Auch "die Natur" ist leicht definierbar als das, was eintritt, wenn Menschen nicht aktiv in Verläufe (z.B. bei Krankheiten) eingreifen!
Auch, wenn der Begriff natürlich oft verallgemeinernd oder inkorrekt verwendet wird und das Phänomen, dass der "Natur" ein aktiver Wille unterstellt wird, ins Reich der Umgangssprache zu verweisen ist, somit stellt das Ganze eher ein romantisierendes Idealbild dar.

Zum Thema "Gesellschaft": So gut wie jeder Mensch wird sich wohl selbst als Individuum bezeichnen, sich aber nie als "Gesellschaft" sehen, höchstens als Teil davon, was ein deutlicher Unterschied ist. Dass niemand als Einzelperson ein bestimmtes Durchschnittsschema erfüllt, ist, glaube ich, allen bewusst.

(Nun sind wir schon wieder völlig offtopic bei Begriffsdiskussionen angekommen, die nichts mehr mit dem eigentlichen Zweck des Threads zu tun haben...)

(Um genau die von dir dargestellte Verwendung des Naturbegriffes ging es mir doch. Um die Personifizierung der Selbigen, dass ihr ein Wille zugesprochen wird, sie als eigenständiges Wesen gehandelt wird, aber du hast Recht, das hat mit dem Thema nichts zu tun.
Der Begriff "Gesellschaft" aber schon, denk ich. In eben dieser Verwendung als einer anonymen Masse - weil das Interesse der "Gesellschaft" dem Interesse des "Individuums" gegenübergestellt wird, als sei das ein Gegensatz, was aber m. E. nicht der Fall ist, auch bei der Gesellschaft geht es ja um Individuelle Interessen, die dementsprechend in ihrer Wertigkeit denen des Individuums in nichts nachstehen. Ich hab nur oft das Gefühl, dass der alltägliche Sprachgebrauch dazu verleitet.)

Zitat von Kleo

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Tatsächlich werden 92% aller bei vorgeburtlichen Untersuchungen positiv getesteten Trisomie-21-Kinder abgetrieben.

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Das ist richtig, und auch ein wenig schon komisch: das 21. Chromosom ist dreimal statt zweimal vorhanden - nach der Evolutionstheorie hat hier die Natur die nächste Stufe Mensch kreiert - und wir treiben es ab.
Die Gründe der Eltern kann ich schon verstehen, aber das wollte ich mal gesagt wissen...

Ich warte auch schon lange darauf, dass mir endlich ein sechster Finger und eine zweite Zunge wächst. Aber bislang bin ich ein... evolutionspolitischer Blindgänger. Ich enttäusche den alten Charles wohl ein wenig.

Wie ich klein war hatte ich einen Freund, einen Jungen in meinem Dorf der hatte keine Beine seit er geboren war. Wir haben den dann immer auf einen alten Skateboard zur schule gezogen und so. Aber der durfte in die schule, ich glaube meine Eltern haben auch mit dem seinen Eltern geredet deshalb. So hatte der auch mit den anderen Kindern sein können und lernen. Ich weiß nicht von dem was er jetzt macht. Wäre mal interessant zum wissen.
Aber die Mutter von dem Jungen hatte auf einer Farm gearbeitet wo die viel mit Giften gemacht haben. Rosen für China glaube ich. Jeder wusste das, doch die menschen mussten ein Geld machen und für die Farm was das egal. So ist der so geboren worden.
Jetzt habe ich gehört, es gibt schon schnelle Tests, wo die die Gefahr messen können bis so etwas passiert. Ich weiß nicht wie das funktioniert, vielleicht Blut oder urin oder dann eine Abortion. Aber ist sicher gut wenn die Eltern nicht mehr Angst haben müssen wenn die ein Kind haben wollen. Ich glaube das ist auch gratis für die Arbeiter auf einer Farm. Und wenn das noch nicht so ist, dann wäre das gut! Sollen die gratis machen wenn die schon Schuld haben!

Aber Tami...das ist doch eigentlich trotzdem furchtbar.
Statt die Arbeitsbedingungen zu ändern und die Arbeiter besser vor Giftstoffen zu schützen und schwangeren Frauen Mutterschaftsurlaub zu geben, wird denen einfach ein Test und dann eventuell eine Abtreibung angeboten?
Das ist doch nicht die Lösung des Problems!
Für mich klingt das ziemlich unverantwortlich und so, als wollte die Firma nur so tun als ob, Sorge um ihre Mitarbeiter simulieren und sich in einem positiven Licht darstellen, obwohl sie in Wahrheit nur Profit im Sinn haben.

So ein paar Tests und operative Eingriffe sind eben billiger als wirkliche Veränderungen durchzusetzen.

...zumal eine Abtreibungen definitiv nichts schönes ist, was man mal so nebenbei machen kann/sollte, was einkalkuliert und berechnet und in Kauf genommen wird.
Unter bestimmten Voraussetzungen sind abtreibungen gut und richtig - sofern aber keine Notwendigeit besteht sollte man, denke ich, davon abstand nehmen. Sowohl für Mutter als auch für das Kind ist es wohl in der Regel nichts allzu angenehmes und wenn sich Situationen verhindern lassen, die eine Abtreibung notwendig machen...
Ich bin kein Abtreibungsgegner, halte Abtreibungen aber zumindest für etwas wenn möglich zu-vermeidendes, womit man nicht leichtfertig umgehen sollte...
Und in diesem Fall ist es, wie Kleo schon schrieb, meines Erachtens keine Lösung...

Ja das ist schlimm, aber auch gut oder? Ist besser als die haben dann die kinder und verstecken die oder lassen die zu hause weil die kein geld für die schule haben und auf dem Feld können die ja auch nicht arbeiten.
Es gibt keine einfachen Lösungen. Auch nicht wenn du viel philosophierst. Alles ist kompliziert weil alles verbindungen hat. So müssen die Chinesen mehr für Rosen bezahlen wenn die Farmen mehr für die Arbeiter tun. Das können die aber nicht, außer wenn du in Europa mehr für Sachen aus Asien bezahlen willst. So dreht sich das immer weiter. Aber das ist auch nur Theorie. In Wirklichheit sind dazwischen die menschen die all das Geld behalten wollen. Oder noch einfacher: Das Equipement ist dort aber niemand weiß wie das benutzen und dann verrostet das. Oder der Kontrollmann kommt nicht in das Dorf weil Monsoon ist und die Straße kaputt. Und dann korruption, passiert auch. Theorien sind schön wenn du in westen sitzt und studierst, aber ist alles nicht so einfach am Ort.

Ich glaube auch das Abtreibung nicht einfach ist für eine Familie. Aber manchmal vielleicht ein besserer Weg. Hier in Europa kenne ich mich nicht aus wie das ist. Wie lange ist Abtreibung legal hier und welche Frauen machen das?

Klar ist alles extrem Verwoben. Und das immer wieder auch die Rolle der so genannten westlichen Welt zum Tragen kommt ist auch klar. Ich sag ja auch garnicht, dass man da nicht auch ansetzen soll.

Aber so eine "Lösung" birgt eben auch recht viele Gefahren - Wenn Schwangerschaftsabbrüche einkalkuliert werden in den Haushalt eines Unternehmens läuft das letztlich auf vollkommene enteignung der Menschen/Frauen hinaus und schadet ihnen letztlich selbst - Probleme werden verschoben, verdeckt. Und wenn das nicht nur als "Zwischenlösung" angesehen wird, sondern so getan wird, als hätte man mit der kostenlosen Bereitstellung von Untersuchungen und Abtreibungen sein Ziel erreicht, droht es, dass es bei diesen Zuständen bleibt.
Droht nicht eine Einverleibung auch noch der letzten Lebensbereiche durch das kapitalistische Wirtschaftssystem durch so ein vorgehen?

Besser als die Gegenwart, vielleicht, aber keine Lösung, denk ich - und im Übrigen: Wer braucht Rosen? Bzw. wer braucht Rosen so dringend, dass soetwas dadurch gerechtfertigt würde? Dann steigen die Rosenpreise halt und in China sinkt die Nachfrage - so what? Man stirbt doch nicht an Rosenmangel.

So du brauchst keine Rosen und ich auch nicht. Aber in China ist das modern, seinem Schatz Rosen zu schenken wie in westen. Und das müssen die entscheiden wie wichtig das ist für die. Ich glaube das wird noch mehr wichtig. So wie hier. Aber vielleicht hast du Recht und die wollen keine mehr weil die teuer sind. Aber dann kaufen die keine und dort in Sri Lanka oder auch sonst haben die Menschen keine Arbeit mehr. Dann müssen die auf Feld aber die habe nicht genug Land, und so weiter. So würden die hungern. Jetzt wie das ist können die Arbeiten und auch Schulgeld bezahlen, neue Klamotten und vielleicht anderes. Ist doch besser für die. Ich glaube nicht das Abtreibung von einem behinderten Kind so ein großen Problem ist, wenn du nicht weißt wie du selbst satt werden sollst. Ist immer Frage von Standpunkt.
Ich glaube hier in Europa hast du recht und ich bin auch gegen die Abtreibung weil die alle Chancen haben auch wenn die behindert sind. Solange die eine Familie haben wo die gut leben können. Kapitalistisch ist auch hier alles oder? Werbung für Kondome, Babypille ist teuer, wieviel Steuergeld bekommst du, aber so viele Liebesfilme im tv, usw.

Zitat

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Ich glaube nicht das Abtreibung von einem behinderten Kind so ein großen Problem ist, wenn du nicht weißt wie du selbst satt werden sollst.

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Ich hab ja nicht gesagt, dass Abtreibung an sich ein Problem ist - ich halte es nur für absurd bei der Problemlösung nicht da anzusetzen, dass man die Arbeitsbedingungen so verändert, dass es garnicht erst dazu kommt, dass Arbeitende mit Stoffen in Berührung kommen, die zu Behinderungen führen, die dann abgetrieben werden.

Und das Argument, dass es die bessere Alternative ist, weil die Menschen ja sonst arbeitslos wären... naja, zum einen kann eins die Arbeit ja beibehalten und die Bedingungen verbessern (Klar geht das mit Preissteigerung einher - wenn eins in Europa nicht bereit ist diesen Preis zu zahlen wird man da halt mit Gesetzen eingreifen müssen...) - und wenn das nicht geht, sind die Arbeitsplätze nicht wert, erhalten zu werden. Mit dem gleichen Argumen wird auch Kinderarbeit häufig verteidigt - die Familien seien ja angewiesen auf das Geld. Aber das lenkt doch vom eigentlichen Problem ab: Dass wirtschaftliche, soziale und politische Strukturen überhaupt erst dazu führen, dass die Menschen darauf angewiesen sind.

Insofern ist das Angebot an Frauen, die schwanger werden und aufgrund der Giftstoffe behinderte Kinder bekämen, abzutreiben, reine Symptombehandlung und zeugt vom Zynismus dieser kapitalistischen Drahtzieher.

Dass wirtschaftliche, soziale und politi...gewiesen sind.

Natürlich ist das so schade. Es ist nur bisschen schwer Wirtschaft, Politik und Soziales alles zugleich zu ändern. V.a. wenn die Menschen im Kopf das nicht können. Es ist one step at a time. Für jede Änderung gibt es Menschen die gerne das behalten wollen, aus ihren eigenen Gründen. Auch das ist demokratie. Kann man nur das beste draus machen und über das was man nciht ändern kann nicht zu lange unglücklich sein. Für jetzt, ich glaube es ist schon das beste wenn die weiter bisschen Geld haben können und nicht verhungern. Hungrige Menschen machen Revolution, aber oft mit Gewalt und Leiden. Weniger hungrige und illiterate Menschen haben vielleicht mehr Energie für gute Änderungen.
Ich habe, weil ich mal von meinem Kinderheitsfreund das erzählte, nachricht was der macht. Er hat ein Business mit Importwaren und ist ganz zufrieden. Macht auch lieber kapitalistische Sachen als nur traurig zu sein und warum zu fragen

Generell finde ich, sollte es jeder Frau erlaubt sein, zu entscheiden, ob sie ein Kind bekommt oder nicht. Sie sollte selbst entscheiden dürfen, ob sie abtreibt oder nicht.
Denn wenn sich eine Frau der Aufgabe nicht gewachsen fühlt - und dabei ist es ganz egal, ob es ein Kind mit oder ohne Behinderung ist, ein Kind ist eine Aufgabe, für die einen eine schöne, für die anderen eben eine unmögliche - dann ist es nicht sinnvoll, es zu strafen, wenn sie abtreibt und nicht erst das Kind zur Welt bringt, um dann damit nicht umgehen zu können. Denn was bringt es einem Kind, mit einer völlig überforderten Mutter aufzuwachsen? Ich kenne eine Person, die Im Alter von 2 Jahren zu Adoptiveltern kam, von denen sie sehr schlecht behandelt wurde. Diese Person ist jetzt 29 und hat schon mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen, weil sie den Eindruck hatte, dass sie nicht "gewollt" war.

Mit der Behinderung ist das ja noch mal schwieriger abzusehen. Mag sein, dass ich etwas naiv bin, aber ich würde sagen, dass es mir, wenn ich ein Kind haben wollte, egal wäre, ob es behindert ist oder nicht. Von daher würde ich auch vorher keinen Test machen. Jeder Mensch ist gleich viel Wert, egal, ob er hören kann oder nicht, ob er essen kann oder nicht, oder ob er von alleine atmet oder nicht.
Ein Lehrer auf unserer Schule hat eine 30-jährige Schwerstbehinderte Tochter. Er hat sich von Anfang an um sie gekümmert, und er kümmert sich immernoch um sie. Er liebt seine Tochter wie keinen anderen Menschen und er ist stolz auf sie.
Solche Menschen bewundere ich dann für ihre Stärke. Es ist nicht leicht mit einem Behinderten Kind, glaube ich, aber das heißt ja nicht, dass es nicht schön ist.
Von einer Mutter, die ebenfalls zwei behinderte Kinder hat, habe ich mal diesen Spruch gehört:
"Ein behindertes Kind ist wie ein schiefer Baum - du kannst ihn nicht gerade machen aber du kannst ihm helfen, Früchte zu tragen". Und ich finde, dass er so wahr ist. Aus jedem Menschen kann etwas werden, jeder hat sein Recht darauf, das Leben zu genießen. Wenn mein Kind natürlich einen Hirntod erleidet oder sämtliche Sinne verliert, sodass es nichts mehr mitbekommt und nur noch ein Körper ist oder unendliche Qualen erleiden muss, dann ist das eine andere Sache.
Mein Motto wäre: wenn ich dem Kind ein schönes Leben ermöglichen kann, würde ich alles dafür tun.
Jedoch finde ich es gut, wenn Frauen die Möglichkeit haben, abzutreiben, und auch eben diesen Test zu machen. Gerade ein behindertes Kind aufzuziehen ist bestimmt eine schöne Aufgabe, aber eben auch keine leichte aber eine sehr wichtige. Und eine Person, die sich diese wichtige Aufgabe nicht zutraut, sollte man nicht dazu zwingen oder emotional erpressen, das Kind zu bekommen, unter dem Risiko, dass das Kind später mal unter einer schlechten Erziehung und einer schlechten Familie leiden muss.

[Nachtrag]Sorry, lang, unstrukturiert und dumm. Nicht lesen.[/Nachtrag]

Jetzt arbeite ich schon seit einigen Monaten mit mehrfachbehinderten Menschen - keine Kinder zwar, bezüglich des Alters, aber vielleicht dennoch Themenrelevant, weil natürlich Kinder von irgendwem. Ich hab also fast täglich einige Stunden mit diesen Menschen zu tun, teilweise auch mit ihrer Familie. Und das ganze Thema kommt mir so unglaublich kompliziert vor, so vielschichtig...
Ständig seh ich mich auch moralischen Konflikten ausgesetzt - es ist recht kompliziert und so uneindeutig.

Wir haben irgendwo (wars hier, wars im Schulmodelle-Thread?) mal über Inklusions-Modelle und -Visionen gesprochen. Und ich weiß weniger denn je, wie ich dazu stehe, weil so klar ist, dass das jetzige (und das "alte" - als gäbe es, oder hätte es jemals ein einheitliches System gegeben, also nur der Veranschaulichung wegen.) System hochproblematisch ist, Verbesserungen aber so schwer möglich sind, mir nicht klar ist, was denn wie anders gemacht werden sollte und Inklusionsmodelle teilweise einfach kaum umsetzbar sind und m.E. Garnicht zwangsläufig positive Auswirkungen haben, wenn die Umsetzung nicht so gelingt, wie sie dem Ideal nach aussehen müsste, so schön sie auch scheinen...

Klar, als erstes, augenfälligstes bleibt wohl zu konstatieren, dass soziale Einrichtungen, die sich um Meschen mit Behinderung kümmern mehr Geld brauchen. Mehr Personal. Letztlich ist mehr Personal nötig als es zu betreuende Personen gibt. Weit mehr. Und dieses Personal muss besser bezahlt werden.

Schon jetzt kommen in meiner Gruppe auf 11 Bewohnerinnen 8 Dauerhaft arbeitende Menschen, gelegentlich einige Vertretungen und dann natürlich haufenweise Personal in Küche, Wäscherei, Verwaltung, Infirmerie usw. usf. - also letztlich mehr MitarbeiterInnen als BewohnerInnen. Und trotzdem reicht es oft nicht wirklich aus. Jedenfalls nicht, damit alles wundertoll läuft. Klar, für die grundlegende Lebensführung reicht es, für den pflegerischen Teil usw., auch wenn der teilweise recht stressig, anstrengend, körperlich belastend ist - aber das Arbeitsklima, dass sich auf die Menschen dort natürlich auch auswirkt, leidet ein Stück weit, Menschen haben nicht immer die Kraft, sich dann auch noch darum zu kümmern, dass die Bewohnerinnen in ihrem Alltag ein bisschen Abwechslung und input haben usw. usf. - immer wieder sind auch mal nur zwei MitarbeiterInnen in der Gruppe. Ausbildungsmäßig sind die Leute eigentlich garnicht immer wirklich für die Arbeit qualifiziert - und dann gelegentlich eben überfordert.

Ich hatte nach zwei Monaten erste Rückenschmerzen, die bis jetzt, im fünften Monat, nicht weggegangen, sondern tendentiell stärker geworden sind. Ich merke an mir selber, dass ich nicht den Ansprüchen entspreche, die ich auf abstrakter Ebene an Menschen habe, die in dem Bereich arbeiten. Ich merk, dass ich teilweise Sachen schleifen lasse, um schneller mit irgendwas fertig zu werden an Gründlichkeit vermissen lasse, dass ich ungeduldig bin, bisweilen usw. usf. - und Praktiken, die mir sehr problematisch erscheinen, wirken andererseits teilweise fast unvermeidlich - Etwa das nächtliche "einsperren" eines Bewohners in seinem Zimmer, das Festbinden an einem Stuhl, wenn er mal wieder an Kleidern und Haaren zieht und partout nicht damit aufhören will etc. - Und ich kann verstehen, dass MitarbeiterInnen teilweise darauf verzichten wollen, jemanden nach dem Mittagsschlaf zu wecken, weil eh schon so viel zu tun ist, und der Mensch so zumindest nicht überwacht werden muss, auch wenn das eigentlich ziemlich scheiße ist. Ich kann auch verstehen, dass wenn Abends mal sehr viel zu tun ist, das Zähneputzen gestrichen wird um überhaupt rechtzeitig fertig zu werden. Ich sehe immer wieder Situationen, in denen es kaum vermeidlich ist, gegen den Willen einer Person etwas zu tun (bei den Menschen, die da überhaupt zu Willensäußerungen in der Lage sind.) - Medikamente und Essen z.B. müssen schließlich sein, was will eins tun? Eigentlich ist es Privatsphäre und Wahrung von Intimität-mäßig scheiße - und trotzdem werden Menschen manchmal gleichzeitig im großen Badezimmer zur Toilette gebracht und bekommen die Windeln gewechselt Usw. usf.
Und ohne, dass ich solche schrecklichen Ereignisse irgendwie relativieren, rechtfertigen oder sonstwas möchte, scheint es mir fast naheliegend zu sein, dass es eins in den Medien immer wieder hört, dass es in derartigen Einrichtungen immer mal wieder zu Übergriffen und Misshandlungen führt. - Wenn ich bedenke, dass wir einen extrem guten Personalschlüssel haben, vergleichsweise, und in Altenheimen eine MitarbeiterIn teilweise viermal so viele Menschen zu betreuen hat, die PflegerInnen in Krankenhäusern ungleich mehr durch die Gegend hetzen müssen usw.

Aber das sind Dinge, die sich, zumindest theoretisch, einfach durch ein besseres BewohnerInnen:MitarbeiterInnen-Verhältnis vermeiden/verbessern lassen (wobei da, wie immer, die Frage nach der Finanzierung eine offene Frage bleibt ? die Kosten sind ja jetzt schon immens... und die Trägerorganisation hat wohl keinen finanziellen Spielraum mehr.).

Es gibt ja verschiedene ideologische Ansätze, wie eine Gesellschaft am besten aufgebaut zu sein habe, hinsichtlich Menschen mit Behinderungen. Archen etwa haben da ja ein eigenes Konzept ? behinderte Menschen und nichtbehinderte, die in Wohngemeinschaften zusammenleben und letztere die eingeschränkten Fähigkeiten der ersteren durch Hilfeleistungen ausgleichen. Dabei soll wohl ein Stück weit auch erreicht werden, dass es nicht mehr als Arbeit, als Dienstleistung angesehen ist.
Im Prinzip eine tolle Sache und bewundernswert, wenn Menschen das tun, ich weiß allerdings nicht, ob sich dieser Ansatz auf größere Zusammenhänge übertragen ließe. Zum einen handelt es sich m.E. Eben de facto doch um ein solches Dienstleistungs- und Arbeitsverhältnis, das kann kaum geleugnet werden, zum anderen bedeutet es für die dort Arbeitenden/Wohnenden eine derartige Beschränkung von persönlicher Freiheit, dass ich nicht glaube, dass das ein allgemeiner Lösungsansatz sein könnte. Im Übrigen wohnen in so ziemlich allen Archen, von denen ich bislang gehört habe, eher etwas weniger stark behinderte Menschen als in der Einrichtung, in der ich arbeite... Kann Zufall sein, vielleicht ist das System aber auch eher für derartige Zusammensetzungen geeignet, ich weiß es nicht. - Wenn eins alle Menschen zusammenfassen will, in all ihrer Unterschiedlichkeit, muss letztlich vorausgesetzt werden, dass die betreuenden Menschen nicht nur die Kapazität (was schwerlich zu erreichen ist) sondern auch die Fähigkeit, das Know-How haben, um all diesen Menschen individuell gerecht zu werden. Und das ist m.E. Illusorisch ? So viel spezialisiertes Wissen lässt sich kaum in einer Person bündeln, zumal, wenn sie im Fall von Lehrpersonen auch noch fachliche Kompetenzen haben sollte. - Bei uns zumindest ist es teilweise etwas problematisch, dass die MitarbeiterInnen letztlich nicht geschult sind im umgang mit Menschen mit psychischen Behinderungen, oder mit AutistInnen, whatever ? was sich teilweise deutlich äußert. - Es wird wohl ein neuer Bereich etabliert werden, in dem autistische Menschen betreut werden, von entsprechend geschulten Menschen. - Eine sehr zweischneidige Sache, irgendwie ? einerseits teilweise fast nowendig, vielleicht ermöglicht es, den Menschen besser gerecht zu werden, eine bessere Betreuung. Andererseits ist es eine dem Inklusionsgedanken ja geradezu entgegengesetzte Entwicklung, oder? Immer weiter aufspalten und trennen, die verschiedenen Formen von Behinderung auch noch auseinanderbasteln, nicht nur Nichtbehinderte von behinderten Menschen trennen. - Ach, keine Ahnung.

Wie sähe denn optimalerweise das Leben und die Betreuung dieser Menschen aus? Lässt sich wohl nicht einfach beantworten ? die Menschen sind dermaßen unterschiedlich hinsichtlich Charakter, Fähigkeiten und Bedürfnisse, dass alle eingleisigen Visionen dem nicht richtig gerecht werden können. Irgendeine Art von Betreuung und Pflege muss es natürlich geben. Die Menschen sind ja ohne garnicht lebensfähig. Dass die Eltern das nicht ihr Leben lang leisten können ist auch klar. - Klar, rein theoretisch könnten Schulen so gestalten sein, dass dort auch die Menschen, die weder gehen, noch reden, noch essen, noch irgendein Körperteil anheben können dort betreut werden und ihnen zumindest die Schule als sozialer Raum geboten wird. Und danach? Für die Menschen, die das können, gibt es ja z.B. solche Werkstätte, die darauf abzielen, behinderte Menschen in die ?normale? Arbeitswelt zu integrieren ? die Erfolgsquote liegt jedoch im Promillebereich. Sicher aber trotzdem eine sinnvolle Sache. Aber für die Menschen, die dazu nicht in der Lage sind? Ich seh einfach kaum Alternativmodelle zu Einrichtungen wie der, in der ich arbeite, zu Archen o.Ä.
Wie auch immer ? zu den Familien: Zwei BewohnerInnen bei mir kommen nur zwischen 9 und 16 Uhr in die Einrichtung und wohnen bei ihrer Familie, die meisten der anderen werden oft übers Wochenende abgeholt. Ein paar bleiben eigentlich immer im Site du Neuhof. - Die Familie wohnt in einer anderen Ecke von Frankreich, ist vor Jahren verschwunden, lässt nichts von sich hören o.Ä.
Einige Familien kümmern sich akribisch um ihre Kinder, überwachen genau, dass auch bei uns in der Einrichtung alles ihren Vorstellungen entsprechend verläuft. Mehrere Elternteile arbeiten selbst in diesem Bereich.
Ein anderer hingegen hat einmal einigermaßen "gehen" gekonnt, das aber verlernt, weil die Familie ihn dabei letztlich behindert hat, anstatt ihn zu fördern. - Bei mehreren schwerbehinderten Kindern ist ein kriechendes Kind praktischer und einfacher zu handhaben als ein gehendes. Der Mensch kommt immer in einem miserablen hygienischen Zustand zu uns. - Wohl auch das Resultat der überforderung der Eltern. Wie auch immer, dass sowas unglaublich viel Kraft kostet, bisweilen überfordernd ist und so ist eh klar.

Viele der Menschen in der Einrichtung waren nicht immer behindert - einer etwa wurde von einem Arzt fallen gelassen, als er noch ein Kleinkind war. Ein anderer von einer Babysitterin zu doll geschüttelt... - Letztlich wird ein Mensch, der Kinder haben will wohl bereit sein müssen, sich um diese Kind zu kümmern, auch wenn es behindert sein oder werden sollte, da das immer möglich ist ? Das lässt sich eben nicht durch Diagnostik und darauf folgende mögliche Abtreibung nicht in Gänze ausschließen (Nicht alle Formen von Behinderung lassen sich ja so schön eindeutig erkennen, nicht alle sind von Anfang an da usw.). Wenn eins also ganz, ganz sicher ist, im Fall einer Behinderung des Kindes sich nicht um besagtes Kind kümmern zu wollen oder zu können und nicht nur die Wahrscheinlichkeit reduzieren will, dann kann eins dieser Selbsterkenntnis wohl nur durch Verzicht auf Kinder gerecht werden, fürchte ich...