GTO

Ich war heut im Musical Mozart!. Und ich weiß, ich sag das jedes Mal nachdem ich ein Musical gesehen hab, aber es war wirklich, wirklich toll! Von allen Musicals, die ich in Wien gesehen hab, war es eindeutig mein liebstes. Eine durchgehend starke Besetzung. Ana Milva Gomes war traumhaft, Mark Seibert sowieso (der hormongesteuerte Teenager in mir bedankt sich für die oben-ohne-Szene ), und Oedo Kuipers in der Hauptrolle macht sprachlos... Er ist noch ziemlich jung, und es ist seine erste AHuptrolle in der Erstbesetzung, aber er ist unglaublich talentiert (auch vom Schauspielerischen her)!
Hier zum Beispiel mit Wie wird man seinen Schatten los?

GTO

Ja, es gibt so russische Musik, genauso wie russische Literatur, die an die Zeiten erinnert, als Russland noch Wert auf Kultur gelegt hat, aber
1. fürchte ich, dass dieses Lied schon nach der Zeit entstanden ist, als schon grauer, propagandagetränker Sozialismus herrschte, und nur vorgaukelt, dass darauf etwas Großes entstehen könnte, und
2. zu jeder Zeit, sowohl während des Zarentums als auch nach der Revolution, dieser Staat sich durch systematische Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen erhalten hat, die ihrerseits wie Dreck behandelt wurden und zu hunderttausenden zu Tode geschunden wurden,
3. Dass das Gerede und Gesinge von "Größe" im Zusammenhang mit Krieg (Tod, Gewalt) immer irgendwie eklig ist.

Punkt zwei macht auch, dass ich, auch wenn ich total gerne Tolstoj lese, immer einen schalen Beigeschmack dabei habe, wenn ich daran denke, elche Gesellschaftsschichten, die gleichzeitig unter den elendsten Bedingungen leben mussten, einfach mal nicht miterwähnt werden.

Das ist Russland, das reale Russland. Ich behaupte, es zumindest besser zu kennen als die meisten Biodeutschen, und es ekelt mich an. Nicht die Bevölkerung an sich, aber die Politik, die nationale Selbstgefälligkeit, die Kulturfremdheit, die immer weiter um sich greift, dafür der zunehmende Hang zu leerem Protz. Irgendwelche Leute kaufen sich riesige Yachten, und die wunderschönen alten Häuser aus der Gründerzeit St. Petersburgs (die wiederum nur durch Sklavenarbeit entstanden sind) verfallen und verfaulen. Der Jugend von heute ist die Politik völlig fremd und kaum jemand engagiert sich irgendwo, und das nichtmal, weil sie sonst durch Repressalien der Politik Schwierigkeiten bekommen würden (was der Fall ist), sondern aus purem Desinteresse und "jeder für sich"-Mentalität. Ich verstehe nicht, was jemand an so einem Land geil finden kann. Mich macht es immer nur traurig, wenn ich an Russland denke.

Und jetzt wieder ontopic: Ich habe (fragt nicht, fragt nicht) angefangen, die ersten Folgen von Grey's Anatomy zu gucken und da war ein schönes Lied im Soundtrack, dieses hier, und ich stelle fest, dass es durch eine andere Serie inzwischen größere Berühmtheit erlangt hat: Orange Is The New Black ^^ Und wenn ich es nicht selbst erzhlt hätte, müsste ich mich jetzt gar nicht daür schämen, dass ich das Lied durch Grey's Anatomy kenne...

Nebenbei FYI: Russland gehört teilweise zu Europa. Viele Länder mit slawischen Sprachen sind europäische Länder. Slawische Sprachen sind keine komischen, exotischen Sprachen.

GTO

Hm, wenn ich an Russland denke, dann denke ich an Alkoholismus, an die Vernachlässigung von Bedürftigen, an Korruption und Vetternwirtschaft, an überall in der Natur herumliegenden Müll, daran, dass die Leute prinzipiell kaum lächeln, an das Gefühl, sich überall mit viel Kraft durchsetzen zu müssen und sich auf nichts richtig verlassen zu können, an viel Wegsehen und Ignorieren, an den Anblick von furchtbarer Armut, an inhaltsleeren Protz und...hatte ich es schon erwähnt??...an die völlige Ignoranz gegenüber denjenigen, die hilfsbedürftig sind. Die Alten, die Behinderten, die Kranken. Hutzelige Babuschkas, die an den Ecken vierspuriger Straßen auf einem Höckerchen sitzen und versuchen, drei kümmerliche Bund selbstgezogener Petersilie zu verkaufen, weil ihre Rente nicht für genügend Essen reicht. An die Krankenhäuser, die schmutzig sind und überfordertes Personal und veraltete Geräte haben, und mit denen all die vorlieb nehmen müssen, die sich nicht die schweineteuren Privatkliniken leisten können. Und die Behindertenheime...naja, die Leier kennt ihr eh von mir. Eine Katastrophe ist das, wie fühlende Menschen da vor sich hinvegetieren, wie Dreck behandelt werden.

All das habe ich gesehen. Ich habe die Leute in meinem Alter gesehen, die aus ihren abgelegenen Heimatorten in die wenigen großen Städte flüchten, nur um auch dort keinen Fuß auf den Boden zu bekommen und sich nichtmal eine eigene Wohnung leisten zu können. Hinter dem reflexartigen "Oooh, Rossiya, bol'shaya strana" und so steckt auch ganz viel nicht-drüber-nachdenken-wollen, Verdrängen und Frustration. Viele Menschen, die ich kennengelernt habe, sind ziemlich einsam. Vieles fühlt sich sehr unecht an.

Ich glaube, dass die Menschen, die ein Land verlassen haben (oder sogar schon deren Eltern) aus der Ferne immer dazu neigen, das verlassene Land zu glorifizieren und ganz schnell zu vergessen, warum sie eigentlich weggegangen sind. Als seien sie es der "Heimat" schuldig, dass sie kein schlechtes Wort auf sie kommen lassen. Es ist wohl nicht so aussagekräftig, was Leute erzählen, die selbst schon lange nicht mehr an einem Ort leben.