Terra Nullius


Gewalt, Sprache, weitere evtl. anstößige Inhalte.

388 AF treffen die Lar auf die Menschen in den Weiten des Alls.
Neun Jahre später ist der Krieg vorüber - 397 AF: Die Menschen treten der Föderation bei. Doch das war nicht das Ende. Noch nicht.
Vier Jahre danach begann es wieder, in einer kleinen, namenlosen Siedlung auf einem staubigen Planeten, inmitten der neutralen Zone...

Sammy's Part.
ishtar.

In der Ferne brannte es.

Schwarzer Rauch stieg aus dem Wirrwarr der Häuser auf, zusammengesetzt aus provisorischen Metallcontainern, die man zu simplen Wohnräumen umfunktioniert hatte, sowie verfallenden graubraunen Betonklötzen, in die legebatterieartig winzige Räume eingelassen waren. Sie hatten Feuer gelegt, wahrscheinlich in irgendeinem Müllhaufen in einer der verwinkelten Straßen. Seit sechs Tagen bekämpften sich die Bürger beider Seiten.
Der Mob verschonte nichts. Manche hatten schon begonnen, aus dem Krater zu fliehen, hatten sich ihre letzten Habseligkeiten unter den Arm geklemmt und waren über die ausgetretenen Pfade am Kraterrand in die Wüste geflohen, in der Hoffnung, jenseits der Berge die nächste Siedlung zu erreichen. Andere hatten alles verkauft und sich dann überteuerte Tickets besorgt, mit denen sie per Shuttle vom Planeten gebracht werden konnten.

?Wann startet die Offensive?? Er stand an einer Mauer, lehnte sich leicht nach vorne. Unter ihm erstreckte sich ein undefinierbares Gewirr aus Stahl und Beton. Die Aussicht von hier oben, von diesem Hochhaus aus - sie war atemberaubend. Der schwarze Rauch schraubte sich in die Höhe, in den orangeroten Himmel, während die zwei strahlenden Sonnen des Doppelsternsystems aufgingen.
?Unser Militär ist bereit. Es hat sich im Orbit um den Planeten platziert, die Dropships sind beladen, wir haben jeden Typus an Waffen dabei, den wir hier einsetzen könnten?? Man konnte ein leises Rascheln hören. ?Und sie sind ja auch hier.?
Er drückte seine Zigarette auf der Mauer aus. ?Ist mein? Team startklar??, fragte er, während er den verbogenen Stummel betrachtete. Asche. Sie hatten das Mädchen verbrannt, nachdem man die aufgehängte Leiche am Laternenpfahl entdeckt hatte. Der Mord war der offensichtlichste Racheakt gewesen, den die Menschen hätten durchführen können.
?Ein vierköpfiges Squad ist schon auf dem Weg. Ein Transporter wird sie zu Ihnen bringen.?, ertönte es aus dem Lautsprecher, der in seinem Ohr saß. ?Ab da wissen Sie ja, was Sie tun müssen. Ihr Auftrag steht. Wie abgemacht.?

Er drehte sich um, nachdem er den Zigarettenstummel vom Dach geworfen hatte. Sein Wohncontainer stand alleine hier oben, zwischen Antennen und Lüftungsanlagen auf einem Hochhausdach am Rande der Stadt. Hier hatte er Jahre gelebt, nur um auf diesen Tag und die, die noch kommen mögen, zu warten. Seine Vergangenheit hinter sich gelassen. Den Schmerz und alles, was dazugehört hatte. Immer wieder wand sich ihr zerfallender Körper vor seinem inneren Auge, und ihre schmerzerfüllten Schreie durchbrachen die Stille, die in seinem durchtrainierten Geist herrschte. Er hatte nichts verlernt. Sie hatten es ihm zu sehr in seine Erinnerungen eingebrannt.
?Vengeance weiß, dass wir kommen werden. Sie stehen auf der anderen Seite des Planeten, und sie sind genauso bereit wie wir, wenn wir unser Equipment auffahren werden. Wir dürfen diese Stadt nicht in ihre Hände fallen lassen.?, sagte die Stimme am anderen Ende. ?Die Ressourcen unter der Erde und die potenzielle strategische Position sind unverzeihlich für unsere Pläne. Dieser Konflikt ist die Chance unseres Unternehmens und der Lar. Die Menschen können sich uns nicht auf alle Ewigkeit widersetzen.?
Sein Container war schlicht und heruntergekommen, mit einer versifften Kücheneinheit, einem durchgesessenen und abgenutzten braunen Sofa sowie einem knarzenden Bett, dessen Bezug schon bessere Tage gesehen hatte. Schmutzige Grau- und Brauntöne prägten das Bild dieser Stadt, sowohl außerhalb als innerhalb. Sein Zuhause.
Er setzte sich auf das schmutzige Sofa, und lehnte sich mit seinem Armen auf die Knie, den Kopf zwischen die Beine hängend. Er sah den Boden an. Dreckiges, mattes und verkratztes Metall, bedeckt mit einer dünnen Schicht aus rotem, feinkörnigem Staub.

?Der Tod dieses Menschenjungen? es war Zufall. Nicht unsere Schuld. Doch er spielt uns in die Karten. Und der hirnlose Racheakt der Menschen noch viel mehr. Das Opfer, das dieses junge Lar-Mädchen gebracht hat, ist es wert. Ihr Tod ist unsere Legitimierung. Die Regierung steht an unserer Seite.? Die Stimme schwieg kurz. ?Erinnern sie sich an das, was Rasha immer gemeint hat??
Er sah auf. ?Eine mächtige Flamme entsteht aus einem winzigen Funken. Das hat sie immer wieder zu mir gesagt.?, sagte Ishtar. Es war Zeit, aufzuwachen. Sein Schlaf war vorbei.

arthur.

Der Truck ratterte über die holprige Straße, oder eher gesagt, einem ausgetretenen Pfad inmitten einer endlosen Sandwüste. In der Ferne sah man die Bergkette, hinter denen mehr Minensiedlungen lagen, doch diese waren für ihn uninteressant. Sie waren aktuell politisch stabil und zu weit entfernt - er schätzte die Distanz auf rund 90 Kilometer. Dazwischen lag nur Ödland. Aus der Ferne sah er schon Leute, die sich auf den Weg dorthin machten. Spärlich verteilt sah er schwarze Schemen in der wabernden Luft, die in gerader Linie auf die Berge zuliefen, hinter denen gerade die beiden Sonnen des Doppelsternsystems aufgingen.
?Tag sechs??, murmelte Arthur, während er seinen Notizblock aus seinen Taschen herauskramte und in gewohnt krakeliger Handschrift diese Worte niederschrieb. ?Unterstreichen.? Er sah aus dem Fenster. ?Megan, halt mal die Kamera bitte auf die Berge. Das gibt gutes Material.?

Seine Kamerafrau lehnte sich an ihm vorbei. Die ganze Schutzausrüstung, bestehend aus Metallplatten, Helmen und Beinschienen machte das Ganze nicht einfacher. Sie waren aber schließlich in einem Gebiet am Rande des Bürgerkriegs. Niemandsland am Rande des Bürgerkriegs, um genau zu sein. Zwei aufeinanderfolgende Morde hatten ausgereicht, um explosivartig den wildgewordenen Mob auf den Plan zu rufen, der nun in einer Minensiedlung in dem nahegelegenen Krater wütete. Und die schon jetzt riskante Situation drohte sich weiter zuzuspitzen. Ein Flächenbrand in der neutralen Zone war in Aussicht - etwas, was die Föderation lange versucht hatte, zu verhindern.
?Habe ich richtig verstanden? im Orbit dieses Planeten befinden sich nun auch noch die privaten Flotten von Ethertec und Vengeance??, fragte Megan den Fahrer, während sie die Kamera wieder zu sich nahm und Arthur freies Blickfeld hatte.
?Sie sind heute angekommen. Wie befürchtet, werden wohl die beiden Konzerne mit ihren Privatarmeen intervenieren.?, sagte der Fahrer. Er trug wie die beiden Journalisten, die auf seiner Rückbank saßen, einen blauen Helm - ein Föderationssoldat. ?Schon bei den Krawallen in der Siedlung konnten wir als Föderation nicht viel machen. Die Stimmung ist explosiv und wir machtlos.? Megan filmte die vorbeiziehende, staubig-flache Landschaft, während Arthur in schnellen Bewegungen die Worte des Fahrers niederschrieb. ?Wenn die zwei Giganten jetzt kommen? dann sollten wir besser verschwinden. Sie werden hier nichts zurücklassen außer verbrannter Erde, aus der dann der Sieger die Ressourcen ausgraben wird.?, meinte der Mann am Lenkrad schließlich resigniert.

Arthur sah nach draußen. In rund einem Kilometer Entfernung sah er den wulstigen Rand des Kraters, aus dem mehrere schwarze Rauchsäulen aufstiegen. Was dort unten passierte, konnte er nur vermuten. Sein Job war es aber, das herauszufinden. Sie passierten eine Gruppe von Personen, wohl mehrere menschliche Familien. Kleine Kinder waren darunter, aber auch alte und gebrechliche Leute. Ihre Gesichter waren zerknittert, ausgedörrt, die Haare zerzaust, und sie waren beladen mit all ihren Habseligkeiten, die sie tragen konnten. 90 Kilometer bis zur nächsten Siedlung. Luftlinie. Gnadenlose Berge dazwischen.
Megan filmte die Gruppe, als sie vorbeirasten, und die Menge im aufgewirbelten roten Staub verschwand. ?Wohin bringen Sie uns, wenn ich fragen darf??, fragte Arthur den Fahrer. Er umklammerte das Lenkrad, während sie am Kraterrand entlangfuhren. ?Ich bringe Sie beide zu einem unserer Stützpunkte. Da vorne, sehen Sie? Die kleine blaue Fahne. Am Rand des Kraters. Wir haben ein kleines Flüchtlingslager errichtet, und von dort aus können Sie auch in den Krater hineinschauen.? Er blickte nach hinten, der blaue Helm auf seinem Kopf rutschte leicht zur Seite. ?Sie sind Journalisten. Und nicht gerade irgendwelche? kleinen Fische. Die Welt soll sehen, was hier geschieht. Sie können die Flüchtlinge und unsere Soldaten interviewen.?
Arthur nickte, während Megan ihre Kamera umbaute. ?Was denken Sie - was wird hier in einer Woche geschehen? Kann die Lage irgendwie noch stabilisiert werden??, fragte er hoffnungsvoll den Fahrer.
Diesem blieb das Lachen im Halse stecken. Er machte langsamer, und drehte sich weit nach hinten um. Direkter Blickkontakt. ?Glauben Sie ernsthaft, dass hier in einer Woche Ruhe sein wird, wenn die zwei Großen da oben ihre schwersten Geräte im Orbit dieses kleinen, dreckigen Planeten platziert haben??, meinte er, in einer Mischung aus Sarkasmus und Objektivität. ?Es ist vorbei. Spätestens morgen fliegen hier die Raketen. Wie es dann weitergeht? das weiß keiner.?

Arthur starrte ihn immer noch an, selbst als der Blauhelm sich wieder dem Fahren durch die rote Wüste zugewandt hatte und durch die dreckige Glasscheibe des Trucks nach vorne sah. Megan hingegen schwieg und filmte weiterhin die vorbeirauschenden Flüchtlinge. Es waren nicht nur Menschen. Und doch waren alle gleich.
Sie waren auf der Flucht vor dem Krieg.

ishtar.

?Mission Control. Systeme online. Ich wiederhole, Systeme online.?, ertönte es aus dem Knopf in seinem Ohr. ?Ishtar-Koryphäen-Einheit einsatzbereit.? Man hörte jemanden sich räuspern, verzerrt durch den Funk und das darunter liegende Rauschen, und wie die Person am Mikrofon langsam Shitan kaute. ?Na, Ishtar, wie war das Gespräch mit deinem Vorgesetzten??, fragte der immer wieder Schmatzende, während er offensichtlich auf ein paar Knöpfen herumdrückte.

?Wie ein Gespräch mit jemandem aus der Chefetage halt ist.? Ishtar zupfte sich seine Handschuhe, die er gerade angezogen hatte, zurecht. Sie hatten noch nie perfekt gesessen, diese engen Dinger, er hatte sie immer etwas in Position bringen müssen, damit sie im Einsatz nicht herumrutschen würden. Genauso wie die Handschuhe war auch sein ganzer Anzug wie früher - er kratzte immer noch an den gleichen Stellen, zwickte hier und dort so wie früher, lag an den Gliedmaßen eng an und drückte auf seine robust-spröden Schuppen. ?Er hat mich mental darauf eingestellt, dass ich in ein paar Stunden wieder im Einsatz bin, nach den paar Jahren Tiefschlaf in der dreckigsten Absteige der Galaxis.?, spottete Ishtar, und musste grinsen. Er sah sich selbst im Spiegel - die Reihen von scharfen Reißzähnen, die bernsteinfarbenen Echsenaugen, funkelnd und wild, seine stämmige Statur. Es war wie früher. Irgendwie freute er sich. Es war Abwechslung, ein radikaler Umbruch mit dem Alltag der vergangenen Jahre - der Beginn von etwas Neuem. Seine Muskeln waren angespannt, seine Schwanzspitze zuckte gelegentlich, vielleicht vor Aufregung, aber eventuell auch vor Gespanntheit auf das Adrenalin, das bald wieder seine Adern durchströmen würde.

?Wie in alten Zeiten, Ishtar. Du kannst dich glücklich schätzen.?, meinte die Stimme. ?Hat die Verschmelzung mit den Anzugssystemen gut funktioniert? Irgendwelche Probleme??
Ishtar lachte und lief zu seinem Esstisch, auf dem ein Glas schmutziges Wasser stand. ?Ich hatte gedacht, dass es irgendwelche Probleme mit den Neuroden im Motorkortex geben würde, oder mit den Ports in der Wirbelsäule?? Er stürzte das Glas mit einem Schluck seinen Rachen hinunter. ?Keine Probleme. Ich musste nicht mal die Kontakte nachjustieren. Das Teil kam aus der Metallbox hinter meinem Schrank, genauso wie ich es hineingelegt hatte. Du kannst beruhigt sein, Tosh.?
Das Lachen kam verzerrt an, vermischt mit dem prägnanten Hintergrundrauschen des verschlüsselten Kanals. ?Ist das Exoskelett synchron mit deinen Bewegungen??, fragte Tosh, als er sich offensichtlich eine Portion Shitan in den Mund legte. Ishtar kreiste daraufhin mit seinen Schultern, streckte ein Bein nach vorne, beugte seinen Oberkörper nach vorne - begleitet vom mechanischen Surren der Motoren, die das hervorstehende Exoskelett an seinen Gliedmaßen kontrollierten. Die Metallplatten an seinem Torso verschoben sich passend ineinander und auseinander, als er sich nach vorne lehnte, und die schwarze kugelsichere Weste darüber Falten warf. ?Alles synchron.?, sagte Ishtar stolz. Der Anzug war nicht nur perfekt in alle Kontakte und Ankerpunkte an seinem Körper eingerastet, sondern gleich auch immer noch richtig kalibriert - genauso wie früher. ?Die Neuroports zicken nicht rum. Munition und Waffen hab ich auch dabei.?

Irgendwer sagte etwas zu Tosh, was Ishtar durch das Rauschen hindurch nicht verstand. Er nahm sich das dunkelgraue, matte Scharfschützengewehr, das er an die Wand gelehnt hatte, und klemmte es sich in die dafür vorgesehene Halterung auf seinem Rücken. Das Exoskelett surrte kurz, als das Gewicht der Waffe zur Munition in Ishtars Taschen dazukam.
Der Compoundfaseranzug unter dem Exoskelett kratzte leicht an seinem Hals, genauso wie an der Basis seines Schwanzes. Es war alles bereit - der Anzug funktionierte einwandfrei, das Sicherungsteam auf dem Weg, seine Krallen und Klauen angeschärft.
Tosh räusperte sich. ?Ok, Ishtar, wir sind gleich da, wir sehen den Krater vor uns. Wir landen beim Treffpunkt. Mission Control hat uns die Koordinaten gegeben. Akustisch-visuelles Cloaking bleibt aktiviert. Das Team ist bei mir.? Man hörte jemanden etwas Undefinierbares im Hintergrund sagen, das Rauschen verschluckte es jedoch. ?2 Minuten.?
?Ich komm raus.?, erwiderte Ishtar, und lief in Richtung Ausgang. Es war eher ein rechteckiges Loch, das in den Container mit einem Plasmaschneider eingeschnitten worden war, das man mit einem schmutzigen Stück Leinen verdeckt hatte. Es war hier immer heiß, die zwei Sonnen brannten tagsüber vom Himmel herunter, nachts wurde es nicht besser. Wenn man ein Fenster brauchte, schnitt man es irgendwo hinein.

Ishtar zog den Vorhang beiseite, und das orangerote Licht des Morgens fiel in den Innenraum des Containers. Die tiefstehenden Sonnen blendeten, sie hatten gerade den Kraterrand überschritten, der sich in der Ferne auf der anderen Seite in die Höhe erhob. Er schritt nach draußen, seine Füße betraten den Betonboden des Flachdachs. Es roch nach Rauch, nach Verbranntem. Feuer. In der Ferne hörte er jemanden in ein Megaphon brüllen, das rhythmische Rattern der Maschinengewehre? rata-ta-ta-ta. Das Surren der Motoren an seinem Körper, der leichte Wind, den er auf seiner schuppigen Haut spürte? Ishtar schloss die Augen, und sog die Atmosphäre in sich auf. Es war ein wunderschöner Morgen.

Schildkrötes Part.
Eth, Hauptzentrale Ethertec, 4. UG, Konferenzsaal 3, 5 Stunden nach Betriebsschluss.

Ein Koffer wird zugeschlagen. Sekunden verstreichen.

Ein relativ junger Lar erhebt sich vom Stuhl, sieht sich kurz in dem leeren, sehr stilvoll eingerichteten Konferenzzimmer um, schaut kurz auf die in die Wand eingelassene Uhr, nimmt seinen Aktenkoffer in die Hand und verlässt das Zimmer. Er wirkt nervös.
Er bewegt sich wie ein Gespenst den Gang entlang, hält den Koffer als wäre es eine Bombe.
Er biegt an der sechsten Tür links ab. Die Tür schließt mit einem leisen Klicken.

Er befindet sich in einem Zwischenraum. Die Tür vor ihm ist mit einem Warnhinweis versehen. "Nur befugtes Personal". Er spürt, wie er gescannt wird. Einige weitere Sekunden verstreichen. Ihm läuft es kalt den Rücken runter. Er hält diese Stille in dem Raum kaum aus, seine Nervosität lässt die Hand mit dem Koffer leicht zittern. Er weiß, was hinter der nächsten Tür ist. Doch er kennt niemanden, der jemals dort war.
Er schielt kurz zum Koffer. Er hatte kurz vor Betriebsschluss eine Mail bekommen, er solle in 5 Stunden zum Konferenzsaal 3 kommen. Dort lag dieser Koffer. Im Koffer ein in schwarzes Tuch gewickeltes Etwas, mit einem Zettel drauf. Er solle hier in diesen Raum kommen, unauffällig.
Er löst den Blick wieder vom Koffer. Er ist dem Befehl ohne Federlesens gefolgt. Er erhofft sich viel aus seiner Karriere bei Ethertec und seine Konkurrenz ist groß. Er begriff sofort, dass ein solcher Geheimauftrag im Namen der größten Firma der Galaxie einer Beförderung gleichkommt. Innerlich freut er sich. Ihm wurde eine zweite Karrierechance gegeben, Ethertec beweist durch diesen Auftrag Vertrauen in ihn. Er wird den Auftrag mit Bedacht ausführen und darüber schweigen wie ein Grab. Das Zittern lässt etwas nach.

Der Scan hat aufgehört. Die Tür vor ihm öffnet sich lautlos, Schwarzlicht und ein heftiger Temperaturunterschied verändern die Stimmung im Zwischenraum schlagartig. Atemwolken bilden sich vor der Schnauze des Lar, seine Hand beginnt wieder zu zittern. Der Raum scheint endlos zu sein, von überall her ist ein leises Surren zu hören. Mit schwarzen Kästen gefüllte Regale füllen diesen Raum; auch sie scheinen im Nichts zu verschwinden.
Er fühlt sich unwohl. Der Temperaturunterschied betäubt seine Sinne. Er entscheidet sich, den Durchgang zwischen den Regalen in der Mitte zu nehmen. Er stützt sich mit der einen Hand an den Regalen ab, während er den Koffer in Zeitlupe nach vorn schleift. Er fühlt immer mehr wie seine Glieder sich schwerer bewegen lassen. Er bleibt kurz stehen, stellt den Koffer ab, rubbelt seine Glieder wieder warm, nimmt den Koffer wieder in die Hand und geht weiter. Er läuft von Gang zu Gang, er scheint etwas zu suchen, das er nicht findet. Oder er scheint sich verirrt zu haben. Minuten vergehen. Er wird immer nervöser. Er vergisst sich warm zu reiben.

Die Reihen an Regalen hören auf, eine Wand bestehend aus einem quer gestellten Regal erscheint. Er nimmt den Koffer in die andere Hand, drückt seinen Arm gegen das quergestellte Regal und läuft weiter.
Er sieht in der Ferne ein grünes Licht blinken. Da muss er hin. Er wird immer müder.
Die Kästen an diesem Regal sehen aus wie eine Kulisse für einen alten Film: Alte Anzeigen, Schalter, Hebel, Knöpfe, Drehschalter, manuelle Schlüsselsicherungen. Er schenkt ihnen kaum Aufmerksamkeit. Mit seinem Arm haut er auf Anzeigen, krallt sich an Schalter, zieht sich an Hebeln voran und drückt versehentlich auf Knöpfe.

Er kommt beim grünen Licht an. Eine Klappe steht dort offen. Er wirft den Koffer mit letzter Kraft hinein. Danach wird alles schwarz um ihn.



Zwei Tage später wird seine Leiche zerfleddert auf einem Felsen unter einer Brücke gefunden. Es wird von einem Suizid ausgegangen.

arthur.

"Mr. Harper, eins muss ich Ihnen klarstellen. Das politische Gefüge der Föderationsrassen selbst ist einer der Hauptgründe für den Ausbruch dieses Konfliktes. Die Föderation selbst hat, wie Sie sicherlich wissen, keinerlei Interesse an gewalttätigen Auseinandersetzungen."
Der Ruz trug einen Feuchtigkeitsanzug, gepaart mit der blauen Ausrüstung der Blauhelmsoldaten. Er war einer der Kommandanten der lokalen Föderationsdivision, und saß vor der Kamera auf einem wackligen Stuhl. Die Atmosphäre in dem Container am Rande des Kraters war bedrückend, die heiße Luft stand still, aufgeheizt vom heißen Metall, aus dem die Wände und Decken bestanden. Roter Staub bedeckte in einer dünnen Schicht die Bänke, Schließfächer und Tische. Megan hatte ihre Kamera auf einem Stativ angebracht, das zwischen ihr und Arthur stand. Der Live-Feed zur Agentur stand.

"Wir haben seit dem Ende des Krieges für Sicherheit und Ordnung gesorgt. Die aktuelle Lage ist jedoch problematischer, als Sie es glauben. Die Randalierer haben unsere Außenposten in der Siedlung überfallen, uns unsere Waffen und Ausrüstung geraubt. Der Ort, an dem Sie sich nun befinden, dieser stickige Container... ist einer der letzten sicheren Orte unter dem Schutz der Föderation. Wir sind logistisch allein nicht mehr in der Lage, einzugreifen.", meinte der Ruz-Kommandant entschlossen. Arthur biss in das Ende seines Kugelschreibers. Hohle Phrasen eines Feiglings. Er holte Luft und stellte eine weitere Frage.

"Sie nennen das ganze... Konflikt, einen Bürgerkrieg. Einen Hexenkessel, wenn ich mich an das Gespräch vor dem offiziellen Interview erinnere." Der Ruz nickte, rutschte dabei jedoch außerhalb des Kamerawinkels unruhig auf dem Stuhl herum. "Erklären Sie mir bitte dann, wieso sich Raumschiffe von Ethertec und Vengeance im Orbit befinden... und inwiefern das dann noch einem 'Bürgerkrieg' entspricht."
Der Ruz sah in kurz verdutzt an. "Naja..." Er schnaubte leise. "Sie wissen ja, beide Konzerne sind ja der verlängerte Arm der jeweiligen Regierungen. Ethertec ist ja fast schon fixer Bestandteil des Lar-Parlaments über die Lobby... und Vengeance erhält laufend finanzielle Unterstützung von den United Terran Nations..." Er bemerkte seinen Denkfehler, und schluckte. Sein starrer Blick war genau in das Objektiv gerichtet.
"Wenn also indirekt zwei Regierungen durch ihre Armeen, seien sie auch privat geführt, sich in offiziellen Konfliktgebiet platzieren...", stellte Arthur fest, während er auf seinen Notizblock blickte. "Inwiefern entspricht das einem 'Bürgerkrieg'? Ich denke mal, per definitionem, gar nicht. Die Grenze zum echten Krieg ist seit dem Punkt überschritten, als sich zwei Privatarmeen hier versammelt haben. Zwei Großmächte."

Der Ruz schluckte erneut. Er konnte nicht darauf antworten. Arthur fuhr fort. "Worum geht es diesen zwei Parteien, jeweils bestehend aus - Bürgern, Armeen und Regierung? Geht es um Macht? Geld? Ressourcen? Einfluss? Rache? Ehre? Vorherrschaft? Persönliche Gefühle?"
Nun musste der Ruz tief Luft holen. Er hatte bemerkt, dass er sich in Widersprüche verstrickt hatte. Sie hatten versagt. "Eine Mischung aus allem, denke ich." Er fuhr sich über seine blaue, feuchte Stirn. "Hier gibt es Minen - jedoch technisch veraltet. Was fortschrittliche Technik dort zu Tage fördern könnte... Also, die Scans. Sie wissen, was ich meine. Die tiefen Schichten."

Arthur sah wieder auf, und nickte. Die Föderation hatte ihn maßlos enttäuscht. Ein Konstrukt des Friedens und der Stabilität - sie war ferngeblieben, als es ernst geworden war. Dafür würde sie jetzt bitter bezahlen müssen. Ein Teil der neutralen Zone würde in die Hände einer Kriegspartei fallen - und das wäre nur der Anfang.
"Was werden sie jetzt tun? Also, die Föderation. Was ist der nächste Schritt?", fragte er daraufhin den Kommandanten.

Dieser sah in die Kamera, dann schweifte sein Blick ab, nach draußen, in die offene Tür hinter Arthurs Rücken. In einiger Entfernung standen ein paar Zelte, Buggies und Kisten mit Vorräten. Dazwischen - ausgemergelte, erschöpfte Flüchtlinge, nach Rasse getrennt durch verbogene und teils rostige Gitter.
"Ich denke, wir können nur noch, so gut wie es geht, denen helfen, die es nötig haben. Aber direkt eingreifen..." Er schüttelte den Kopf, und senkte seinen Blick zu Boden.

"Das ist längst vorüber. Zu spät."

ishtar.

Die Straßen waren eng und schmutzig. Eigentlich waren es gar keine Straßen - mehr oder weniger Gassen, meistens unasphaltiert, in denen sich der Müll stapelte. Eine Mischung aus labbrigen Kartons, stinkendem Abfall und Elektroschrott, den die Bewohner dort irgendwann abgestellt hatten. Es war ruhiger als sonst - normalerweise gab es dieses monotone Dröhnen der Minenfahrzeuge, die in der Ferne den Untergrund verließen, und den Mischmasch aus lauter Tönen, die den Pulsschlag dieser Siedlung gebildet hatten. Heute hörte man nur vereinzelt Explosionen, dröhnendes Gewehrfeuer und durch Megaphone verzerrte Stimmen, die durch die Gassen hallten.

Ishtar hatte sich wieder eine Zigarette angezündet, als er begonnen hatte, die Gasse hinunterzulaufen. Verdammt, fast wieder eine halbe Packung heute, dachte er. In den letzten Tagen hatte er wieder angefangen, wie ein Schlot zu qualmen. Am ersten Tag hatte er Taeguk den Schlüssel behalten lassen - und sich dann verdrückt, in seinen Container auf dem Dach, in dem Ausmaß wie früher wieder rauchend. Taeguk würde das Beste tun, um in der Bar die Kinder zu beschützen. Ishtars früherer Job hingegen war beendet - die Bar, seine Tarnung, die hatte er abgestreift wie eine Schlange ihre alte Haut. In ein paar Tagen würde es keine Bar hier mehr geben, die er managen musste. Keine Schnapsleichen mehr, die er in die staubige Gasse zerren musste, keine nervenden Leute mehr, die ihn hinter dem Tresen den letzten Nerv kosten würden. Teilweise war er ihr Anker gewesen, vielleicht das Letzte zwischen ihnen selbst, ihrem Knochenjob in den Minen und dem Alkohol.

Eine sanfte Stimme in Ishtars Kopf flüsterte: "Vorbei..." Er strich sich instinktiv mit seinen Fingern über die Stirn, dort, wo sie ihm einen der Kontrollknoten ins Hirn gesetzt hatten. Genau dieser spielte ihm wieder Streiche in letzter Zeit, und die Pillen halfen nicht mehr so wie früher.
Die Motoren seines Exoskeletts surrten mit jeder seiner Bewegungen, synchron und perfekt. Es verstand sein Gehirn, seine Bewegungen, seinen Geist... wenn er darüber nachdachte, fand er es beeindruckend, was die Wissenschaftler damals auf die Beine gestellt hatten. Das I/O-System müsste vielleicht eine der schwierigsten neurowissenschaftlichen Systeme der letzten Jahre gewesen sein... "Sie warten..." Die Ports an seinem Rücken verbanden das Exoskelett über die Kontrollkonten mit seinem Gehirn. Manchmal jedoch schienen diese Knoten... etwas auszulösen. Als wären sie locker und würden irgendwo anecken. Es kam immer wieder, spontan, unvorhersehbar. Eine Symphonie aus Fehlern, ein Stakkato, das manchmal Dinge hervorbrachte, die er selbst nicht verstand.

Tosh und das Team würden am Ende der Gasse in einem Atrium warten, wo das Dropship genug Platz finden würde. Der Rendevouspunkt war schon seit Anbeginn des Konflikts in der Hand von Ethertec, er lag tief inmitten des Lar-Sektors der Siedlung in einem ausgeschlachteten Rohbau einer, wie Ishtar es immer gerne nannte, "Wohnbatterie". Ethertec hatte gestern Waffen und Ausrüstung verdeckt dorthin gebracht, um die Lar verdeckt zu bewaffnen, nachdem das veraltete Equipment der Blauhelme nicht ausgereicht hatte. So etwas wie eine Basis, die improvisiert irgendwo reingesetzt worden war.

Sein Gehirn setzte kurz aus. Sie saß vor ihm, den Blick gesenkt. Sie lächelte, ihre scharfen Zähne entblößt. Ihre Hände brannten. Der Geschmack von Blut verbreitete sich kurz in Ishtars Mund. Er fühlte sich schuldig. Irgendwie.
Einer der Kontakte hatte wieder einen Fehler. Er würde frische Tabletten in den Ausrüstungskisten finden, mit denen er es wieder etwas unterdrücken konnte. Das Selbstdiagnosesystem startete von selbst - er spürte es. Das hatte auch immer ohne seinen Anzug funktioniert, den er all die Jahre in einer Kiste in seiner Wohnung versteckt hatte.

Ishtar lief weiter die Gasse hinunter. Seine Zigarette war zur Hälfte abgebrannt.

ishtar.

Die Wohnbatterie war nur bis zur Hälfte gebaut worden. Teilweise standen die Gerüste noch, während oben teils nackte Betonwände in den Himmel ragten. Es war eigentlich nur ein Rohbau, den man irgendwann sich selbst überlassen hatte - die Obdachlosen hatte das gefreut. Überall hatte die alte Baufirma Schilder angebracht, auf denen in mehreren Sprachen ein und das selbe stand, sodass jeder es verstehen konnte:

"Access prohibited. ????. Zugang verboten. Zarath'i kûr."

Tosh stand vor einer schweren Metalltür, die wohl am Ende der Bauphase gegen eine richtige Tür ausgetauscht worden wäre. Sein Schwanz umschlung eine Stütze der Baugerüste, während er sich mit seinem Körper daranlehnte. Er sah genau so aus wie früher - tiefbraune Schuppen, die sich auf seinem Kopf leicht aufstellten, dicke und muskulöse Arme, die Finger mit rasiermesserscharfen Klauen besetzt. Doch wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass sich unter all den Taschen und seiner Weste, die er trug, etwas Fett in der Bauchregion angesammelt hatte. Und er kaute immer noch permanent Shitan. Immer. Verdammt, zwischen all den Munitions- und Ausrüstungstaschen an seiner Weste befandt sich sogar eine, die er mit einem Filzstift mit dem Schriftzeichen für Shitan beschriftet hatte.
Er sah auf. Ishtar trat aus dem Schatten der Gasse hervor, während Toshs Schwanz sich vom Gerüst löste und er begann, auf ihn zuzulaufen. Er grinste breit, und man konnte die Shitanfasern zwischen seinen Zähnen sehen. Beide schlugen sich gegenseitig die Hände ein, und nickten ab. Dann war es kurz ruhig, während Tosh immer noch breit grinsend vor Ishtar stand, die Arme hinter seinem Rücken verschränkt. Er schmatze laut, während sich die dunkelbraunen Fasern in seinem Mund umherwältzten. "Ist verdammt lang her.", sagte er schließlich. "Du hast dich echt nicht verändert."
Ishtar schmunzelte. "Du schmeichelst mir." Er klopfte seinem Gegenüber leicht auf die Brust, genau auf die Tasche mit dem Shitanzeichen. "Du auch nicht. Du hast nur etwas... zugenommen." Tosh lachte herzhaft, lief ein Stück zurück und öffnete die Metalltür, die mit einem Quietschen aufschwang. Rost schliff über Rost, Metall über Metall, knarzend unterstützt durch den roten Sand der Wüste. "Rein mit dir. Das Team wartet."

Drinnen war es stickig, dunkel und vor allem eins - eng. In den Gängen hatte man einen Haufen an Kisten abgestellt, alle versehen mit dem Logo von Ethertec. Manche waren geöffnet, und aus ihnen quollen allerlei Waffen und die dazugehörige Munition heraus. Die Logistik hatte ganze Arbeit geleistet - noch heute würden die Waffen an die Lar verteilt werden. Sie gingen mehrere Treppen hinauf, durch zahllose Räume voller Kisten, mal mehr, mal weniger. "Wann startet die Offensive, Tosh?", fragte Ishtar, während sie durch die dunklen Räume mit nackten Betonwände liefen. Er folgte Tosh, der wohl wusste, wo sie hinmussten. "Wir haben schon Bastionen der Menschen ausgemacht. Ethertec wird Dropships mit Soldaten und Ausrüstung runterschicken, die vom Kraterrand hinunter die Stadt ausräuchern werden. Den ganzen Plan erklär' ich dir später.", antwortete dieser. "Nichts kann schiefgehen.", fügte er schmatzend hinzu, und warf sich eine weitere Ladung Shitan in den Mund.

Ishtar sah einen Lichtschein, der hinter einer Ecke hervorkam. Tosh zeigte dorthin, und bog scharf rechts ab. Der Raum war größer als die kleinen, nackten Betonzellen, und eine glaslose Fensterfront öffnete sich in das Atrium des viereckigen Hauses. Licht fiel hinein, und erhellte das graue Zimmer, in dessen Mitte ein rechteckiger metallener Tisch stand. In den Ecken stapelten sich weitere Kisten, diese waren jedoch eins - größer, und mit roten Warnhinweisen beschriftet. Sie waren größtenteils schon offen, und geleert worden. "Persönliche Ausrüstung. Nur dem Anwender aushändigen." Ishtar war leicht durch das einfallende Licht geblendet, nach all den dunklen Räumen, doch er konnte drei Silhoutten hinter Toshs breitem Körper ausmachen, verschluckt vom Tageslicht. Tosh stellte sich an die Seite des Tisches, während Ishtar langsam auf den Tisch zulief. Die drei Personen, die ihm gegenüber standen, kannte er nicht. Sie waren jung, mutig - Frischlinge.

Tosh schmatze weiter, wedelte mit seiner rechten Hand herum und sagte: "Ishtar, das ist unser Team - oder eher gesagt, meins, mit dem ich seit Kriegsende auf Tour bin." Er zog etwas aus seiner Tasche hervor, und ließ es über die Tischoberfläche in die Mitte rutschen. "Wir zwei haben zusammengearbeitet, und ich mit den drei da. Sie sehen jung aus, aber sie haben Erfahrung." Doch keine Frischlinge. Wenigstens etwas. Tosh zeigte auf den ersten Lar - er war jung, schlank und trug leichte Kleidung, seine Weste war übersäht mit Taschen und Munitionsgürteln. Seine hellbraunen Schuppen waren offensichtlich sehr rauh, und übersäht mit unregelmäßigen dunklen Flecken. "Darf ich vorstellen.... unser Scharfschütze, Illaq." Dieser nickte ab, und meinte fast schon etwas stolz: "Es ist mir eine Freude Sie kennen zu lernen, Ishtar. Toshath hat uns viel von Ihnen erzählt." Oh Gott, die benutzen ja Toshs vollen Namen, dachte Ishtar genervt. Der stämmige Lar mit den ockerfarbenen Schuppen und den extrem breiten Schultern neben ihm grinste breit. Er trug schwere Stahlplatten am ganzen Körper, zusammengehalten durch Compoundfasern, und trug eine Art Rucksack auf dem Rücken. "Ushtar, unser Pionier.", sagte Tosh stolz, und Ushtar nickte genauso wie Illaq zuvor ab. Zuletzt zeigte Tosh auf die Frau neben Ushtar, die sich mit ihren Ellenbögen auf den Tisch stützte. Sie hatte glatte, glänzende und fast schon surreal anmutende tiefgrüne Schuppen, und ihre Augen lagen wie Bernsteine inmitten ihres kantenlosen Gesichts. Ihre Kleidung war eng anliegend und von verschiedenen Gürteln überspannt, während man eindeutig sehen konnte, dass ihr Torso durch mehrere Lagen Kevlarfasern unter ihrer kugelsicheren Weste geschützt wurde. Während Illaq und Ushtar fast wie zwei Idioten gegrinst hatten, war ihre Mimik absolut ausdruckslos.

"Das ist Rasha.", sagte Tosh daraufhin. Ishtar zuckte leicht zusammen, während irgendein Kontakt in seinem Gehirn ansprang und etwas aus seinen Erinnerungen herauskramte, was er lange vergraben hatte. Rasha - den Namen gab es auf Eth wie Sand am Meer. In allen Varianten. Nur ein Name. "Ich glaube für das, was sie macht, gibt es keinen richtigen Namen... aber sie macht das selbe wie du, Ishtar. Infiltration und Extraktion von Information." Sie nickte ab, etwas lustloser als die anderen, und richtete ihren Blick schließlich in eine der Ecken des Raumes. Verdammt, die Augen, dachte Ishtar. Bernstein, den hatte er als Kind mal am Strand gefunden. Seine Eltern konnten nicht sagen, was es war, aber er hatte den glänzenden Stein mitgenommen. Er hatte ihn immer an die intensive Farbe mancher Laraugen erinnert, nur ohne die schlitzförmige Pupille. Heute wusste er, dass es nur Harz gewesen war - Jahrmillionen alt, im Strom der Zeit eingefroren.

Tosh schmatze erneut, und drückte dann auf einen Knopf des... Dings in der Tischmitte. "Wir besprechen jetzt unseren ersten Einsatz. Missionsziel, Ausführung, Notfallplan. Der Auftrag kommt von ganz oben. Das ist kein Spaß, kein Zeitvertreib. Wir sind im Krieg, ok?" Ein holographisches, rotierendes Ethertec-Logo erschien über dem Ding in der Mitte des Tisches. "Wir holen Informationen. Informationen sind wertvoller als alles andere. Wenn Ethertec nicht weiß, wo sie Raketen draufschießen sollen, bringt ihnen der ganze Aufwand nichts." Tosh warf sich wieder Shitan in den Mund. "Genau dafür sind wir da. Ziele für Angriffe finden. Und jetzt - spitzt die Ohren, ich sag das nur ein mal."

arthur.

Man konnte sie reden hören, da drüben. Auf der anderen Seite des Kraterrandes, in weiter Ferne. Dort drüben war nur flaches, rotes Land, dass in Wellen und kleinen Felsbrocken dem Horizont entgegenlief. In einem der Becken dort hinten hatten sich Vengeance-Truppen gesammelt, und vor ein paar Minuten war ein kleiner Carrier hinuntergekommen, um Harriet Jones hinunterzubringen. Arthur erkannte ihre Stimme sogar aus dieser großen Distanz, mehrere Kilometer Luftlinie. Was sie sagte, verlor sich jedoch über den Weg, zusammengepanscht zu einem akustischen Brei, der durch die Wüste hallen würde.

Megan hatte sich neben ihn auf die Bank gesetzt, die Kamera zwischen den Beinen. Der Datastream hatte ihr Interview mit dem Föderationskommandanten zur Erde gebracht, über hunderte Baken, die man in den Systemen und im leeren Raum des Weltalls platziert hatte. Es waren mehrere Lichtjahre, doch durch die Tunnel zwischen den Baken ging es schneller. Nur 50 Minuten Verspätung. Die Hälfte ihres Interviews war schon drüben gelandet, aufgespalten in kleine Pakete. Nullen und Einsen, zusammengeschnürt, die das Versagen der Föderation darstellen werden.

Arthur nahm seine Brille ab, zog ein Microfasertuch aus seiner Hosentasche, und putzte die staubige Brille feinsäuberlich. Innen, außen, Rahmen. Der Staub der roten Wüste gelang in jede Ritze und klebte an jeder Oberfläche. Selbst in Megans schwarzen Haaren konnte man die feinen, roten Körner sehen, die ein sanfter Wind immer wieder vom Boden aufwirbelte.

"Ich hatte mal einen Freund, an der Universität.", erzählte Megan plötzlich, während sie geradeaus starrte, hinüber zum Rand des Kraters in ein paar hundert Metern Entfernung.
"Jeder hatte mal eine Beziehung, Megan. Das ist jetzt keine Überraschung für mich. Wir sind auch nurFreunde, und wir arbeiten zusammen...", erwiderte Arthur, der sichtlich verwirrt über dieses plötzliche, zusammenhangslose Statement war.
Megan lachte leise und unterbrach ihn damit, dann sah sie hinüber zu Arthur. "Nicht solche Freunde. So einen... richtigen. Ich hab ihn getroffen, da in dieser Kolonie. Die Gesamtuniversität, wo wir uns im vorletzten Semester kennengelernt haben."
Er zog die Augenbrauen hoch. "Und... was willst du mir damit sagen? Ich weiß, dass du früher viel..." Arthur schluckte. "... rumgekommen bist, bevor wir unsere Abschlussarbeit zusammen geschrieben haben."
Sie lachte erneut. "Weißt du, er war ziemlich intelligent. Und ein echter Gentleman. Wir zwei sind durch dick und dünn gegangen, auch damals, als ich meine Wohnung verloren hatte. Mietpreise. Ich und er... wir haben einfach zusammengepasst." Megan legte ihre Hände auf die schwere Kamera zwischen ihre Beine. "Meine Eltern haben gesagt, dass ich mit ihm nicht zusammensein darf. Seine auch. Deswegen hast du ihn nie kennengelernt, Arthur. Vom einen auf den andere Tag war er weg, drittes Semester. Ich habe nie mehr seine Umarmung gefühlt, seine Stimme gehört, nie mehr Zeit mit ihm verbracht."
Arthur sagte nichts. Er hatte verstanden. Oft erkannte er sofort, was die Leute ihm durch die Blume sagen wollten. Nuancen von Gefühlen und Botschaften, die ein oder zwei Worte trugen. Manchmal waren sie leicht wie eine Feder, manchmal so hart wie ein Hammer. Manchmal waren sie versteckt, manchmal offenherzig ausgesprochen. Megan hatte ihm oft von ihrer frühen Zeit an der Universität erzählt, doch diesen Freund... er hatte noch nie von ihm vorher gehört. Zuerst war ihm der Zeitpunkt für dieses Gespräch etwas seltsam vorgekommen, der Inhalt sinnlos.

Megan sah wieder zum Krater. Sie sprach es trotzdem aus, obwohl sie gemerkt hatte, dass Arthur verstanden hatte.
"Er war ein Lar gewesen, kein Mensch, und trotzdem menschlicher als viele Menschen, die ich bisher getroffen habe." Sie senkte ihren Blick. "Er ist wahrscheinlich damals gestorben, nachdem sie ihn eingezogen haben." Dann stand sie auf, und verschwand schweigend hinter dem rostigen Föderationscontainer hinter der Bank. Die Kamera blieb liegen, während Arthur verloren auf der Bank sitzen blieb, den Blick starr in die Ferne gerichtet. Er hörte einige Worte aus Harriet Jones Mund, die deutlicher ankamen als der Rest iher Rede, der über die Ferne verloren gegangen war.

"Heute ist es dieser Mond, morgen ist es die menschliche Rasse, wo auch immer sie Zuflucht suchen mag vor ihren grausamen Verfolgern."

Ein Konflikt, tief verwurzelt - und doch so persönlich, von Person zu Person. Das notierte Arthur auf seinem verknitterten Notizblock, nahm die Kamera in die Hand und folgte Megan in den Schatten des Containers.