.", sagte Ushtar leise. Er nahm sein Sturmgewehr etwas fester in die Hände, und presste es an seine Brust.
"Es geht los.", flüsterte Ishtar. "Nicht schießen. Selbst wenn ihr Menschen seht."
Rashas Schwanzspitze zuckte leicht. Es war vielleicht die erste Gefühlsregung, die er bei ihr sah - Aufregung. Ihr Blick war immer noch genauso kalt wie immer, doch ihre Augen funkelten leicht im Halbdunkel des Morgengrauens.
Ushtar zitterte. "Scheisse." Er wies mit seiner linken Hand vor sich, den rechten Zeigefinger immer noch in der Nähe des Abzugs. "Da vorne sind Menschen auf dem Dach."
"Scheiß drauf.", meinte Illaq. "Die können nichts ausrichten."

Ein leises Brummen begann, die Gegend zu erfüllen. Es wurde langsam, aber konstant lauter, intensiver, und man konnte die Vibrationen immer mehr spüren. Es war wie ein tiefer, rumorender Bass, der sich durch die Luft verbreitete.
"Sie kommen.", sagte Rasha. Was für eine Feststellung.
Das Brummen wurde lauter. Vom Inneren des Kraters aus konnte man das Südbecken nicht sehen - wahrscheinlich waren die Dropships schon dort gelandet, mit den Mechas, Panzern und Bodentruppen, die sich alle zuerst am Kraterrand platzieren würden. Es begann, immer mehr wie der Landeanflug eines Helikopters zu klingen, nur zehnmal so intensiv und durchdringend.
Der Lautsprecher in Ishtars Ohr knackte. "Bodentruppe, kommen."
"Wir sind hier, Tosh.", antwortete Ishtar. "Die Dropships sind im Anflug."
Tosh schmatzte, mal wieder - er musste wohl eine ordentliche Aufweckportion Shitan im Mund haben. "Ich weiß. Kommt nach Ankunft der Drohnen zum Treffpunkt, weiter hinten drin am Lar-Marktplatz, ich werde dort auch sein. Der Captain will euch sehen. Offensichtlich hat er mit uns einen sehr... besonderen Plan."
"Verstanden. Wir kommen. Ishtar Ende."

Das Brummen war nun lauter. Ishtar konnte nun auch die Menschen auf dem Dach sehen, sie starrten genau wie sie zum Kraterrand hinauf. Sie waren klein, winzig, und so... schwach. Es waren keine Soldaten oder Kämpfer, sondern eine Frau und ein Mann, gekleidet in Lumpen. Sie verschwanden plötzlich wieder in das Haus, auf dessen Dach sie gestanden hatten - sie wollten wohl nicht entdeckt werden.
"Sichtkontakt.", sagte Illaq, und zeigte geradeaus nach oben. Es war ein kleines Dropship, geformt wie ein Flugzeug mit mehreren Antrieben an den Flügeln, doch an dessen Unterseite ragten die charakteristischen Drohnenhalterungen heraus, in denen die RCCDs wie bei einer Achterbahn eingespannt waren. Zwanzig Stück pro Schiff. Alles ferngesteuert. Sollte das Schiff abgeschossen werden, würden allerhöchstens die Anak im Inneren draufgehen - doch die waren austauschbar, nur ein paar Nummern auf dem Papier.
Immer mehr Dropships zeichneten sich vor dem orangenen Schein am Kraterrand ab, und setzten zum Sinkflug auf den Südteil der Minensiedlung an. Wenn Tosh Recht hatte, würden sie alle hinten beim Lar-Markt abgesetzt werden, außer Reichweite der Vengeance-Bodentruppen.
Ein gleißender, länglicher Blitz zerriss urplötzlich das Halbdunkel, abgeschossen von der anderen Seite des Kraters. Harriet Jones und ihre Untertanen hatten sich auch bereitgemacht. Eines der Dropships wurde getroffen, und zerbarst in tausend Stücke, während die Überreste irgendwo im Krater abstürzten und zerschellten. Ishtar sah, wie sich noch einige winzige Anak aus den Flammen retten konnten, doch ihre filigranen Insektenkörper fielen schließlich wie Papierblätter zu Boden. Noch ein Schuss - und ein weiteres Schiff, das sich gerade vom Kraterrand getrennt hatte, explodierte, begleitet von einer markerschütternden Explosion.
"Sie schießen mit einer verfickten Railgun aus dem Nordbecken, diese Vengeance-Arschlöcher!", meckerte Illaq. "Scheiße!" Noch ein Dropship wurde erwischt, und krachte noch genau auf den Rand des Kraters, um dort in einem Feuerball zu explodieren.
"Guck durch dein scheiß Visier und sag uns, ob die Truppen unten angekommen sind!", keifte Ushtar ihn an. Rasha starrte weiterhin geradeaus, und ihr Blick erfasste jede Explosion eines der Schiffe. Ihr Mund war leicht geöffnet, fast so, als würde sie staunen.
Illaq sah wieder durch sein Visier. "Zwei, drei, vier Schiffe unten, mehr kommen noch... die Railgun kommt da nicht runter. Fünf, sechs... Sie werfen die Drohnen ab, ich sehe auch einen Mecha, zwei Mechas, die Anak kommen mit raus..." Tiefe, basslastige Schläge ertönten, als die zwei schweren Kampfmaschinen den Boden unter ihren Füßen trafen. Unförmige, massive Gebilde aus Metall, deren durch die Ferne winzig erscheinenden Silhouetten dennoch eindrucksvoll wirkten.

"Verdammte... Scheiße, sind das viele.", stammelte Ushtar.
Ishtar lud zur Sicherheit seine Waffe noch einmal durch. "Wir haben keine Zeit zu verlieren." Er ließ seinen Kopf und die Schultern noch einmal kreisen, begleitet vom Surren des Exoskeletts. "Los geht's - raus hier und zum Marktplatz. Wir bleiben zusammen." Illaq nickte ab, und klappte das Zweibein seines Scharfschützengewehrs ein, gleichsam Ushtar, der sich aufrappelte und sich den Staub von seiner Weste klopfte. Nur Rasha - sie starrte weiter auf die Schiffe, die Explosionen, und lauschte dem tiefen Bass der Zerstörung.
"Rasha, verdammt, los!", rief Ishtar, und rüttelte an ihrer Schulter. Ihr staunender Blick wurde wieder so ausdrucklos wie vorher, ihre weit geöffneten Augen nahmen wieder diesen leicht zusammengepetzten Ausdruck an.
"Äh...", stotterte sie dabei, und nickte reflexartig ab. Sie hatte sich wieder ihre Maske aufgesetzt, und lud ihre Armbrust durch. Fünf Bolzen, fünfmal der Tod. Sie richtete sich auf. "Bereit."

Die Railgun der Menschen hörte auf zu schießen, als der Strom der Dropships zum Erliegen gekommen war. Die Ethertec-Truppen waren fast alle unten in der Stadt und im Südbecken.
Am siebten Tag der Kämpfe in der Minensiedlung betraten die beiden Konzerne endgültig die Bühne des Geschehens.

arthur.

"Verdammte Scheiße! Sie kommen!"
Ein gläsernes Klirren erfüllte das Innere des Containers, als die Fensterscheiben zu wackeln anfingen, begleitet vom tiefen rumorenden Bass der Schiffe, die irgendwo in der Nähe landeten. Arthur hatte ruckartig die kratzende Decke von sich geworfen, als er die Stimme des Kommandanten gehört hatte. Er hatte mit Megan die Nacht in einem der Föderationscontainer verbracht und auf einer dünnen Stoffmatte geschlafen - mehr oder weniger.
"Mr. Harper - verdammt, holen Sie Ihre Kamera!", rief der Kommandant, der aus einem der Fenster starrte, und winkte Arthur mit seiner Hand herbei. Wenn man genau hinsah, konnte man ihn nervös zittern sehen, ein paar Sorgenfalten auf seiner Stirn. Arthur rückte seine Brille zurecht, während Megan die Kamera auf einen der klapprigen Tische wuchtete und die massive Speicherkarte wieder in das Gerät steckte. Eine der Kontrollleuchten flammte auf. Kamera aktiviert.
"Gehen Sie zur Seite.", forderte er den Hauptmann gezwungen freundlich auf, der schwerer atmete als eine normale Person. "Beruhigen Sie sich und trommeln sie ihre Truppen zusammen." Das waren vielleicht sechs Personen. Sechs Personen, die die Föderation hier repräsentierten. Der Kommandant nickte hektisch, seine Augen waren weit geöffnet, und er verschwand hinter der schweren, metallenen Eingangstür.

"Megan?"
"Kamera bereit. Raus hier.", antwortete sie reflexartig. Fast schon kalt.
"Verdammt, Megan..." Arthur musste energisch werden, und ergriff ihre Schultern, während er ihr versuchte, in die Augen zu sehen. Das Dröhnen der Schiffe erfüllte das Innere des Containers. "Es tut..."
"Wir haben einen Job zu erledigen, Arthur." Sie drückte sich an ihm vorbei und drückte sanft, aber mit einer eindeutigen Botschaft seine Hände weg, bevor sie sich die Kamera auf die Schultern warf. Arthur blieb kurz stehen, vielleicht weil er nicht in der Lage gewesen war, zu sagen was er sagen wollte, und ihm seine Worte ihm Halse stecken geblieben waren. Seine Hände waren leer. Verdammt.
"Arthur! Heilige... Scheiße!", brüllte Megan durch das dröhnende Lärmen, das immer stärker geworden war. Ihr Stimme wurde durch das Pulsieren der Antriebe verzerrt, obwohl sie nur ein paar Meter weiter vor der offen stehenden Metalltür draußen im Freien stand. Es war noch früher Morgen, der Himmel war in eine Mischung aus Dunkelblau und sanften Violetttönen gehüllt, während der Horizont jenseits der Sandwüste scheinbar in Flammen stand. Ein dichter Schwarm kleiner, aber wendiger Dropships ergoss sich aus den Wolken, einige hingen irgendwo über dem Südbecken jenseits des Kraters und bewegten sich gen Boden, beladen mit tödlicher Maschinerie. Mehrere scherten aus, und flogen in Richtung Krater, beladen mit Drohnen in achterbahnartigen Hängevorrichtungen und dem ein oder anderen, massiven Mecha, der um die zehn Meter groß war.
"Kamera drauf, Megan. Kamera!", rief Arthur.
"Mach ich, mach ich!", antwortete Megan, und hob die Kamera ein kleines Stück an, während sie am Objektiv mit ihrer anderen Hand drehte.
"Ranzoomen!"
Ein urplötzlicher Lichtblitz erhellte das Halbdunkel, begleitet von einer lauten Explosion in der Ferne.
"Rüber, rüber!" Arthur bog um die Ecke des Containers, und rannte durch den feinen roten Sand entlang der Containerwand, um einen Blick auf den Krater zu erhaschen. Ein weiter Lichtblitz, eine Explosion, das Zerschmettern von Metall. Megan rannte hinter ihm her, ihre schnellen Schritte hörten sich mehr wie ein sanftes Kratzen an.
In den Krater ergossen sich mehrere Dropships, die sich hinunter ins Larviertel absanken. Ein weiteres Mal zerfetzte der Lichtstrahl eines der Raumschiffe nahe des Kraterrands, welches in seine Einzelteile zerschmettert wurde und, in kleine brennende Schrotteile zerlegt, noch vor dem Rand selbst auftraf. Vengeance hatte seine Railgun angeworfen.
"Draufhalten, Megan!"
"Verdammt, Arthur, was denn sonst?", rief sie keck zurück. Ein weiterer Schuss. Und noch einer. Und noch einer. Es war ein Schauspiel, mit jedem dröhenden Schlag zerbarst eins der Dropships und brennende Trümmer schlugen im roten Wüstensand auf, während sie noch rot glühend durch den Staub rollten, bis sie zum Erliegen kamen.
"Arthur!", brüllte Megan laut. Er konnte seinen Blick nicht lösen. "ARTHUR! SIE KOMMEN!"

Ein Schiff war plötzlich über ihnen, von oben vom Himmel heruntergekommen. Es wirbelte den roten Staub der Wüste auf, und Arthur konnte die Drohnen an der Unterseite sehen. Sie sahen aus wie Lar, genauso mit den angewinkelten Beinen und dem langen Schwanz, jedoch aus Metall geformt, mit dicken Hydraulikkolben und künstlichen, schwarzen Muskelfasern, die ihre Gliedmaßen und in schwere Brustplatten gehüllten Körper umwickelten und bewegen konnten. Er konnte auch ihre berühmt-berüchtigen Keramikklauen sehen, die an den Enden ihrer Finger und echsenartigen Füße saßen, jeder so scharf wie ein Rasiermesser und mindestens genauso tödlich, wenn es sie richtige Körperstelle treffen würde. Ihr Kopf war geformt wie ein spitz zulaufende Box, der Form eines Echsenkopfs nachempfunden, dabei jedoch perfekt glatt, und nur eine rot leuchtende dünne Kerbe inmitten der Kopfseiten markierte die Position der Augen. Sie wirkten aggressiv, und doch so... kalt, technisiert, eindrucksvoll, wie ihre Körper in Metall und Polymere überführt worden waren.
Eine der Drohnen löste sich aus ihrer Halterung, fiel mehrere Meter und landete mit einem lauten Rumms auf dem staubigen Boden vor Arthur und Megan. Ihr Körper kompensierte den Aufprall, indem sie sich nach vorne lehnte, die Arme leicht seitlich angewinkelt und mit den Ellenbogen nach außen stehend. Arthur sah die Keramikklauen an den Fingern, und die langen künstlichen Muskelfasern, die jeden einzelnen Finger seperat steuern konnten.
Megan wich zurück, Arthur erhob die Hände. Er hatte keine Waffen. Nichts. Und er war ein Mensch, dem eine ferngesteuerte Tötungsmaschine gegenüberstand, die es auf seine Rasse abgesehen hatte. Die Drohne erhob ihren kantigen Kopf, und Arthur starrte genau in die rote Kerbe. Er sah die Kameras auf jeder Seite, drei Stück, hinter dem Glas in rotes Licht getaucht. Infrarot, sichtbares Licht, Ultraviolett. Stilisierte Augen, die alles sehen konnten.

Die Drohne erhob sich aus ihrer Hocke, und man konnte das Surren der Maschinen hören, die den Körper steuerten. Sie griff auf ihren Rücken und zog ein Gewehr hervor, dass über ein Kabel mit ihrer Batterie verbunden war. Eine Coilgun, die seinen Körper mit einem Schuss auseinanderreißen konnte. Verdammte Scheiße, dachte Arthur. Er klopfte auf seine schwere Verbundsbrustplatte, und zeigte auf das Wort "Press", das darauf geschrieben war, danach erhob er wieder seine Hände. Die Drohne setzte sich in Bewegung, erst mit einer unglaublich eleganten Bewegung ihres linken Beins, doch die Bewegung des rechten Beins wirkte ruckartig, fast schon unkontrolliert. Sie lauf ihn und Arthur zu. Das Dropship drehte ab und flog ein kleines Stück in Richtung Föderationsstützpunkt, dort setzte es weitere Drohnen ab, jedes Mal mit einem lauten Schlag, wenn Metall auf den Boden traf.
"Ich bin von der Presse.", stotterte Arthur, er starrte auf die Waffe, die die Lardrohne in ihren klauenbesetzten Händen hielt. "Presse." Er zeigte wieder auf seine Brustplatte. Schweiß stand auf seiner Stirn.
Die Drohne kam weiter auf ihn zu.
"Megan, mach die Kamera aus." Es klickte, als diese zittrig den Ausschaltknopf betätigte. Sie atmete schwer. "Sie ist meine Kollegin."
Die Maschine war nur noch ein paar Meter von ihnen entfernt, und er konnte die Kabel sehen, die sich um die Kolben und Polymerfasern wanden.
"Bitte. Bitte." Ein Schweißtropfen lief ihm genau ins linke Auge.
Die Drohne hielt vor ihm an. Exakt ein Meter entfernt. Ihr Blick richtete sich nach unten, die rote Kerbe auf Arthur gerichtet. Sie war über zwei Meter groß, fast wie jeder echte Lar.

Eine blecherne, verzerrte Stimme röchelte aus einem ihrer Lautsprecher: "Papiere."
Arthur sah hinauf. Verdammt, das Ding könnte ihn entweder zermatschen, auseinanderreißen, zerbomben, in Stücke zerteilen, in Streifchen zerschneiden... und es fragte nach seinem Ausweis. Er griff instinktiv und hastig in seine Hosentasche, und zog seine Ausweiskarte hervor. "Arthur... Harper." Zitternd hielt er der Drohne seinen Ausweis hin. Seine Finger waren zerbrechlich.
Die Drohne streckte ihre mechanische Hand aus. Wenige Zentimeter von Arthurs Fingern entfernt umschlossen ihre messerscharfen Klauen das Plastik des Ausweises. Er ließ ihn los, und das Ding senkte seinen Blick, um die Karte zu lesen. Arthur spürte, wie sein Herz ihm bis zum Hals schlug, und den pulsierenden Strom seines Bluts in seinen Adern.
Die Maschine sah auf, und steckte Arthurs Ausweis in eine ihrer Brusttaschen, die an ihren Brustplatten befestigt waren.

"Mitkommen."

ishtar.

Explizite Gewaltschilderung, Sprache.

"Was ist los?" Sie sah ihn an, ihren Kopf leicht zur Seite gelegt. Es war dieser neugierige, fast schon kindliche Blick, ihre Augen fixierten ihn.
"Nichts." Manchmal wollte er nicht reden. Über nichts. Über alles.
Sie petzte ihre Augen zusammen, und verschränkte ihre Hände in ihrem Schoß. "Irgendwas ist los. Ich seh es. Ganz... genau."
"Bitte." Er sagte es mehr als deutlich. Nicht jetzt.
"Was beschäftigt dich?" Sie war etwas herangerutscht, und das vorher straffe, gerade frisch gemachte Bettlaken zwischen ihnen warf Falten, als es zusammengequetscht wurde. "Ist es... er?"
Er schwieg, presste jedoch seine Lippen zusammen. Ihre Hand legte sich auf eines seiner Beine. Er spürte die Wärme, die von ihr ausging.
"Du weißt, was ich darüber denke, oder?" Sie zeigte mit ihrer anderen Hand auf ihre nackte, flache Brust. "Da ist nichts. Nichts. Außer wir zwei."
Er nickte leicht.
"Mach dir keine Sorgen." Sie rückte noch ein Stück näher, warf ihre Arme um seinen Hals und legte ihren Kopf auf seine Schulter. "Alles ist gut.", flüsterte sie leise.
Alles ist gut.

Es war wieder still geworden, als alle Schiffe gelandet waren. Die einen waren oben jenseits des Kraters im Becken gelandet, die anderen unten in der Nähe des Lar-Marktplatzes. Für eine Weile hatte man Schüsse gehört, auch nachdem die terranische Railgun verstummt war. Doch nach ein paar Minuten waren die Waffen wieder verstummt, und die Lar hatten sich an ihren Positionen eingenistet, vorerst außer Reichweite von Vengeance. So würde es aber nicht lange bleiben.

Eine Weile waren sie gesprintet, durch die engen Gassen, um vor dem endgültigen Sonnenaufgang am Markt zu sein, wenn das Licht den Schutz der Dunkelheit brechen würde. Vielleicht waren sie... fünf Minuten unterwegs gewesen, sie hatten den Staub mit ihren Füßen aufgewirbelt und waren irgendwann langsamer geworden, vorsichtiger. Sie hatten sich zwar dem Lar-Gebiet genähert, waren jedoch immer noch inmitten der Konfliktzone nahe der Innenstadt - somit mussten sie jederzeit damit rechnen, dass jetzt auch die Kämpfer der Menschen sich in Bewegung setzen würden.

Nach einigen Minuten waren sie auf einer breiteren Straße angelangt, über der Lumpen auf Wäscheleinen wehten. Der Staub hatte sich in ihnen verfangen, in den löchrigen Fetzen, die dort über der Straße hingen, eine Leine für jedes schmale Haus, welches sich mehrstöckig nach oben erstreckte. Von einer Straße konnte eigentlich keine Rede sein, der Asphalt war aufgeplatzt und versank an manchen Stellen im roten Sand, teilweise hatten sich auch hässliche Erhöhungen aus verdrehten Bruchstücke gebildet, die aussahen wie Eisschollen, die auf dem Sand trieben. Es ging drunter und drüber.
Ushtar hatte seinen Tracker rausgeholt. als sie eine kurze Pause in einer engen Sackgasse machten. Es war ein klobiges Teil, welches Ultraschallwellen aussendete, um sich bewegende Objekte in der Nähe anzuzeigen. Meistens hatte man gute Chancen, Bewegungsquellen in rund fünfzig Metern Entfernung zu finden, doch in den engen Gassen schwankte die Reichweite des Geräts teilweise so stark, dass Ushtar meinte, sie könnten stattdessen auch blind herumlaufen.
"Zeigt es was an?", fragte Illaq, der permanent sein Nachtsichtgerät heruntergeklappt hatte und sein schweres Scharfschützengewehr auf seinem Rücken eingerastet hatte.
Ushtar schnaufte. "Wenn etwas in der Nähe wäre, würde das Teil vibrieren." Er schwenkte es vor sich herum. "Nichts. Aber das Teil kommt nicht in die Gassen rein. Die könnten da vorne stehen... und bäm, uns umlegen wenn wir vorbeilaufen." Dabei machte er eine Pistolengeste mit seiner Hand, Zeigefinger und Daumen ausgestreckt. Wiederum schwenkte er das Gerät vor sich hin und her.
Ishtar war in der Hocke neben den beiden und lugte um die Ecke der Sackgasse herum auf die sandige Straße. Der schmale Streifen von rotem Sonnenlicht am Kraterrand war aktuell die einzige Lichtquelle, die teilweise die Lumpen auf den Wäscheleinen vom blauen Himmel abhob.
"Seid ruhig.", ermahnte er die zwei anderen, die sofort schwiegen. Rasha sagte sowieso nie etwas, sie stand etwas weiter hinten an der Wand und hielt ihre Feldflasche in ihrer Hand, zweimal hatte sie schon angesetzt, um etwas zu trinken. "Ushtar, gib den Tracker her."
Das klobige Gerät wanderte zu Ishtar, der seinen Arm ausstreckte und es auf die Straße hielt. Er schwenkte es kurz, und an einem Punkt vibrierte es kurz.
"Da ist was.", flüsterte er. Illaq zog wieder seine Waffe von seinem Rücken. "Ich weiß aber nicht, wo..." Ishtar schwenkte den Tracker erneut. Vibration. Und zwar stärker.
"Scheiße, scheiße..." Er konnte es nicht laut herausrufen. "Da vorne kommt was. Gasse vor uns rechts. Bereithalten." Die drei anderen rutschten etwas näher an die Ecke der Gasse, und hielten ihre Waffen an ihre Brust gepresst. Es war totenstill, man hörte nichts bis auf ein leises Atmen.

Drei Menschen traten in dreißig Metern Entfernung auf die Straße. Einer trug provisorisch eine Metallplatte als Brustpanzer über seine Kleidung, die er mit ein paar Gurten über seine Schultern und Taille fixiert hatte. Sein Gang war seltsam, fast schon pinguinartig, wie das massiv-schwere Metallteil seine Bewegung einschränkte. Nicht zu übersehen war jedoch die Vengeance-Waffe, die er in seiner Hand hielt, sowie der mit roter Farbe auf die Platte geschriebene krakelige Schriftzug "FUCK THE SPACE LIZARDS". Die zwei anderen Menschen trugen nur zwei zerfledderte kugelsichere Westen, trugen jedoch genauso eine der klobigen Vengeance-Gewehre, die wie aus eckigen Bauklötzen zusammengesetzt aussahen.
Rasha machte einen Schritt nach vorne, um weiter auf die Straße zu lugen, Ishtar hingegen drückte sie sanft zurück und legte seinen Zeigefinger auf seine Lippen. Leise sein.
Die Menschen sahen sich kurz um, der klobige Kerl mit der Brustplatte (die jeder Lar durch die Beschriftung als höchste Beleidung ansehen konnte) blieb stehen, während die zwei anderen die Umgebung mit erhobener Waffe musterten. "Frank, da drüben. Schau mal.", sagte einer der zwei. Er lief zur Seite der Straße, und Ishtar konnte nicht genau sehen, was dort war - die Ecke der Gasse war im Weg, und er konnte nicht hinausschauen. Der Brustplatten-Kerl grinste. "Arme Sau.", meinte er. "Holt das Vieh auf die Straße." Der zweite Mensch verschwand auch hinter der Gassenecke im toten Winkel. Illaq wies auf sein Gewehr, Ishtar schüttelte den Kopf. Leise bleiben. Jetzt dem schwer gepanzerten Menschen den Kopf wegzublasen, wäre keine gute Idee.
Die zwei Menschen kamen nach einer kurzen Zeit zurück. Sie schliffen etwas durch den Sand, gepackt an den Armen. Rashas Blick verfinsterte sich. Es war ein Lar, mehr oder weniger halbtot, eine Wunde klaffte an seinem Hals, aus der immer noch Blut herauslief. Seine Kleidung, bestehend aus schmutzigen Lumpen, war blutgetränkt und teilweise eingetrocknet, doch verdammt, irgendwie lebte er noch. Seine Brust hebte und senkte sich.
Unsanft wurde er gegen die Wand auf der anderen Straßenseite geworfen. Sein Blick war fiebrig, die Augen blutunterlaufen. Eigentlich war er tot, irgendwo jenseits des Lebens, abgehakt vom Tod persönlich. Schwerfällig bewegte sich sein Mund, und er stammelte irgendetwas, was über die dreißig Meter Entfernung verloren ging. Sein Kopf kreiste an der Wand entlang, und seine Zunge fiel ihm aus dem Mund. Er hatte keine Kraft mehr.
Der Mensch in der Brustplatte kniete sich vor ihn auf den Sandboden, während die zwei anderen Menschen sich hinter ihn stellten, die Waffe im Anschlag und auf den halbtoten Lar gerichtet. Er klopfte auf seine Platte, und sagte spöttisch: "Kannst du das lesen?" Der Lar antwortete nicht, sein zuckender Blick war jedoch auf den Menschen gerichtet. Der Mensch griff ihn unsanft am Kopf, drückte einen Finger genau in eines seiner Nasenlöcher und schüttelte ihn hin und her, schlug ihn mehrmals mit dem Kopf an die Wand. "Kannst. Du. Scheiß. Mistvieh. Das. Lesen.", rief er laut, jedes Wort mit Hass getränkt. Er ließ wieder los, Blut quoll aus dem Nasenloch des Lar. Er starrte wieder den Menschen in der Brustplatte an, und doch irgendwie durch ihn hindurch. Ein Schwall rotes Blut floss aus seiner Halswunde und wurde von seiner Kleidung aufgesogen, während ein Teil auf den roten Sand am Boden tropfte.
Der Mensch grinste. Er griff in seine Hosentasche und zog etwas hervor. Es blitzte auf. Ein Messer, gezackt. Er zeigte es dem halbtoten Lar, von allen Seiten. "Du bist Abschaum, genauso wie ihr alle - ihr verfickten Echsenviecher."

Ishtar konnte nicht wegsehen, genausowenig wie Rasha, die das Geschehen betrachtete. Ihr Blick war immer finsterer geworden, ihre Augen waren nur noch Schlitze, und ihre Hände krallten sich in die Mauer. Ushtar und Illaq saßen neben Ishtar, sie hatten sich abgewandt. Vielleicht konnten sie es nicht ertragen.
Der Mensch stach mehrmals zu, zuerst in die Brust, dann in den Hals. Vielleicht konnte man es als Erlösung sehen, andererseits auch als Verachtung, als Schändung, als Mord an einem Unschuldigen. Das Gesicht des Menschen verzog sich zu einer hasserfüllten Fratze, als er auf den Lar einstach. Ishtar sah endlich weg. Er konnte nichts tun, er hörte nur aus der Ferne, wie Metall durch Fleisch und Haut fuhr. Ein widerliches Schmatzen, begleitet von einem immer leiser werdenden, verzerrten Stöhnen und Jammern. Rasha sah weiter hin. Er konnte sie nicht zurückziehen, vielleicht... wollte sie es sehen. Ihr Blick war wieder starr, kein Muskel rührte sich.
Dann zog sie ruckartig ihre Armbrust hervor und schoß. Es ging so schnell, dass Ishtar nicht eingreifen konnte, er sprang auf, um sie zurückzuziehen, doch Rasha sprang auf die Straße und feuerte. Die drei Bolzen trafen ihre Ziele.
Ishtar sprang auf die Straße, um sie zurückzuziehen, doch er sah in seinem Augenwinkel, dass die Menschen umgefallen waren. Die zwei Ungepanzerten waren zusammengesunken, jeweils ein Bolzen steckte in ihrem Kopf, und der Brustplatten-Kerl war auf seinem Opfer zusammengesunken, mit einem Bolzen im Hals. Rasha rannte auf ihn zu. Verdammte Scheiße. Illaq und Ushtar sprangen auf, sichtlich verwirrt bezüglich Rashas plötzlichem Ausbruch, und stellten sich neben Ishtar auf die Straße.

Rasha hob den Menschen mit der Brustplatte an, auch er atmete noch, und sie setzte ihn neben den toten Lar an die Wand. Auch er blutete aus seiner Halswunde, fast genau an der selben Stelle wie sein wehrloses Opfer, das er gerade erstochen hatte. Sein Blick war auf Rasha gerichtet, doch er konnte nichts sagen. Sie riss den Bolzen aus seinem Hals, und starrte ihn mit einem wilden Blick an, ein Vulkan brodelte ihn ihr, der kurz vorm Ausbrechen war. Sie nahm das blutige Messer vom Boden auf, befleckt mit rotem Larblut, und zeigte es dem Menschen. "Na?!", schrie sie. "Gefällt dir das?!" Sie drückte ihm die flache Seite ins Gesicht, und das Blut blieb an seinem Gesicht kleben. Er stöhnte. Sie nahm es wieder weg, drehte es kurz in ihrer Hand, und zielte genau auf sein Herz. Der Mensch spuckte Blut.
Ishtar war ihr hinterhergerannt, genau in dem Moment als sie dem Menschen das Messer ins Gesicht gedrückt hatte, und riss sie von ihm weg, bevor sie zustoßen konnte. Beide fielen in den roten Sand, und Ishtar warf sich auf sie, mit all der Kraft aus seinem Exoskelett, und drückte sie zu Boden.
"WAS SOLL DAS?!!", schrie er, und schüttelte sie. Staub wurde aufgewirbelt. "WAS GLAUBST DU, WAS DU DA TUST?!" Rasha wand sich, konnte jedoch gegen seine Kraft nicht ankommen. Sie starrte ihn an, ein finsterer, durchbohrender Blick mit ihren Bernsteinaugen.
Ishtar schüttelte sie erneut durch. "Du gefährdest die verdammte Mission mit diesem sinnlosen. BULLSHIT! Du bist nicht besser als die Menschen, wenn du das selbe wie sie machst!" Er spuckte es aus, erfüllt von Wut. "Du suchst Rache?! Such sie dir verdammt nochmal woanders, aber nicht mitmir, und wenn schon, SAG ES UND VERSTECK DICH NICHT HINTER DEINER VERFICKTEN MASKERADE!" Er war lange nicht mehr so wütend gewesen. Rasha, die normalerweise absolut neutrale und eiskalte Person, war nur eine Illusion, wie ein Pappaufsteller vor jemand anderem. Er hatte es gewusst.
"Du bist wie sie...", flüsterte die Stimme in seinem Hinterkopf. Ein Pappaufsteller, hinter dem es kochte und brodelte.
Ishtar winkte Illaq und Ushtar herbei. "Verdammt, nehmt sie mit, gebt Gas, dass ihr zum Markt kommt, bevor hier noch irgendwer sonst anklopft. Ich erledig' das hier.", wies er die zwei an, während er Rasha immer noch zu Boden drückte. Die zwei nickten reflexartig ab - sie wollten wohl keinen Stress mit ihm haben. Ishtar ließ Rasha daraufhin los, die sich sofort aufrappelte und ihn mit ihrem Blick durchbohrte. Sie klopfte sich den Staub von ihrer Kleidung.
"Los, verdammt!", rief Ishtar, worauf Illaq und Ushtar mit ihr losrannten. Rasha war erst langsam losgelaufen, dann starrte sie jedoch immer wieder zurück, immer wieder über ihre Schulter, mit ihrem hasserfüllten Blick. Das würde noch ein Nachspiel haben.

Der Mensch lebte noch, röchelte jedoch weiter und spuckte Blut. Ishtar kniete sich vor ihn und nahm das blutige Messer auf, das Rasha fallen gelassen hatte.
"Tut mir Leid.", sagte er trocken auf Universal. Er hatte sich etwas beruhigt, und drehte das Messer in seiner Hand. "Sie hätte dich umgebracht, verdammt." Der Mensch hustete. Seine Wunde war übel.
Ishtar zeigte auf den toten Lar neben ihm. "Das... Das war nicht gut. Was hat er dir getan? Ist es dein Job, Unschuldige zu killen?" Sein Gegenüber röchelte erneut, aber sein Blick wurde finsterer. Mit letzter Kraft zeigte er auf den Schriftzug auf seiner Brustplatte. Fuck the space lizards.
Ishtar drehte das Messer ein letztes Mal in seiner Hand. "Ich bin hier der einzige, der beruflich hier ist, okay? Du... du kannst nicht einfach meine Artgenossen so aus Spaß umbringen. Einfach so." Er klopfte dem Menschen auf die Platte. "Wenn meine Kollegin dich auch so umgebracht hätte, mein Gott, das wär' echt unnötig gewesen. Wie gesagt, Berufliches. Mission und so. Aber du - nanana. Das geht nicht." Sein Finger fuhr über die Messerschneide. "Rache ist scheiße. Am besten macht man es..." Er musste weg, oder irgendwer würde ihn hier bemerken und umlegen, wenn er sich mit dem Menschen länger befassen würde. Ishtar dachte kurz an sein einziges Opfer im Föderationsposten, den er lange genug am Leben gehalten hatte, um es zu fühlen. Er fuhr seinen bereits angefangenen Satz fort.

"... schnell."
Mit diesem Wort stieß er mit dem Messer zu, so fest wie er konnte, genau in die Wunde von Rashas Bolzen.

"Alles ist gut.", flüsterte sie erneut, und ihre Umarmung war wie das Gefühl, an einem Lagerfeuer zu sitzen, und seinen Körper der Wärme hinzugeben.
Alles ist gut.

ishtar.

Sprache.


Er presste ihn an die Wand, unsanft und energisch. Seine Krallen durchbohrten den fein gewobenen Stoff.
?Ich hab?s gehört, ganz genau, ihr zwei, du warst bei ihr drüben, die ganze Nacht? verdammte Scheiße, es war so still.? Er spuckte ihn an, genau ins Gesicht, mit jedem Wort. ?Du hast sie mir ausgespannt. Du.? Sein Griff wurde fester. ?Sag es mir. Sag es.?
?Ich? ich weiß nicht was du meinst?? Er stotterte, und er fühlte, wie sein Gegenüber ungeduldig wurde. Sein Gesicht war wutverzerrt, nur wenige Zentimeter vor seinem eigenen, die rasiermesserscharfen Zähne gefletscht.
?Halt die Klappe. Sag es.? Er zeigte auf ihn, sein Finger zitterte. ?Sie und ich. Nicht du.?
?Verdammte Scheiße, lass? mich los.? Windend versuchte er sich, aus dem Griff zu befreien.
?NEIN!?, schrie der andere wutentbrannt, und hob ihn ein klein wenig vom Boden hoch. ?Wir sind hier noch eine ganze Weile zusammen, du Drecksstück, und wir werden irgendwie miteinander auskommen müssen.? Er ließ ihn los, und stieß ihn von sich weg in die Mitte des Raumes. ?Wenn du noch einmal mit ihr unter einer Bettdecke bist, dann schwör ich dir?? Seine Hand wurde zu einer Faust, die zitternd vor ihm in der Luft schwebte, genau vor seinem Gesicht.
?? ich zerquetsch dich wie eine Fliege, verdammt nochmal. Lass. Die. Finger. Von Rasha.?


Ishtars Exoskelett hatte ihn bis in die Nähe des Marktplatzes getragen. Er hatte währenddessen nichts im Kopf gehabt, keine Gedanken an den brutal erstochenen Lar an der Hauswand, an Rashas unvorstellbar dumme Aktion? er war einfach gelaufen. Das Messer hatte er im Hals des Menschen stecken lassen, und er war sofort losgerannt, durch die staubige Straße, während ein leichter Windzug durch sie gezogen war und die schmutzigen Lumpen in Wallung versetzt hatte. Es hatte ein klein wenig ausgesehen wie Wellen vor dem feuerroten Streifen des Sonnenaufgangs am Horizont, und er war unter ihnen durch gerannt, begleitet von einem maschinellen Surren und Stampfen, wie seine Füße sich jedes Mal in den roten Sand zwischen dem aufgeplatzten Beton bohrten.

Irgendwann wurde er langsamer, als er merkte, dass er immer mehr ins Larviertel gelangte, wie die uniformen Universalbuchstaben an den Werbetafeln und Straßennamen an den engen Gassen immer mehr zu Lar-Schriftzeichen wurden. Der Marktplatz war inmitten des südlichen Viertels, bastionsähnlich eingelassen in eine haushohe Betonmauer, an die sich von außen Wellblechhütten schmiegten, emporsteigend bis zur obersten Kante der Mauer. Es sah ein klein wenig aus wie eine alte Festung, wie diese Mauer sich erhob und nur wenige kleine bogenförmige Tore Einlass geboten. Ishtar erinnerte sich an die Bar, die er noch vor ein paar Tagen geschmissen hatte, sie war ein paar hundert Meter von hier entfernt, eine der breiteren Handelsstraßen hinunter. Er musste an Taeguk denken, diesen ständig betrunkenen Kerl mit den Brandwunden, der immer in der Bar rumgelungert hat und dem er die Schlüssel gegeben hatte. Wahrscheinlich ertränkte er immer noch seine durch den Krieg zerstörte Seele in massenweise Alkohol - oder er war tot, genauso wie die Kinder, die er dort immer in einem Hinterzimmer unterrichtet hatte. Auf der einen Seite war es Ishtar egal, er hatte mit allem abgehakt, was mit seiner aufgezwungenen Arbeitspause zu tun hatte? auf der anderen hingegen, nunja, machte er sich Sorgen. Es war ein seltsames Gefühl.

Schlussendlich gelangte Ishtar an eines der Eingangstore. Es war noch früh am Morgen, die Truppen waren erst vor kurzem eingetroffen, doch der bogenförmige Eingang in der Mauer war schon mit schweren Barrikaden versperrt, hinter denen die Drohnen standen. Ihre metallenen Klauen umschlossen ihre Waffen, ihre roten Schlitzaugen musterten die Umgebung und sie standen eisern vor dem Durchgang hinter ihrer Schutzwand, fast schon wie festgewachsen.
Ishtar näherte sich den Drohnen, die ruckartig zu ihm ansahen, mit einem leisen Surren drehten sich ihre kantigen Metallköpfe zu ihm. Dann nickten sie leicht ab, und machten einen leichten Schritt zur Seite. Er sah, wie sich ihre Keramikklauen in den roten Sand bohrten, wie sich schon in ihren Getrieben, Kolben und Muskelfasern der Staub abzusetzen begann.

Auf dem Marktplatz selbst herrschte ein reges Treiben. Zwischen gelandeten Dropships wuselten weitere Drohnen hin und her, sie trugen schwere Metallkisten und Waffen hin und her, Ishtar erhaschte auch den ein oder anderen Blick auf ein paar Anak, die sich auf der Rückseite von Drohnen sammelten und an ihnen rumschraubten, die Kabel rausrissen und wieder mit ihren langen, dürren Insektenbeinen hineinsteckten. Der Anblick war grotesk, wie sich auf dem Rücken eines normalgroßen Roboters drei übergroße Stechmücken sammelten, ihre dürren Gliedmaßen ineinander verdreht und auf der kleinen Fläche umherwuselnd. Ishtar hatte die Anak nie gemocht, aber sie blieben günstiges Kanonenfutter für den Konzern. Im Hintergrund konnte er einige Mechas sehen, die wirkten wie riesige aufgeblasene Lar: massive Gliedmaßen aus Stahl, schwerfällig, aber bis an die Zähne bewaffnet und sieben Meter hoch. Wenn man genau hinsah, konnte man zwischen den schweren Titanplatten und überdimensionalen Hydraulikkolben den winzigen Kopf sehen, durch den der Pilot im Orbit blickte.

Als Ishtar das letzte Mal auf dem Marktplatz gewesen war, um die letzte Ration Alkohol für die Bar zu besorgen, hatten hier noch kleine Verkaufsstände gestanden, und in den umliegenden Arkaden hatten die Garküchen der Lar hausiert, die für kleines Geld eine Handvoll gedünsteter Teigtaschen verkauft hatten. Jetzt türmten sich dort Container und Kisten mit Waffen, und statt normalen Leuten tummelten sich hier nun Kriegsroboter und grenzdebile Insektenviecher.
Er lief durch sie hindurch, ein großer Teil der Drohnen, die in sahen, nickten reflexartig in ihren ruckelnden mechanischen Bewegungen ab. Kein Wunder, er fiel auf als Wesen aus Fleisch und Blut zwischen Ansammlungen aus Metall, Staub und Kunststoff.

Er sah Toshs Carrier, ein kleiner, wendiger Carrier, dessen matte Lackierung pechschwarz war. Wer über die Oberfläche mit seiner Hand fuhr, würde sofort die raue lichtbrechende Beschichtung bemerken, die es jederzeit unsichtbar machen konnte. Der Besitzer stand davor, sich an eines der Seitentriebwerke anlehnend und kaute wie immer eines - Shitan. Er sah auf und grinste breit, braune Fasern steckten zwischen seinen Zähnen und hatten sich teilweise an der Basis angesammelt.
?Ishtar, altes Haus - ?, rief er, und breitete seine Arme aus, doch bevor er fortfahren konnte, ergriff dieser ihn am Kragen seiner Weste und rammte ihn mit aller Kraft gegen die matte Oberfläche des Carriers. Man hörte, wie die Scheiben des Flugzeugs in ihren Fassungen vibrierten. Es klang wie ein dumpfer und trotzdem scheppernder Aufprall, als hätte jemand gegen ein Stück Blech geschlagen.
?Was zum Teufel denkst du dir dabei?!?, schrie Ishtar Tosh an, der überrascht sein Shitan ausgespuckt hatte, teilweise hingen die von Speichel verklebten braunen Faser nun an seiner Unterlippe oder an seinem Kinn. Man konnte meinen, er hätte sich übergeben. Ishtar fuhr fort, und schüttelte Tosh an seinem Kragen von oben bis untendurch. ?Rasha, verdammt, sie gefährdet unsere Mission! Warum lässt du so jemanden mitkommen, der seine scheiß Gefühle nicht kontrollieren kann?!? Beim Nennen ihres Namens lief ihm ein Schauer den Rücken hinunter, fast genau entlang der Kontakte an seinem Rückenmark.

?Lass. Die. Finger. Von Rasha.?

Nicht dieselbe, nicht dieselbe, alles vorbei, dachte er sich. Alles ist gut. Wärme. Das Laken.
Tosh griff Ishtar an seinen Händen, und versuchte ihn wegzudrücken, doch er konnte gegen die Kraft des Exoskeletts nicht ankommen. ?Verdammt, Ishtar, ich weiß es nicht!? Einige Drohnen begannen, sie anzusehen, liefen jedoch schweigend vorbei. ?Sie sind erst vor kurzem angekommen, ich weiß nicht was - ? Tosh musste husten. Irgendwie war eine Shitanfaser in seinen Hals gelangt. Ishtar ließ los, stieß den hustenden tiefbraunen Lar jedoch noch einmal energisch zur Seite, woraufhin er nochmal auf das Metall des Carriers mit seinem Körper krachte.
?Wenn du ein scheiß Team zusammenstellst, dann solltest du vorher wissen, dass eine deiner Auserwählten ein verdammtes Aggressionsproblem hat.?, meinte Ishtar trocken, woraufhin er mit seinen Fingerknöcheln knackte.
Tosh sah auf, er hatte Tränen in den Augen, so stark hatte er gehustet. ?Ishtar, glaubst du ich würde dich bescheißen??, raunte er, seine Stimme fast zum Erliegen gekommen. Er spuckte auf den sandigen Boden. ?Rasha? sie ist die Beste, du hast?s gesehen, in dem Föderationsposten.?
?Das bringt uns nichts, wenn ihr eiskaltes Verhalten nur ?ne hohle Fassade ist. Da kann ihre Abschussquote noch so hoch sein.?
?Ist das bei dir anders??, spottete Tosh, und hustete erneut.
Ishtar antwortete nicht auf diese Provokation. ?Der Captain wollte uns sprechen. Solang wir nicht draufgegangen wären, weil jemand sich nicht unter Kontrolle hat, steht das Meeting noch, oder??
?Ja? er ist drüben in einer der Arkaden. Die drei anderen sind auch da.?
?Wie ich mich freue, sie zu sehen.?, meinte er und verzog sein Gesicht zu einem breiten, künstlichen Grinsen. ?Ich werd einiges zu sagen haben.?
?Geh rüber, halt die Klappe und mach deinen Job.?, meinte Tosh daraufhin, während er wieder in eine seiner Brusttaschen griff und eine Shitanpackung hervorzog, die er mit seiner Daumenkralle aufriss und sich auf einmal in den Mund warf. Beide schwiegen kurz.
?Du lernst?s nie, oder??, sagte Ishtar, und zeigte auf die leere Shitanpackung, die Tosh auf den sandigen Grund geworfen hatte. Loses Plastik im Wind.
Sein Gegenüber grinste, wieder mit der gewohnten Ladung im Mund, und meinte nur: ?Das Leben ist zu schön, um es nicht zu genießen, Ishtar.? Er sah auf und klopfte ihm auf die Schulter. ?Solltest du dir zu Herzen nehmen, Ishtar.?