Es ist, glaub ich, schwierig auseinanderzudröseln, welche Regeln der "gesellschaftlichen Ordnung" ich einhalte, weil ich mich damit auch wohlfühle, und welche ich nur einhalte, weil ich mich mit den drohenden Konsequenzen nicht mehr so wohlfühlen würde. Drohende Konsequenzen können von Gefängnis (weil ich zB die Eigentümer der Produktionsmittel angegriffen habe) bis zu Gardinenpredigt von Tante Rosemarie (weil ich zB ohne Hose auf der letzten Familienfeier erschienen bin) reichen. Sonderlich angenehm sind sicher beide Konsequenzen nicht, obwohl ich wirklich gerne die Eigentümer von Produktionsmitteln angreife und ohne Hose rumlaufe (am liebsten beides gleichzeitig). Rational könnte man ja vor jeder einzelnen Entscheidung überlegen, welche positiven und negativen möglichen Folgen wie wahrscheinlich und wie wünschenswert sind, und dann abwägen, ob sich der Verstoß gegen die gesellschaftliche Ordnung, niemanden anzugreifen (besonders nicht die Eigentümer von Produktionsmitteln) und immer vollständig bekleidet rumzulaufen "lohnt".
Wobei "gesellschaftliche Ordnung" natürlich auch ein sehr breiter Begriff ist, unter dem sowohl Regeln vorkommen, die vielen aus der Gesellschaft das Leben angenehm gestalten, als auch Regeln, die viele Personen systematisch unterdrücken. Es profitieren zum Beispiel generalisiert erstmal alle davon, wenn man sich auf eine Straßenseite zum Fahren einigt. Da jetzt plötzlich gegenkonform zu gehen bringt mir kaum Vorteile. Von der "Regel"/Norm, 40 Stunden die Woche zu arbeiten, profitieren aber bestimmt viele eher weniger.

Die gesamtgesellschaftliche Ordnung, die Schule zu besuchen, eine Berufsausbildung/Studium anzufangen (und abzuschließen), etc. hab ich bisher brav eingehalten. Ich weiß nicht, inwieweit das jetzt wirklich aus eigenen Stücken war, oder ich einfach nur keine Lust auf die gesellschaftliche Ächtung des "Nichtstuns" hatte.
Von mir für mich hab ich aber, glaub ich, eher weniger Regeln. Ich bewege mich nicht über eine rote Ampel, wenn Kinder in der Nähe sind oder ein 40-Tonner anrückt. Ich mach nach Möglichkeit nicht 2 Minuten vor Ladenschluss Einkäufe. Ich hab für diverse Lebenslagen Routinen, von denen ich weiß, dass dann alles funktioniert. Zum Beispiel weiß ich, dass ich morgens alles auf die Reihe kriege, wenn ich spätestens eine Stunde vor Aus-dem-Haus-gehen aufstehe. Ich hab beim Arbeiten bestimmte Abläufe, damit ich nichts vergesse. An die Routinen halte ich mich aber natürlich trotzdem die Hälfte der Zeit nicht, was mich dann auch nicht total ins Chaos stürzt, aber doch alles etwas hektischer macht.
Regeln für den Umgang mit anderen Menschen finde ich generalisiert für mich auch schwierig, weil andere Personen andere Bedürfnisse haben, und in manchen sozialen Konstellationen ein Verhalten ok ist, das ich in anderen Konstellationen lasse. Da haben verschiedene Gruppen verschiedene Ordnungen.
(Und die Regel, einigermaßen klare und nicht wirre Beiträge zu verfassen hab ich hiermit einfach mal ignoriert.)

Ordnung ist für mich etwas Strukturgebendes, im Kleinen wie im Großen. Jeder kennt wohl den Spruch " wer Ordnung hält ist nur zu faul zum Suchen" und genau das trifft den Kern. Ordnung macht erst ab einer gewissen Masse Sinn. Wenn ich z.B in einem Wohnklo lebe und sagen wir einmal 3 Bücher mein Eigen nennen darf, macht es wohl kaum Sinn, sein Bücherregal nach Genre zu sortieren. Logiere ich dagegen in einer riesigen Villa mit einer gutbestückten hauseigenen Bibliothek, dann sieht die Welt schon anders aus.
Genau das Gleiche gilt für unsere Gesellschaft. Wenn unzählige Menschen miteinander eine Lebensgemeinschaft bilden, so wird das Zusammenleben meiner Erfahrung nach niemals ohne gewisse Regeln, sprich Ordnung, funktionieren können.
Die Kunst ist es dann, gute konstruktive Regeln zu finden, die einen sinnvollen Rahmen geben, ohne die Freiheit des Einzelnen zu sehr zu beschneiden.
Ich persönlich nehme mir dann die Freiheit, solche Regeln,wenn die Situation es erlaubt, auch einmal nicht zu beachten. Zur Veranschaulichung: Würde ich bei einer einsamen Autofahrt im australischen Outback, rechts abbiegen wollen, so würde ich ganz sicher auf das Blinken und den Sicherungsblick im Seitenspiegel verzichten, die gleiche Entscheidung in einer Metropole zur Hauptverkehrszeit...fatal.
Gesellschaftlichen Regeln, oder besser gesagt gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, mein Verhalten, meine Kleidung etc. bei irgendwelchen bestimmten gesellschaftlichen Anlässen betreffend, habe ich schon sehr häufig nicht entsprochen, solange es mein Privatleben betraf. Im beruflichen Kontext allerdings, musste ich diesbezüglich immer mal wieder entgegen meiner inneren Überzeugung Zugeständnisse machen, um als sozial kompatibles Wesen angesehen zu werden. So nach dem Motto, das System sagt dir, wie es beschissen werden will.