Vorhin saß ich in der Unibücherei und habe so "random" einen Gedanken in den Random-Thread geworfen, weil ich gleich losmusste und es zu eilig hatte für ein ausschweifenderes Thema.
Nun eröffne ich das doch mal offiziell (vielleicht kann der Rest dann wieder gelöscht werden, damit es nicht doppelt da ist?), vielleicht ist es ja ein Thema, das auch einige interessiert, und ich habe gemerkt, dass ich da einiges drumherum schwafeln kann/will...


Kleo:
Gibt es eigentlich welche von euch, die sich fest wünschen, Kinder zu haben?
Und was würde man dann tun, wenn einem ein Bluttest angeboten wird (an männliche Lesende: wenn der schwangeren Partnerin/Bettgefährtin ein Bluttest angeboten wird), weil das so viel leicher zu machen ist als eine Fruchtwasseruntersuchung (die ja durchaus Gefahren für ein Kind birgt)? Kann man dazu nein sagen?
Und wenn man ja sagt und bei der Untersuchung stellt sich ein genetischer Defekt des Kindes heraus, der ihm und einem selbst garantiert das Leben schwer machen wird - was tut man dann?

Ich versuche, diese Gedanken von mir persönlich fernzuhalten mit der Begründung, dass ich sowieso nicht scharf darauf bin, Kinder zu haben, so vom heutigen Standpunkt aus. Und doch können ja "Unfälle" nie ausgeschlossen werden, somit ist die Problematik doch ab und zu präsent...

Vor einiger Zeit ist nämlich der Schwangeren-Bluttest auf Trisomie 21 bewilligt worden, und es ist nicht auszuschließen, dass im Laufe der nächsten Jahre weitere Testverfahren auf genetische Aberration folgen werden.


blubbl:
Mir geht es da eigentlich wie dir: Kinder möchte ich zwar (in einem möglichen Plan zumindest), aber, soweit ich mir das bisher vorstellen kann, adoptierte.

Sicher kann man nein sagen. Wenn man meint, die Situation erlaubt es, für jedes Kind, das entstehen könnte, da zu sein. Dann? ist auch die lange Warte-, Planungs- und Überlegezeit ja nicht von Nöten, die das Ergebnis dieser Untersuchung auslösen würde.
Und sonst. Ich bin ja immer sehr dafür, dass Eltern nicht nach irgendwelchen potenziellen schönen Erfahrungen entscheiden, sondern danach, ob sie dem Kind diese ermöglichen können, voraussichtlich. Egal, ob das Kind behindert sein wird oder nicht. Ist ihr Leben ausreichend stabil & wünschen sie sich das Leben mit diesem Kind oder wird es tatsächlich zur Adoption gegeben werden? Dann, gerne behalten. Sonst nicht. In diesem Fall befürworte ich Abtreibungen in egal welchem Monat eindeutig. Diese Welt ist voll von Menschen, es ist nicht nötig, weitere schlimme Kindheiten mit extrabelasteten Erwachsenen als Resultat zu provozieren.

(Nachsatz: "...so weit die Theorie.")



Morgenrot:
Ich kann mir nicht vorstellen nie Kinder zu haben. Ist also schon irgendwie Teil meiner Lebensplanung...
Naiv, wie ich bin, denke ich schon, dass ich zu solch einem Bluttest nein sagen könnte und würde. Vielleicht kann man sich dann eher darauf einstellen, was auf einen zukommt. Aber abgesehen davon...
Ich gebe dir Recht, blubbl. Kinder will ich auch nur wenn ich weiß, dass ich mich in jedem Fall gut um sie kümmern könnte. (Wobei man das wohl nie sicher weiß...) Ich kann mir zwar nicht wirklich vorstellen, dass Abtreibung eine Option für mich wäre. Aber wenn man weiß, dass man dem Kind keine gute Kindheit bieten könnte, hat es wohl wenig Sinn zwei bis drei Leben unnötig schwer zu machen.


Kleo:
Die Sache ist, dass ich mir das womöglich nicht zutrauen würde. Sollte ich irgendwann vor einer ungeplanten Schwangerschaft stehen, wüsste ich ja nicht einmal, ob ich diese nicht beenden lassen wollte.
Ich habe keine Abscheu vor behinderten Menschen, im Gegenteil: Mit ihnen zu arbeiten finde ich zum Teil bereichernd, man lernt etwas über sich selbst, über das Leben und seinen Wert.
Ich habe Kontakt gehabt zu Eltern von behinderten Kindern, und es ist ein Riesenstück Arbeit, sich wirklich um ein behindertes Kind zu kümmern. Karrieren sind im Allgemeinen erstmal vorbei, wenn man in einer festen Partnerschaft ist, wird diese wahnsinnig belastet...
Dazu kommt bei vielen das Gefühl, zu einem gewissen Teil aus der Gesellschaft ausgestoßen zu sein; das Gaffen und Starren auf der Straße ist da nur ein Aspekt.

Behinderte Kinder werden nach Statistiken vier- bis siebenmal öfter von ihren Eltern misshandelt als Nichtbehinderte, und ich glaube, dass das nicht nur vom Szenario kommt: "Drogen/Alkohol konsumierende Eltern kriegen Kinder, eins davon ist behindert (mit einiger Wahrscheinlichkeit von ebenjenem Drogenkonsum), und da sie sowieso die Tendenz haben, ihre Kinder zu schlagen, kriegt dann das behinderte Kind alles ab, weil es sich nicht wehren und auch nicht "petzen" kann." (Sowas kommt natürlich vor, auch viel zu häufig, aber dennoch ist es nicht der Alleingrund.)
Ich vermute, dass viele dieser gemeldeten Misshandlungen auch aus reiner Überforderung entstehen, sich-allein-fühlen mit einem Kind, das einem (oft) keine Liebe zurückgeben kann, so wie nichtbehinderte Kinder es tun, also investiert man Kraft und Zeit und noch mehr Kraft in dieses Kind, es wird einem niemals gedankt, stattdessen kriegt das Kind zum fünfzehnten Mal am Tag einen Wutanfall - und einem platzt der Kragen.

Ein behindertes Kind in ein Heim zu geben, erscheint Eltern oft undenkbar, das ist ja (abgesehen davon, dass ein Heimplatz ein kleines Vermögen kostet und oft nicht oder nur teilweise von der Kasse übernommen wird) so, als würde man es im Stich lassen, verstoßen, und - was genauso schlimm ist - sich selbst eingestehen, dass man versagt hat, verloren, dass die Kräfte nicht reichen und man sich selbst überschätzt hat mit dem Vorsatz, sich selbst um das Kind zu kümmern. Die unsichtbaren Anschuldigungen von anderen, schlechte Eltern zu sein.

Inzwischen gibt es, zumindest in Westeuropa, recht breit gefächerte Möglichkeiten, Tagesstätten und integrative Kindergärten (wobei auch hier Plätze äußerst schwer zu finden sind, insbesondere mit einem schwerst-mehrfachbehinderten Kind), doch das alles will geplant werden, finanziert und organisiert.
Es heißt immer, das Zermürbendste an der Pflege von Angehörigen sei nicht die Pflege selbst, sondern der ewige Kampf mit der Bürokratie.

Manchmal erschrecke ich über mich selbst, wie negativ und pessimistisch meine Ansichten doch (immer noch) sind...

Ja, mit einer Behinderung kann man natürlich eine schöne Kindheit und ein schönes Leben haben - aber wenn man nicht die nötige Pflege erhalten kann, weil die Eltern "nur" Zeit und Kosten für ein gesundes Kind eingeplant haben und aufbringen können? Das ist dann finde ich etwas anderes. So viel Hilfe und Untersützung man angeblich bei Kindern mit Behinderung bekommen mag, ohne eine RIESENgroße Investition von eigenem Geld und eigener Zeit geht es eben nicht. In diesem Fall also... ja zum Bluttest und im schlimmsten Fall auch ja zur Abtreibung.

Ich selbst will (heutiger Stand) keine Kinder. Aber sollte es doch mal passieren, ich würde den Bluttest machen.

Nun, also die Befürchtung vieler Behindertenverbände ist ja, dass genau das eintritt. Insbesondere körperlich Behinderte, Blinde oder Gehörlose protestieren mit Macht dagegen, weil Folgendes befürchtet wird:

Mehr Pränataldiagnostik -> Mehr Abtreibungen von behinderten Kindern -> weniger Behinderte in der Gesellschaft -> Die Inklusion und das bemühen um Barrierefreiheit (damit sind auch blinden- und gehörlosengerechte Installationen gemeint) werden vernachlässigt, weil "es ja sowieso nicht mehr so viele Behinderte gibt".

Tatsächlich werden 92% aller bei vorgeburtlichen Untersuchungen positiv getesteten Trisomie-21-Kinder abgetrieben.

Bei vielen anderen Behinderungen gibt es keine besonderen Tests, das wird während der Schwangerschaft entweder gar nicht oder nur durch Zufall festgestellt - im zweiten Fall oftmals sehr, sehr spät. In einem derartigen Stadium abzutreiben ist schon offizieller Fetozid. Es dürfen ja in Härtefällen auch Spätabtreibungen vorgenommen werden, aber dennoch ist kein Arzt und keine Klinik gesetzlich dazu verpflichtet, diese auch durchzuführen. (Dafür haben die großen Krankenhäuser Ethikräte, in denen über so etwas entschieden wird). Das führt teilweise dazu, dass Schwangere, die ihr behindertes Kind spätabtreiben wollen, durch ganz Deutschland tingeln und manchmal ins Ausland gehen, um dort doch noch ihre Abtreibung zu bekommen.

Während also diese Art der "diagnostizierbaren" Behinderungen wahrscheinlich seltener werden wird, steigt dennoch die Zahl der Schwerst-Mehrfachbehinderten an, weil viele Kinder, die durch vor oder während der Geburt auftretende (prä- und perinatale) Komplikationen behindert werden, inzwischen aufgrund des technischen Fortschritts in der Medizin überleben. Früher starben viele dieser Kinder kurz nach der Geburt oder im frühen Kindesalter, heute erreichen die meisten von ihnen das Erwachsenenalter.

Noch so ein Thema, worüber ich mich kaum traue, etwas zu sagen. Ist so ein Leben lebenswert? Teilweise haben die Betroffenen permanent Schmerzen, können aufgrund schwerer geistiger Retardierung ihre Umwelt nicht einordnen, bekommen oft Panikattacken, müssen ewige Krankenhausaufenthalte und unzählige Operationen über sich ergehen lassen, künstlich ernährt werden - und das nicht nur im Alter, sondern ein Leben lang.
Natürlich hat jeder Mensch schöne Momente, lächelt, lacht und empfindet Freude. Vielleicht ist es das schon wert genug.

Andererseits: Wenn man die Wahl hätte, "ein Kind" zu bekommen, und es nichts weiter ist als ein entpersonalisierter Zellklumpen im Mutterleib, man wüsste jedoch, dass es mal behindert auf die Welt käme...Wäre es da nicht naheliegend, zu sagen: Dieses Kind werde ich/werden wir nicht bekommen, lieber abtreiben und es irgendwann später noch einmal versuchen.

Da geht mir immer die Zeile aus diesem Kinder-Geburtstagslied im Kopf herum: "Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst (...)"
Und ich denke: Was für ein Schwachsinn.

Was Morgenrot sagt.

Das Problem ist wohl, dass durch die heutigen Möglichkeiten der Medizintechnik in jedem Fall eine Entscheidung getroffen werden muss. Jede Möglichkeit der Wahl bringt auch ungeheure Verantwortung mit sich... Da fragt es sich doch, ob wir Menschen mit unserem begrenzten Horizont wirklich die Macht haben sollten, so etwas zu entscheiden und damit gottgleich über Leben und Tod zu bestimmen, als oberste Instanz zu entscheiden, ob ein Leben "lebenswert" ist oder nicht...

Ich bin nicht sehr gläubig und denke nicht, dass so etwas "Gotteslästerung" sei, dennoch ist es eine gewisse Anmaßung.

Andererseits hat es das schon seit Jahrtausenden gegeben: Frauen haben abgetrieben, und behinderte Kinder wurde entweder aktiv getötet oder man hat sie einfach ausgesetzt und sterben lassen. Oft wohl auch, weil eine Familie sich das nicht leisten konnte. Eigentlich ist es also nichts Neues... doch inzwischen spricht man darüber. Und in den meisten Fällen muss jemand eben nicht sterben, wenn man es mit aller Gewalt zu verhindern versucht, da zählt auch kein "Gott hat es eben so gewollt"/"Inschallah"/etc. mehr...

Hier hat wohl wirklich die Technik den Menschen überholt. Und ich weiß nicht, ob das so gut ist.

Ich finde, man sollte in erster Linie darauf achten, dass das Kind und die Mutter/die Familie glücklich ist. Denn sonst leiden alle darunter.

Ich befürworte sowieso die unbegrenzte Entscheidungsfreiheit der Frau, ihr Kind abzutreiben. Und ich denke, es ist keine Schande, wenn jemand kein behindertes Kind haben will - warum sollte die Gesellschaft sich im Leben dieser Frau einmischen und ihr sagen, dass sie gefälligst ihr Leben und ihr Glück für das Kind opfern soll, damit die Gesellschaft das gute Gewissen eines "geretteten" Lebens haben kann? (Das gilt übrigens auch für die Abtreibung gesunder Kinder). Die Mutter und das Kind leiden nur unter einer ungewollten Schwangerschaft ohne Möglichkeit auf Abtreibung.

Im übrigen finde ich das Argument der Behindertenverbände egoistisch und leicht unrealistisch. Unrealistisch, weil es immer Behinderte geben wird, die vielleicht nicht von Geburt an erkrankt sind, sondern im Laufe ihres Lebens Unfälle gehabt haben, erblindet oder taub geworden sind und so weiter. Viele Behinderte, wage ich jetzt zu behaupten, sind nicht von Geburt an behindert gewesen. Egoistisch, weil sie sich, wie oben gesagt, dazu anmaßen, der Mutter vorzuschreiben, was sie machen muss, damit die Barrierefreiheit erhalten bleibt. Dazu haben sie nicht das recht, meiner Meinung nach.

Nun, wenn ich mich in die Position von behinderten Menschen hineinversetze, kann ich das schon verstehen. Wenn man zum Beispiel mit einer Spina Bifida oder einer Cerebralparese geboren ist, was bei den meisten eine rein körperliche Erkrankung ohne geistige Beeinträchtigung ist, dann führt man in den meisten Fällen ja doch ein sehr lebenswertes Leben. (Mit geistiger Beeinträchtigung wohl auch, aber diese Menschen versammeln sich weniger in Verbänden und Interessengemeinschaften, deshalb erheben sie weniger häufig öffentlich ihre Stimme und man bekommt weniger von ihnen mit.)

Dann kommt diese Abtreibungsdebatte dazwischen und die ganzen "Nicht-Behindis", die sich in eine solche Lebensführung absolut nicht hineinversetzen können, nur ihr ganz normales 08/15-Leben haben, sind sich auf einmal alle einig, dass die Abtreibung behinderter Kinder erlaubt sein sollte und ethisch vertretbar ist.

Damit kommt doch auf direktem Wege die Botschaft rüber: "Du bist menschlicher Müll. Dich hätte man abtreiben können/sollen/dürfen. Dein Leben ist weniger wert als unseres, und du fällst allen nur zur Last."

Somit ist der Protest von Behindertenverbänden wohl alles andere als unbegründet oder irrational.
Ach, es ist so ein Hin- und Herschwanken zwischen zwei völlig verschiedenen Standpunkten bei mir...

Wahrscheinlich sollte man in so einer Diskussion mehr differenzieren zwischen: körperliche Behinderung/geistige Behinderung/Schwerst-Mehrfachbehinderung. Das sind so völlig unterschiedliche Fälle...
Andererseits könnte man meinen, ein Down-Syndrom ist ja eigentlich nur eine leichte geistige Behinderung.
(Ein Kumpel, der in einer deutschen Behindertenwerkstatt FSJ gemacht hat, erzählte mir, dass einige der dort Arbeitenden adoptiert waren: Von Eltern, die speziell ein Down-Syndrom-Kind haben wollten. Einerseits, weil es so viel einfacher ist, es werden recht viele Downie-Kinder zur Adoption freigegeben, und andererseits auch, weil man auf diese Weise ein Kind hat, das immer irgendwie Kind bleibt, so zumindest der Traum der Eltern.)
Und dennoch reicht das scheinbar fast allen Schwangeren als Grund zur Abtreibung, notfalls auch später als im vorgeschrieben 14-Wochen-Rahmen.

(Achtung: spekulativ, abschweifend, einseitig (im Absatz über die Verantwortung) und alles, was so ein "Ich denk gerade drüber nach"-Text sonst so ist. Darf trotzdem angegriffen werden.)


Andererseits ließen sich all diese Argumente auf die Abtreibung "gesunder" Zellhaufen übertragen, und das tun wir nicht. Und ich denke, dass sich hier erstmals zeigt, worum es vielleicht im Kern vor allem gehen könnte: Die lange Tradition der Ausgrenzung behinderter Menschen und das Problem, das unabsichtliche Reduzieren einer Minderheit tatsächlich als unabsichtlich/individuell begründet erscheinen zu lassen und nicht als Auslöschungspolitik. Das will ja niemand, da kommt der eine oder andere Nazivergleich, um den eins hier leider nicht herumkommt, weder stammtischmäßig noch diskurshistorisch, und schon ist die Abtreibung eines einzelnen Kindes mit Trisomie 21 (ich nehme das als Beispiel, weil Kleo schon davor darauf hinwies), dem sich die Eltern finanziell und emotional nicht gewachsen fühlen, ein bösartiger Schritt zur Auslöschung jeglicher Individualität, zur Durchsetzung einer Gesellschaft deutscher Schäferhunde?
Achjeh, und das ist dann wirklich ein Problem. Denn: Die Behindertenverbände haben sicher recht, wenn sie die Sichtbarkeit ihrer potenziellen Mitglieder als wichtige Voraussetzung für deren Wertschätzung sehen (man denke an die vernichtende "Homosexualität find ich ok, aber die sollen sich halt nicht auf der Straße küssen"-Sache). Aber, und das ist wichtig, ist es nicht enorm zynisch, derartige gesellschaftliche Ziele so weit über das individuelle Wohlergehen zu setzen? Wobei, individuelles Wohlergehen- wird das überhaupt erwähnt? Ja, wird es: Die durch Sichtbarkeit akzeptierteren Behinderten sollen davon individuell profitieren. Und wieder: Das werden wir wohl alle als wichtig oder wünschenswert ansehen.
Ich hab jetzt tatsächlich lang überlegt, während des Schreibens. Eigentlich wollte ich dem Argument eine Vermischung zweier Ebenen unterstellen, der gesellschaftlichen, die "den Behinderten" hilft und der individuellen, auf der dadurch einzelnen behinderten Menschen ein angemessenes Leben ermöglicht wird. Nun bin ich mir aber unsicher, ob das so stimmt. Nein, eher nicht, eigentlich wird hier sogar klar getrennt und eine kausale Beziehung hergestellt. Irgendwie glaub ich nun, dass einfach (in dieser Form der Argumentation, das ließe sich natürlich alles einbauen und wird sicher auch getan!) eine falsche Annahme zu Grunde liegt. Ganz einfach die, dass prinzipiell alle Menschen die "natürliche" Fähigkeit zur Elternschaft haben, dass da "nicht viel dazugehört", dass wir alle unsere Kinder instinktiv richtig behandeln. Unterstelle ich.
(Das ist natürlich praktisch: Ein "normales" Kind kann jede_r erziehen. Ein behindertes ist sowas wie ein normales, mit dem der Alltag schwieriger wird (dafür habenn wir wöchentliche Treffs!) und das mehr kostet (passende finanzielle Unterstützung fordern wir eh schon seit immer und helfen da auch!). Eine große Herausforderung ist es also, aber doch nie ein Grund, abzutreiben, immerhin liegt alles, was ihr braucht, da irgendwo in euch, lasst es euch doch nicht von der Gesellschaft ausreden, nur, weil euer Kind anders ist, besonders.)
Wir wissen, dass das Blödsinn ist. Eulen bringen ihren Kleinen wahrscheinlich ohne große ideologische Probleme das Fliegen bei, indem sie sich auf ein Dach setzen und die Kleinen wo anders sitzen lassen und sie rufen. Menschen tun das nicht. Menschen streiten nicht nur darüber, wie Kinder richtig zu erziehen sind, sondern auch Probleme, die Menschen haben, werden darauf zurückgeführt, was mit ihren Eltern (und Geschwistern) so los war. Das lässt sich nicht ausschalten und es gibt wohl auch keine "richtigen" Lösungen, gute, gemochte, hilfreiche Eltern zu werden. Die Erkenntnis, dass Kinder nicht wie Blumen mit Wasser und Licht zu voller Pracht aufblühen, sondern dass so viele Alltagshandlungen, Erzählungen, Kontaktaufnahmen das weitere (lange) Leben dieses Menschen beeinflussen macht es mE ethisch unmöglich, Menschen die Verantwortung dafür als etwas "Natürliches" und somit eine Kompetenzverpflichtung aufzubürden. Und das mit zusätzlichen Belastungen? Ihr seht, worauf ich hinaus will.
Wie Klugi glaub auch ich, dass es keinen richtigen Zeitpunkt gibt. Aber es gibt Verantwortungen, die eins zu übernehmen sich zutraut, und andere, unter deren Vorstellung eins schon in Gedanken zusammenbricht. Letztere für eine gute Sache zu übernehmen mag edel und schön sein, kann sicher auch gutgehen, ich denke aber nicht, dass es vertretbar ist, irgendwen dazu zu verpflichten.

Ein (zugegebenermaßen sehr krasses und auch teils etwas unsachlich geschildertes) Gegenbeispiel für das Leben mit einem behinderten Kind kann man in diesem Artikel finden.
Da war ich schon ziemlich erschrocken, gleichzeitig hilft es, sich nochmals Gedanken um mögliche eigene Reaktionen zu machen, irgendwie.

Das ist ein schwieriges Thema. Meine Mutter arbeitet in einem Behindertenheim, dort leben viele- auch Schwerbehinderte Menschen. Die sind, in dem Umfeld, eigentlich viele ganz glücklich.Sie haben Freude. Sie spielen mit dem Heimleiter Schach und Gärtnern im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms. Diese Leute sind glücklich, trotz ihrer Behinderung, so scheint es mir. Auch die Bewegungsunfähigen haben ihre Freude. Das Therapiebad, oder ähnliches. In diesem, geschützten Rahmen führen sie also ein gutes Leben. Schlimm ist es für Fremd-oder Selbstaggressive Menschen, denn diese führen, so hat es zumindest für mich den Eindruck, kein besonders fröhliches Leben. Eine Beantwortung der Frage, ob man in diesem Fall abtreiben sollte, traue ich mir nicht zu. Schliesslich zerstört man damit ein Leben. Aber wäre dieses Leben glücklich? In was für Umständen würde es existieren? Ich weiss nicht, wie ich als Vater mit meiner Frau entscheiden würde. Aber bis ich wohl Vater werde (werde ich es überhaupt...), wird es wohl noch ein Weilchen dauern. Hoffe ich. Und ich hoffe, dass ich mir die Frage der Abtreibung nie stellen muss.

Mir ist nicht ganz klar, wie die thematische Gewichtung ursprünglich gedacht war - ob es um unsere persönliche Einstellung bezüglich des Umgangs mit dem Kinderkriegen insbesondere unter Berücksichtigung der Möglichkeit, dass ein behindertes Kind entsteht, bzw. man vor eine solche Diagnose gestellt wird, oder ob es um unsere Einstellung und Bewertung von Abtreibung aus moralischer Sicht im Allgemeinen geht usw. - wenn ich von der beabsichtigten Stoßrichtung abweichen sollte, mit diesem Post, tut mir das Leid.

Recht häufig ist ja von "der Gesellschaft" die Rede und kollektivistische Ansätze werden mit eher individualistischen verglichen, das hat blubbl ja explizit angesprochen. Im Grunde ist die unterscheidung sicher voraussetzung um Motive, Absichten, Überzeugungen usw. besser nachvollziehen zu können, gleichzeitig halt ich sie jedoch auch für recht problematisch. Auch das hat blubbl ja schon angesprochen, im Prinzip - wenn man von "der Gesellschaft" spricht, suggeriert man letztlich, dass es sich dabei um ein eigenständiges "Wesen" handelt, ein Abstraktum, das getrennt zu betrachten ist vom "Individuum" - und das ist m. E. nicht der Fall. Im Grunde ist es doch so, dass, wenn man mit den Bedürfnissen der Gesellschaft, also letztlich dem "Wohl des Großen Ganzen" argumentiert, man nur die Gesamtheit aller Individuen meint. Zumindest unter der Voraussetzung, dass man die Wirkung bzw. die beabsichtigte Wirkung einer Handlung für das aus moralischer Sicht entscheidende Kriterium hält, ist eine alleine das Individuum (bzw. e i n Individuum) betrachtende Herangehensweise zu kurz gegriffen. - Letztlich ist wohl immer die Gesamtheit aller Individuen entscheidend, denk ich - Problematisch ist eine solche, kollektivistische Sicht wohl nur, weil man dafür kaum je genug Informationen, genug Wissen, genug Rationalität und Objektivität hat, was Missbrauch dieses Ansatzes so verdammt einfach macht und womit dann Rechtsverletzungen gegenüber Minderheiten gerechtfertigt werden. - Wenn man sich ein Individuum herauspickt - ist das dann nicht eher eine... "Kontrollmenge", eine Stichprobe, anhand derer die Einschätzung der Gesamtwirkung überprüft werden soll? Würde man wirklich ein Individuum als Maßstab nehmen und damit alle anderen Individuen aus der Rechnung ausschließen muss man sich letztlich vom Gleichheitsgedanken verabschieden, oder mach ich hier einen Denkfehler? Ach, keine Ahnung, worauf will ich eigentlich hinaus...
Keine Ahnung, vielleicht darauf, dass eine Verengung der Sichtweise, egal welcher Art, sei es, in diesem Fall, auf das Kindeswohl, das Wohl der Eltern insbesondere der Mutter, der aufgrund gegenwärtiger gesellschaftlicher Strukturen vermutlich eine Sonderrolle zuzusprechen ist, oder das Wohl der Menschen mit Behinderung, denen das Durchsetzen von Erneuerungen in ihrem Sinne (Barrierefreiheit usw.) durch hohe Abtreibungszahlen erschwert würden, lediglich der Vervollständigung des Gesamtbildes dienen Können, nicht aber alleine ausreichend sind. Und dann geht es daran, Folgen abzuschätzen, Interessen abzuwägen usw. - wofür ich schlicht zu schlecht informiert bin, eine klare Position hab ich in der Frage also nicht.

Letzthin bin ich auf einer Seite irgendeiner fanatischen, christlich-fundamentalistischen Organisation gestoßen, die ihre Meinung bezüglich Abtreibung recht... deutlich gemacht hat - Die Argumentationsmuster dabei sind in der Regel mehr als billig, das fängt bei der überemotionalisierten und damit tendenziösen bzw. suggestiven Wortwahl an und hört bei den KZ-Vergleichen auf. Dass das vollkommen unangebracht ist, ist wohl klar, denke ich. Grundsätzlich halt ich Abtreibung unter bestimmten Voraussetzungen für legitim. Sicher nicht in jedem Fall bzw. in jedem Stadium, aber dasist ja zunächst irrelevant.
Einige Forderungen von Gruppen radikaler Abtreibungsbefürworter halte ich jedoch auch für ziemlich problematisch. Ein leichtfertiger Umgang mit Abtreibungen ist m. E. unverantwortbar - bleibt zu hoffen, dass schon der gesunde Menschenverstand und die Schnittmenge der meisten moralischen Überzeugungen dafür ausreicht, einen solchen zu verhindern. Ich bezweifle, dass irgendjemand eine solche belastende Entscheidung ohne gründliches Abwägen und gewichtige Gründe trifft, insofern kann man an der Stelle wohl ein Stück weit auf die Menschen selbst vertrauen (was nutzen schon Gesetze, wenn nichts dahinter steht...) - eine allgemeine Beschränkung, was das höchstalter des Kindes betrifft, in dem eine Abtreibung ohne Sondergenehmigung (die es für Sonderfälle sicher geben muss) nicht mehr legal ist, halte ich aber für angebracht. - Warum Mord an einem geborenen Säugling als "Mord" gehandhabt werden soll, eines ungeborenen Kindes, im annähernd gleichen Entwicklungsstadium jedoch nicht erschließt sich mir nicht ganz. Dass ein Kind außerhalb der Bauchdecke lebt verleiht ihm noch keinen zusätzlichen "Wert", denke ich. Auch das ist nur ein quantitativer Sprung, kein qualitativer. Dass die Entwicklung dermaßen Fließend und Stufenlos ist, dass es keine festen Grenzen gibt macht das ganze recht kompliziert, zumal eine "willkürliche", "zufällige" Grenzziehung dadurch praktisch unausweichlich wird. Ab welchem Punkt übersteigen die Interessen des einen die des anderen? Wenn wir nicht von einer Abtreibung aus Gründen des Kindeswohles ausgehen, sondern uns einen Fall nehmen, in dem lediglich aus Gründen der Karriere und Lebensplanung abgetrieben wird (sofern sich das trennen lässt, was sicher nur bedingt der Fall ist - ein nicht gewolltes Kind zu sein, beeinträchtigt das Wohlergehen eines Kindes wohl auch in erheblichem Maße. Ich hoff, es ist trotzdem klar, was ich meine) - ab welchem Punkt, ist das Kind so weit entwickelt, die komplexität des Empfindens so weit fortgeschritten, dass die Schmerzen und die genommene Zukunft schwerer wiegt als die Interessen der Eltern? Sicher von Einzelfall zu einzelfall unterschiedlich und nur möglichst unter Einbeziehung aller bekannter Fakten beantwortbar, nicht aber eindeutig und objektiv.

Genausowenig ist wohl eine klare Grenze zu ziehen, ab wann ein Leben lebenswert ist, wie viel Leid einem Kind zumutbar ist - ganz abgesehen davon, dass das immer nur Spekulationen sind, weil nicht mit Sicherheit abzusehen ist, wie das Leben eines Kindes aussehen wird. Auch da muss man wohl nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, mehr bleibt einem kaum übrig, Sicherheit und Gewissheit hat man in den seltensten Fällen.
Dass nicht jedes Leben "lebenswert" ist, bzw. dass es in Einzelfällen im Interesse des Kindes liegen kann, ein Leben wie das, das es den Diagnosen zufolge zu erwarten hat, nicht zu leben, denke ich schon. Umgekehrt gibt es aber sicher auch die Möglichkeit, Kindern mit schweren Behinderungen ein alles in allem menschenwürdiges, "schönes" Leben zu ermöglichen. Aber auch das hängt wieder von so vielen Faktoren ab - dem sozialem Umfeld, der Ausprägung der Behinderung, politischen, gesellschaftlichen Umständen usw. usf. - dass man die einzelnen Fälle nicht über einen Kamm scheren kann.
Wenn tatsächlich, unter berücksichtigung aller Möglichkeiten, Hilfsangebote usw., klar sein sollte, dass ein Kind ein Leben, dessen Tage womöglich eh gezählt sind, lang unter einer Behinderung leiden wird, ein menschenwürdiges, halbwegs normales und glückliches Leben unmöglich ist, ist eine Abtreibung wohl angebracht. Und auch in anderen Fällen, bei Kindern, bei denen der Faktor "Behinderung" keine Rolle spielt, gilt wohl,
dass die Aussicht, dem Kind kein Leben ermöglichen zu können, dass ein gewisses Maß an Aussichten auf ein anständiges Leben erfüllt, eine Abtreibung rechtfertigt.
Mit einem bedingungslosen "Gleichheits"-Gedanken nimmt man m. E. unzulässige Verallgemeinerungen vor. - Nicht jeder Homo Sapiens ist gleich, hat ein gleich lebenswertes Leben vor sich. Mag wünschenswert sein, ist aber sicher nicht so - und insofern muss man wohl der Realität ins Auge schauen. Abtreibungen als Reaktion auf Behinderungs-/Krankheits-Diagnosen ausgehend von pränatalen Untersuchungen grundsätzlich abzulehnen wird m.M.n. weder den betroffenen Eltern noch den Kindern gerecht. Folglich beurteile ich wohl auch die Diskussionen um die Zulassung gewisser Untersuchungsmethoden in diesem Sinne.
Wie dem auch sei, ich bin froh, nicht vor so einer Entscheidung zu stehen und hoffe sehr, dass das auch nie der Fall sein wird.

EDIT: Ich bin gestern 15 Stunden in einem Auto gesess, hab nicht lange geschlafen und mein Hirn fühlt sich entsprechend matschig an. Ich behalte mir vor, meine Meinung in absehbarer Zeit, wenn ich etwas besser funktioniere, zu ändern und entschuldige mich für das sinnlose gebrabbel ^^

Zitat

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Recht häufig ist ja von "der Gesellschaft" die Rede und kollektivistische Ansätze werden mit eher individualistischen verglichen (...)

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In diesem Fall kann man wohl "die Gesellschaft" schon als das bezeichnen, was individuell als Übermacht empfunden wird von den betroffenen Eltern und teilweise den behinderten Menschen selbst. "Die Gesellschaft", das sind tägliche Blicke und Bemerkungen auf der Straße, Fragen, die unverblümt und intimsphären-verletzend gestellt werden. Natürlich gibt es Gruppen und Interessengemeinschaften, die in die eine oder andere Richtung vom Mittelmaß abweichen, dennoch ist ein solches nicht zu verleugnen und hat sich mMn auch in den hiesigen Beiträgen schon herauskristallisiert; eine Balance zwischen "Abtreibung behinderter Kinder ist anmaßend und verletzt die Menschenwürde" und "es ist verständlich, nachvollziehbar und verzeihlich".

Nicht zuletzt versucht die Politik ja aktiv, diesen Mittelweg, der dem Großteil der Bevölkerung entgegenkommen soll, möglichst menschenfreundlich und -würdig umzusetzen. (Nicht, dass das immer gelingen würde...)

(In dem Fall bezog ich mich weniger auf verbreitete Behindertenfeindlichkeit, mangelnde Akzeptanz und Unterstützung von Seiten der "Gesellschaft", sondern hauptsächlich auf das abwägen von den Interessen eines der betroffenen Individuen und einer Gruppe von Individuen, die als "Gesellschaft" o. Ä. zusammengefasst werden und dadurch ihre Persönlichkeit im Sprachgebrauch einbüßen, nicht als Einzelmenschen wahrgenommen werden, obwohl sie das sind, und dadurch an Relevanz in der Argumentation einbüßen.
Die "Natur" wird auf ähnliche Art gerne Personifiziert. - Wie oft hört man, etwas sei "gegen den Willen der Natur" o. Ä.... aber das ist wohl ein anderes Thema. Entschuldige meine schwammige Ausdrucksweise, Kleo. (Was das subjektive Empfinden der betroffenen und dem Verhältnis zur Gesellschaft betrifft, stimm ich dir im Übrigen weitestgehend zu, denk ich.))