I just occured to me, that we don't have any, any (!) let's-talk-in-foreign-languages-and-be-proud-about-it-thread! That's, that's - awful! Really. You know, we could talk about a lot in english, for example loads of nonsense, or just very uninteresting topics (though I don't judge the weather as one of these, be assured.) and...yeah. Get a bit more confident with this wonderful language, things like this. So, how about it?
Thema von mockturtle im Forum Literatur und Schreiben
tada.
'Ah, then yours wasn't a really good school,' said the Mock Turtle in a tone of great relief. ?Now, at ours they had at the end of the bill, "French, music, and washing-extra.? ? ?You couldn?t have wanted it much,? said Alice; ?living at the bottom of the sea.? ?I couldn?t afford to learn it,? said the Mock Turtle with a sigh. ?I only took the regular course.? ?What was that?? inquired Alice. ?Reeling and Writhing, of course, to begin with,? the Mock Turtle replied; ?and then the different branches of Arithmetic-Ambition, Distraction, Uglification, and Derision.?
Ich hab in letzter Zeit eigentlich nicht viel geschrieben, nur Sachen angefangen und wieder verworfen. Grad habe ich aber eine Geschichte aus dem Dezember letzten Jahres wiederentdeckt, es ist ein anderer Text als die davor, aber das sag ich wohl jedes Mal. Also hier kommt's. Sie ist übrigens etwas lang.)
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Am Anfang waren wir zu dritt. Saskia, Marlen und ich. Saskia war zwar schon immer klein, aber doch der Mittelpunkt, das war schon früher so. Brauchte es einen Indianerhäuptling, dann war es Saskia. Marlen war weder groß noch klein, genauso wie ich, gut, ein bisschen größer, sie hatte rotblonde Haare und sagte generell nichts. Und ich war irgendwo dazwischen.
Saskia wollte immer, dass wir uns schwören, dass wir uns immer treu bleiben, immer befreundet bleiben, Blutsschwestern waren wir, nur dass sich keine von uns wirklich getraut hätte, Blut ins Spiel zu bringen. Ich hätte dagegen sowieso lautstark protestiert. Wenn sich einer mit Saskia stritt, dann war ich es. Es passierte nicht oft, aber ab und zu stritten wir uns, das konnte man nicht vermeiden, Saskia mochte keine anderen Meinungen. Marlen war dann still und sagte nichts.
Es ist ja nicht so, dass Saskia tyrannisch gewesen wäre. Sie war lustig, sie scherzte oft und sie konnte das, mit allen, mit den anderen, mit den Eltern, den Lehrern, Leuten, die sie gar nicht kannte, Saskia war immer lustig und sie sprühte vor Ideen, Unternehmungen, die man doch mal machen könnte. Sie fragte uns auch oft, was wir machen wollten, ja, sie fragte oft nach unserer Meinung. Nur eben, dass Marlen still war und ich mir meine Meinung verkniff, um keinen Streit zu verursachen.
Saskia war beliebt, ich glaube, das hing größtenteils mit ihrer Witzigkeit zusammen. Hübsch war sie nämlich nicht, ihre Nase war ein bisschen zu spitz und ihre Augen zu nah beieinander. Marlen hingegen war hübsch, sie hatte lange, schlanke Beine, schon immer, ein hübsches Gesicht, ein fröhliches, ansteckendes Lachen, wenn sie dann mal lachte. Sommersprossen hatte sie auch.
Warum wir mit Marlen befreundet waren, das weiß ich nicht mehr so genau, ich wusste es wohl nie wirklich. Sie sagte nicht viel, sie lächelte und lachte manchmal, aber sagen tat sie nicht viel. Sie war einfach da und sie spielte mit, wenn wir spielten, das war es auch. Sie war auch nicht lästig, sie nervte nicht, sie war einfach da. Manchmal denke ich, es lag daran, dass sie nicht hässlich war, nicht stank und nicht lispelte, es war nicht peinlich, sich mit ihr zu zeigen und es gingen eben nicht alle Spiele zu zweit. Marlen war einfach jemand, bei dem man wusste, dass sie eben da sein würde.
Was Saskia betrifft, mit ihr wollte ich schon von Anfang an befreundet sein, sie war einfach so ein Mensch, mit dem man unbedingt etwas zu tun haben wollte. Kaum ein Tag, an dem wir uns nicht kaputtgelacht, kaum ein Tag, an dem wir nicht etwas ganz, ganz Wichtiges auszutauschen gehabt hätten. Saskia war nicht nur da, sie war da. Wenn sie zickig drauf war oder wütend, dann konnte sie schon schrecklich sein. Aber das war ja okay, weil, jeder hat schließlich mal einen schlechten Tag. Dann spielten Marlen und ich eben erstmal allein, bis Saskia sich beruhigt hatte oder sich langweilte und mitmachte. Das war okay.
Irgendwann wurden wir älter. Ich weiß nicht, wann es genau passierte, aber wir wurden älter, nicht nur größer. Saskia begann, sich für Jungs zu interessieren, Marlen zog sich noch mehr zurück und ich langweilte mich hemmungslos. Saskia hatte es dann wohl ein bisschen vergessen, das ewig treu bleiben, ewig befreundet sein, das musste sie wohl vergessen haben, das tut man ja, vergesslich werden, wenn man älter wird. Sie befreundete sich mit Helen und Krissi und den anderen, die unglaublich cool und nett und ja so witzig! waren. Ich weiß, dass Saskia mir oft von ihnen erzählt hat, damals, als wir uns dann seltener sahen. Was ich sonst noch weiß, ist, dass sie nie erwähnte, wie lieb sie seien, wie klug. Das weiß ich noch.
Marlen, die stille Marlen, die fing an zu singen. Sie hatte schon immer eine schöne Stimme, eine ganz ruhige, klare Stimme. Sie fing an zu singen und sie war ziemlich gut, das hörte und wusste man. Sie trat viel auf und als ich an einem Abend in einem viel zu kleinen Saal saß, auf solchen Klappstühlen, grün waren sie, daran erinnere ich mich, als ich da an einem Abend in diesem stickigen kleinen Saal saß, da merkte ich, dass sie ja gar nicht so still war; sich richtig was traute. Da habe ich mir dann nur die Augen gerieben und gestaunt.
Marlen, selbst Marlen, der ich, nein, wir es nie zugetraut hätten, suchte sich jetzt neue Freunde. Da waren auch Jungen dabei, das hatte mich auch verwundert, Marlen und Jungen, Marlen, die sonst doch immer rot wurde, wenn ein Junge sie ansprach. Das ist der Lauf der Welt, sagte Oma immer. Das ist der Lauf der Welt.
Auch ich fand andere Freunde, mit manchen habe ich immer noch zu tun, aber nicht einmal habe ich noch mal geschworen, ewig treu zu bleiben, ewig befreundet zu sein. Das bringt doch sowieso nichts, gegen das Alter kann man nichts machen, gegen das Vergessen.
Marlen sehe ich noch oft. Sie ist gewachsen, sie hat heute kurze Haare, aber ein Lockenkopf ist sie noch immer. Sie lacht heute mehr als früher und zeigt ihre schönen Zähne. Manchmal erzählt sie viel, davon, was sie noch machen will, was sie erlebt hat und sie redet von tollen Begegnungen und schönen Orten. Ich sage meistens nicht viel und höre zu.
Saskia sehe ich selten, aber wenn wir uns treffen, dann reden und lachen wir viel. Es ist vielleicht kein richtiges Lachen, es kommt nicht aus ganz drinnen, sondern aus dem Mund, eher daher, aber es ist ein Lachen und das ist doch was. Wir reden gleichzeitig, unterbrechen uns, dann prusten wir los, ohne dass es wirklich lustig ist. Wir sprechen schnell und laut und wir können lange lachen, ja, wir sind Ausdauersportler oder zumindest Saskia ist es. Wir reden über ihre Freunde und über ihren jetzigen Freund und alte Bekannten und den Stress und was wir alles noch machen wollen und kaufen und alles und hachje. Saskia sagt oft, wir schön das doch ist, alte Freunde zu treffen und wie toll sie das findet und wie lustig, wir sollten das doch öfter machen und dann stimme ich ein, ja, es ist doch so wunderbar und wir sollten das doch mal öfter machen, wann hast du Zeit. Wir sind dauernd am reden und lachen, man sieht uns nicht ohne.
Ja, so ist das. Jetzt sind wir nicht mehr zu dritt, auch nicht zu zweit, aber irgendetwas ist da noch, von früher. Es ist noch da, wenn man genau hinschaut, vielleicht ist es nur ein Schatten, aber es ist definitiv da, irgendwo. Ich weiß es nicht mehr, ich habe vergessen, wie es genau war, als wir noch zu dritt waren, ob die Sonne an diesem und jenen Tag schien, oder ob Marlens Mutter oft Pflaumenkuchen buk, ich weiß nicht, wann Saskia anfing, glitzernde Ohrringe zu tragen und wann wir uns das erste Mal die Fingernägel in grässlichen Farben lackierten. Ich weiß es alles nicht mehr so genau, aber das ist wohl so, wenn man älter wird, da wird man vergesslich. Ja, man wird älter und vergisst, da kann man wohl nichts gegen machen.
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Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob die Geschichte nicht einfach zu lang ist und ob überhaupt authentisch, bei den einzelnen Personen habe ich Eigenschaften von Leuten, die ich kenne, zusammengeklaubt, trotzdem. Manche Stellen sind etwas merkwürdig, ein Wort, ein Satz und ich weiß nicht, ob alles nicht irgendwie zu überdeutlich ist, irgendwie, und so stereotyp, z.B. à la "Das hässliche kleine Entlein" und überhaupt, zu viele Absätze. Ich freu mich wirklich sehr über Kritik, Anregungen jeder Art, Verbesserungsvorschläge.
Hier ist noch etwas, noch ein bisschen älter, Januar letzten Jahres, das ein merkwürdiges Ende hat, weil mir kein anständiges Ende (Enden sind immer richtig unerfreulich.) eingefallen ist:
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Komm Borte, sag ich. Borte ist der große, schwarze Hund vom Nachbarn. Also so gut wie unser Hund. Borte ist ein Hund, der nachdenkt, ein Hund, der gerne Kuchen isst, ein Hund, der vom Erzählen satt wird. Das ist Borte. Borte ist ein Hund, der zur Hälfte aus Schnauze besteht. Ich meine Schnauze, nicht Maul oder Nase, sondern die Schnauze. Eine gewaltige Schnauze. Komm, sag ich. Borte schnuppert an dem Stück Nusskuchen, das ich ihm hinhalte. Kannste haben, sag ich großzügig. Borte vergrößert den Spalt zwischen seinen Kiefern. Borte ist kein Hund, der einfach nur sein Maul öffnen würde, das käme wahrscheinlich nicht gut rüber. Entweder wirkt das gierig. Oder ein bisschen dämlich. Borte ist weder gierig noch dämlich. Er isst den Nusskuchen. Er ist kein Hund, der frisst. Borte isst, genießt. Ich lege mich ins Gras und beobachte die Ameisen, die über meinen Arm laufen. Ich bin sicher riesengroß für sie. Ein halber Planet. Nein, ein ganzer Planet. Oder etwa ein Mond? Haha. Meine Damen und Herren, in ein paar Minuten sind seit der ersten Oliverlandung der Geschichte vergangen und nun warten Sie gespannt mit mir, oh, Moment, A. Meise, der Kapitän spricht, oh je, die Funkverbindung holpert ein bisschen...Sehen Sie, meine Damen und Herren! Meise macht die ersten Schritte auf dem Oliver! Was für ein Ereignis! Ah, jetzt haben wir wieder Kontakt mit ihm: ?Ein kleiner Schritt für eine Ameise, aber ein großer Schritt für die Meisheit!? Was für ein Ausspruch! Ich stelle mir das lustig vor. Ein riesiger Schatten legt sich über den Oliver. Borte ? das heißt, Bortes Schnauze -lehnt sich über mich hinweg und durchsucht die Tasche. Bei der Größe eines Bortes wagt man da nicht zu protestieren. Ich hab keinen Nusskuchen mehr, sag ich gepresst. Ich versuche die Luft anzuhalten und gleichzeitig zu sprechen. Borte kramt gemütlich weiter. Beeil dich, ächze ich. Natürlich könnte ich theoretisch Luft holen, aber das wäre doch witzlos. Ich stelle mir vor, ich wäre auf dem Mond. Nicht auf dem Oliver, sondern auf dem richtigen Mond. Da gibt es keine Luft. Überhaupt, da gibt es gar keine At-mos-phä-re. Das ist ein Erwachsenenwort und heißt so gut wie, der Mond hat keinen Mantel. Keinen Luftmantel. Glaub ich, heißt das. Ohne Mantel ist es sicher kalt, da draußen, im Weltall. Der Arme. Borte hat endlich aufgegeben. Bleibt allerdings auf mir liegen. Ich werde wohl ersticken. Zeit, die Mondlandung abzubrechen. Sie haben unsere Mission behindert, Sir, sag ich zu Borte, dafür gibt es ab heute nur noch Katzenfutter, ich bin schrecklich enttäuscht von Ihnen. Borte sagt nichts. Eigentlich müsste er jetzt Aye, aye, sir rufen. Tut er nicht. Borte schläft. Borte ist ein guter Hund. Borte ist ein Hund, der Geschichten erzählt. Ich glaube, Borte ist satt.
(Das Ende ist wirklich merkwürdig.) Außerdem muss ich dazusagen, dass es ein bisschen an "Der gelbe Hund" klebt, weil ich es damals just davor gelesen hatte und dadurch auch "inspiriert" wurde.
Edit: Was schreibe ich da, "Der gelbe Hund". Ich meine natürlich "Der Hund mit dem gelben Herzen". So.
Uiui, diesmal sind es wieder tolle Texte geworden! Nochmals vielen Dank an die Teilnehmer! Ihr habt eine Woche Zeit, um abzustimmen. Hier sind sie also:
Text 1 - Kleiner Unterschied
Malt euer Zuhause, hat die Lehrerin gesagt. Gebt euch Mühe, hat sie gesagt. Ich blicke mich im Zimmer um. Jeder fängt gleich eifrig an zu malen. Jana benutzt sogar ihre neuen Wasserfarben. Ich seufze. Krame mein altes Federmäppchen mit den abgenutzten Buntstiften hervor. Zuhause... mein Zuhause... zu Hause... Ist das dasselbe? Bin ich in meinem Zuhause zu Hause? Gedanken an meinen nicht vorhandenen Vater. Meine überarbeitete Mutter. Meine kleine Schwester, die krank im Bett liegt. Der Zigarettengestank überall. Nein. Idee. Ich fange an. Ich bin so konzentriert, dass ich nichts anderes mehr wahrnehme. Es soll schön werden.
"Aber... Christopher!" Sie schaut mich irgendwie entsetzt an. "Ja?" Ich mag meinen Namen nicht. Chris wäre viel toller. "Das ist doch nicht dein Zuhause. Das ist..." Sie betrachtet das Bild nochmal genauer. Ich weiß, was sie sieht. Feuer. Blut. Tote. Einen weiteren Fall für die Schulpsychologin. Das erste Mal, seit ich ihr mein Bild gezeigt habe, blickt sie mir in die Augen. "Christopher..." Wie sanft das auf einmal klingt. "Das soll die Hölle sein, nicht wahr? Aber du bist dort nicht zu Hause." Meine Stimme, kalt. "Ja, Sie haben Recht. Es ist nur mein Zuhause."
Text 2 - Ins Weite
Hab nie gekannt der Seele Ruh Mich treibt es ewig weiter fort An einen fernen, fremden Ort Zu dem's mich hinzieht, immerzu
Lernt' so manche Stätte kennen Lud mich selbst zum Bleiben ein Manche mögen's Heimat nennen Ich werd nie zuhause sein
Nun kann ich nicht mehr lang verweilen Will nichts von dieser Welt verpassen Des Nachts die goldnen Sterne sehen
Lebt wohl, ich muss schon wieder gehen! Ich will hinaus ins Weite eilen Mich nur vom Winde führen lassen
Text 3 - Ida, oder: Zuhause ist ein großer Ort
"Komm schon, Ida! Beeil dich! Sieh doch, die Schatten werden schon länger...", quengelte Marlies, Idas jüngste Schwester. Sie sah flehend zu Ida herüber und trappelte ungeduldig auf dem Staub des Weges. Der Sommer neigte sich dem Ende zu; längst war die Luft mit dem schweren Aroma überreifer Früchte erfüllt. Ein paar Vögel sangen in den Bäumen, doch nicht mehr, um Partner anzulocken: Ihr Gesang zeugte nunmehr von Langeweile und Schwermut. Ida blickte hinauf in das makellose Blau des Himmels, kratzte sich kurz hinter dem Ohr und trabte Marlies hinterher. Eine Weile hörten sie nichts außer ihren eigenen leisen Schritten und dem Rauschen der Gräser um sie herum. Ab und zu hielt Ida inne, um die Ohren zu spitzen. Sie hatte keine Lust, auf diesem kurzen Nachhauseweg auch noch unangenehmen Gestalten zu begegnen. In der Mitte des Sommers war ihr Bruder von einem kurzen Ausflug zum Haupthaus nicht mehr zurückgekehrt. Seitdem hatte niemand etwas von ihm gehört oder gesehen. Idas schlimmster Albtraum war es, dass nicht nur ihr, sondern vor allem Marlies so etwas passieren könnte. Das würde sie sich nicht verzeihen können. Seit Idas Mutter sie schon so früh verlassen hatte, lebten die Geschwister weiter zusammen in einem recht engen Loch hinter dem Giebelbalken einer Scheune. Ida liebte diesen Platz; seine kühle Dunkelheit und den steten Geruch von Heu, gemischt mit etwas Künstlichem. Sie vermutete, dass es das Motoröl war, das in einem Kanister neben der großen grünen Maschine auf der anderen Seite der Scheune stand. Niemals könnte sie sich vorstellen, diesen vertrauten Ort ihrer erst wenige Monate dauernden Kindheit zu verlassen, an dem sie sicher war vor allen Gefahren der Welt, vereint mit ihren Geschwistern.
Eines Tages, sie hatte seit nicht einmal zwei Wochen sehen können, war Ida morgens aufgewacht und hatte sich gewundert über die ungewohnte Kälte. Etwas schien zu fehlen; der Mittelpunkt ihres bisherigen Lebens. Keine weichen Härchen kitzelten sie am Kopf und das Geräusch des tiefen, ruhigen Atems, der sich so sehr von dem ihrigen und dem ihrer Geschwister unterschied, war auf einmal verschwunden. Sie zitterte ein wenig von der Kälte. Als sie die Augen öffnete und sich gähnend auf den Bauch rollte, erschien das Loch hinter dem Giebelbalken ungewohnt leer. Nur ihre winzigen Geschwister lagen ineinander verknäult neben ihr. Marlies' Fell war noch nicht einmal ganz dicht gewachsen und ihre Augen hatten noch immer kleine Knubbel. Sie waren zu schmalen Schlitzen geöffnet, als Marlies Ida anstarrte mit einem verwirrten Blick aus Hilflosigkeit und Verzweiflung. Ida konnte es kaum ansehen; schnell kroch sie zu ihrer Schwester hinüber und schmiegte sich an sie, in der Hoffnung, die verlorene Wärme ihrer Mutter irgendwie ersetzen zu können. In dieser Position schliefen beide wieder ein. Später am Morgen, die Frühlingssonne schickte schon ihre hellen Strahlen durch die löchrigen Dachziegel, erwachten die Geschwister endgültig. Niemand wusste, was zu sagen war; alle blickten einander nur an, bis Ida selbst das Schweigen brach: "Mama ist gegangen." "Aber wieso?", rief Björn, der eigentlich schon recht groß war für sein Alter, aber immer noch nicht allein den Boden erreichen konnte. "Mag sie uns nicht mehr?", piepste Marlies, den Tränen nahe. "Ich weiß es nicht...Vielleicht kann sie einfach nicht immer weiter für uns sorgen. Sie war sehr erschöpft in der letzten Zeit." "Wird sie wiederkommen?" "Ich weiß nicht..." Ida seufzte.
Da niemand mehr wusste, was noch zu sagen gewesen wäre, nahmen alle ihre täglichen Beschäftigungen auf. Björn lief zum Obstgarten, wie er es immer tat, um große Stücke der noch ganz unreifen Äpfel zu beschaffen und sie ächzend und keuchend bis in die Scheune zu ziehen. Die anderen sahen sich auf den Feldern um, ob dort etwas Essbares zu finden sein könnte. Manchmal traute sich sogar einer von ihnen bis zum Haupthaus, wo, wie sie wussten, ein wahres Schlaraffenland auf sie wartete. Doch das Haus war beinahe immer von einem großen, nassen Ungeheuer bewacht, das so viel Lärm machte und jeden verjagte, der sich näherte, sodass ihre Versuche selten von Erfolg gekrönt waren. Ein einziges Mal hatten Björn und sein Bruder es geschafft, eine große braune Kugel mitzubringen, die Furchen hatte und kaum zu öffnen war. Nachdem sie endlich die harte Schale aufgeknabbert hatten, fand sich darin die köstlichste Nuss, die Ida je gegessen hatte. Sie hatten alle zusammen in der Scheune gehockt und die Nuss genau aufgeteilt, damit auch niemand zu wenig bekam, und Björn hatte beinahe vibriert vor Freude und Stolz über seinen Fund.
Bald darauf war auch Marlies' Fell ausgewachsen, sodass sie kaum noch von den anderen zu unterscheiden war. Doch sie schaffte es nie, sich auch genauso zu verhalten. Immer wieder geschah es, dass Ida sich gerade an den Wegrand gekauert hatte, um einer möglichen Gefahr zu lauschen, als Marlies sie mit der Nase anstupste und keck rief: "Fang mich doch!", um dann hakenschlagend davonzusausen, mit ihren rosigen Hinterpfoten den Staub aufwirbelnd. Ida wusste, dass es keinen Sinn mehr hatte, Marlies zu erklären, wie gefährlich das sein konnte. Sie würde es nie verstehen, egal wie treuherzig sie Ida jedes Mal anblickte mit ihren großen schwarzen Knopfaugen. Ida schwor sich, ihre kleine Schwester nie aus dem Augen zu lassen.
So verging der Sommer. An manchen Tagen war die Hitze hinter dem Giebelbalken kaum auszuhalten, während die Sonne gnadenlos auf das Scheunendach brannte. Dann krabbelten die Geschwister einer nach dem anderen auf den Boden, huschten durch die Lücke im Tor und rollten sich neben der Mauer im hohen Gras zusammen.. Wenn es regnete, lauschten sie alle zusammen den prasselnden Tropfen, aneinander gedrückt, um sich Sicherheit zu geben. Niemand mochte den Regen. Er machte fast blind, er löschte sämtliche Gerüche aus, an denen man sich orientieren konnte. An Regentagen ging niemand von ihnen besonders weit. Lieber verschoben sie die Nahrungssuche auf den nächsten Tag.
Ida erinnerte sich noch sehr gut an den Tag, als Björn verschwand. Er hatte ganz normal begonnen. Der Morgentau auf den Blättern war schon beinahe getrocknet, als endlich alle aufbrachen, Marlies lief wie aufgezogen um alle anderen herum und jauchzte freudig angesichts der kitzelnden Sonnenstrahlen auf ihrem Fell. Sie schlich sich von hinten an Björn heran, wartete auf einen unachtsamen Moment und sprang dann mit einem Satz auf seinen Rücken. "Hab dich dich!" Björn lachte und schüttelte seine Schwester von sich herunter. "Du vorlautes Ding! Wir schuften hier, und du...du..." "Ich heitere euch beim Schuften auf?", kicherte Marlies ausgelassen. "Das ist nicht komisch", murrte Björn ein wenig verstimmt, "du könntest ruhig auch mal etwas Sinnvolles tun." "Was denn?" "Komm doch mit mir mit. Ich kann immer jemanden gebrauchen, der mir beim Tragen hilft." "Aber...", wollte Ida protestieren, aber da fiel Björn ihr ins Wort: "Papperlapapp! Sie ist alt genug! Lass sie doch nicht immer an deinem Rockzipfel hängen, Ida. Marlies, komm, ich wette, ich bin schneller als du!" Und schon waren die beiden verschwunden, einer schneller als der andere. Ida stöhnte theatralisch, verabschiedete den Rest ihrer Geschwister und machte sich schließlich selbst auf den Weg. Gegen Mittag keimte erneut Sorge in ihr auf. Sie blinzelte angestrengt in Richtung Obstgarten, doch alles schien wie immer. "Du dummes Ding", schalt sie sich, "als ob du auf die Entfernung irgendetwas erkennen könntest!" Also machte sie sich doch auf den Weg, huschte unter der hölzernen Veranda entlang und durch die Brombeerbüsche, deren Dornen ihr in ihrem Eifer noch ein paar Kratzer zufügten. Als sie den Obstgarten erreichte, lag er ruhig da wie immer. Kein Björn und keine Marlies weit und breit, die Stille schien auf einmal einen seltsamen, metallischen Klang zu haben, der Ida einen Schauer über den Rücken laufen ließ, sodass sich ihr Fell aufstellte. Es war nicht nur ruhig; es war zu ruhig. Sie schnupperte, doch auch kein Geruch lag in der Luft, der ihr Aufschluss über die Geschehnisse hätte geben können. Langsam und verwirrt kam sie wieder an der Scheune an. Das alles bereitete ihr mehr und mehr Sorge. Doch bis zum Abend würde sie sowieso nichts unternehmen können. Die Sonne sank tiefer und tiefer, bis alles in einen goldenen Schein eingehüllt war. Doch dafür hatte Ida an diesem Abend keinen Blick übrig; viel zu sehr kreisten ihre Gedanken um ein und dieselbe Frage. Noch immer war niemand aufgetaucht. Erst, als die langen Schatten immer näher krochen und ihre dunklen Finger nach Idas Zuhause ausstreckten, trudelten nacheinander ihre anderen Geschwister ein. Zusammen saßen sie verwirrt im Gras und warteten. Eine halbe Ewigkeit schien zu verstreichen, niemand wusste, was er tun sollte. Ab und zu klopfte jemand nervös mit den Hinterbeinen auf den Boden oder scharrte in der Erde, bis ein anderer wütend befahl, damit aufzuhören. Als die Dämmerung schon weit fortgeschritten war, fasste Ida sich ein Herz. "Alle mal herhören!", rief sie. "Björn und Marlies sind immer noch nicht aufgetaucht! Wir können nicht hier sitzen und bis in alle Ewigkeit warten!" "Aber was schlägst du vor?" "Wir teilen uns auf. Wir gehen sie suchen, überall da, wo sie sein könnten. Aber immer nur zu zweit! Niemand geht alleine!" Allgemeines zustimmendes Gemurmel erklang und schnell waren alle in unterschiedliche Richtungen davongehuscht. Ida selbst hatte einen ihrer jüngeren Brüder dabei. Hintereinander bewegten sie sich über gewohnten Pfade, die Augen Richtung Haupthaus gerichtet. Ida wusste, wie sehr Björn es liebte, Marlies zu beeindrucken. Es schien nicht unwahrscheinlich, dass er sich für sie ins Haus geschlichen hatte, um sie mit irgendeinen besonderen Leckerei oder immerhin einer aufregenden Geschichte zu überraschen. Und Ida wusste auch, dass Björn dabei mitunter ebenso leichtsinnig werden konnte wie Marlies selbst. Bereits aus der Ferne hörten sie beide ein tiefes, knurrendes Geräusch. Aufgeregt sah sich Idas Bruder zu ihr um, doch Ida schnaubte nur unwirsch, um ihn weiter voranzutreiben. Sie spürte das Klopfen ihres kleinen Herzens so laut wie nie zuvor. Was wäre, wenn...? Doch solche Gedanken waren sinnlos, schalt sie sich. Es galt zu handeln. Schon bald hatten sie den Schatten des Hauses erreicht. Als sie vorsichtig um die Ecke spähten, erblickten sie den gigantischen schwarzen Umriss, der dahinter lauerte. Der scharfe Geruch von Geifer wehte bis zu ihnen herüber. So leise wie möglich tappten Ida und ihr Bruder um die schützende Hausecke herum. Wenn einem von ihnen jetzt auch nur der keinste Mucks passierte, könnten sie beide ihres Lebens nicht mehr sicher sein. Sich noch tiefer auf den taufeuchten Erdboden drückend, erreichten sie die schützende Veranda. Von hier aus konnte Ida einen Blick unter das Haus des Ungeheuers erhaschen, das währenddessen weiter auf und ab lief, seine nassen Spuren überall verteilend. Doch was sie dort sah, ließ sie ihren Augen nicht mehr trauen: Ein winziges, zitterndes Bündel Fell kauerte zwischen zwei Brettern des kleinen Hauses. "Das darf doch nicht...!", entfuhr es Ida entsetzt. Sie hatten Marlies gefunden.
Beinahe wollte sie Marlies zurufen, sie solle ruhig bleiben, doch in diesem Moment witterte das Ungeheuer sie. Mit einem ohrenbetäubenden Geräusch näherte es sich Ida und ihrem Bruder, sodass beide schon dachten, nun hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. "Hilfe! Ida!", krächzte ihr Bruder panisch, "Was nun?" "Bleib ruhig!", schimpfte Ida! "Wir werden es so machen. Sobald das Ungeheuer uns beinahe erreicht hat, läufst du so schnell du kannst in diese Richtung! Und schlag möglichst viele Haken! Lenk es ab. Und ich laufe zu Marlies." Sie erntete einen sehr zögerlichen Blick, doch für einen besseren Plan war bereits keine Zeit mehr: Das furchteinflößende Geräusch war beinahe über ihnen. Mit einem einzigen Satz sprang ihr Bruder aus dem Versteck. Sie hatte ihn noch niemals so schnell rennen sehen, wie ein Pfeil flitzte er quer über die Wiese. Und das Ungeheuer donnerte geradewegs hinter ihm her. Nun war Idas Chance gekommen: Schon außer Atem hetzte sie zum Haus des Ungeheuers hin. Marlies qietschte aufgeregt, sah ihrer Schwester entgegen und drückte sich eng an die Bretter. "Marlies!" rief Ida! "Nun komm schon! Es ist weg!" Doch zu spät: Schon hörten sie die Schritte es Ungeheuers, die sich wieder geradewegs in ihre Richtung bewegten. Kurz entschlossen machte Ida die letzten Schritte zu Marlies hin und ohne einen weiteren Gedanken packte sie ihre Schwester mit den Zähnen am Nacken. Das schmerzerfüllte Quieken einfach überhörend, schleifte sie Marlies Stück für Stück vom Haus des Ungeheuers fort. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch schließlich hatten beide die Scheune erreicht. Dort saßen schon all ihre Geschwister, sogar ihr Bruder, der ihr geholfen hatte, war bereits wieder eingetroffen. Angsterfüllt sahen sie Ida entgegen, die Marlies immer noch fest gepackt hielt. Mit einem letzten großen Seufzer ließ Ida sie los. Marlies sackte wie ein lebloses Bündel auf den Boden; allein an ihrem steten Zittern konnte man erkennen, dass sie überhaupt noch lebte. Sofort scharten sich alle dicht um sie, schmiegten sich zum Trost an sie und bestürmten sie gleichzeitig mit Fragen: Was denn passiert sei? Ob sie verletzt sei? Nur ein einziger wagte es, die entscheidende Frage zu stellen: "Wo ist Björn?" Doch Marlies antwortete nicht.
Den ganzen restlichen Sommer über sollte Marlies nie mehr ein Wort darüber verlieren, was an jenem schicksalhaften Tag mit Björn geschehen war. Nach einer Weile hörten alle einfach auf, danach zu fragen. Sie wussten, Björn würde nicht mehr zurückkehren.
Es dauerte lange, bis sich wieder eine Art Normalität einstellte. Mehrere Tage lang lebten die Geschwister von Abfällen, von kleinen Samen und anderem, was sie in der Scheune fanden. Schließlich beschlossen sie, dass es so nicht weitergehen könnte, und nahmen ihre üblichen Gewohnheiten wieder auf. Am ersten Tag verließen alle nacheinander die Scheune, ein wenig zögernd, als sei es das allererste Mal. Ida schaute sich zu Marlies um, die verlassen wie ein Bündel Elend auf der Schwelle hockte. Sie erntete einen flehenden Blick, der besagte: "Lass mich nicht allein!" Seufzend kehrte Ida um, setzte sich neben Marlies und stupste sie vorsichtig in die Seite. Mit einem erwartungsvollen Blick setzte sie sich in Bewegung, in schleichendem Tempo, und tatsächlich: Marlies folgte ihr mit vorsichtigen Schritten. Seite an Seite tappten die Schwestern über die Wiese, in Richtung Obstgarten. Als sie am Haupthaus vorbeikamen, warf Marlies einen kurzen Blick zurück und erschauerte. Doch rasch war sie wieder bei Ida, wandte den Blick demonstrativ nach vorn und stapfte entschlossen voraus. Ida konnte ein Lächeln nicht unterdrücken vor Stolz auf ihre kleine Schwester. Sie begann spielerisch, Marlies mit ihrem grauen Schwanz am Bauch zu kitzeln. Nun konnte auch Marlies nicht mehr umhin und kurz darauf wälzten sich zwei braune Fellkugeln lauthals kichernd im Gras. Der Igel, der von dem ganzen Lärm bei seinem Schläfchen in der Hecke gestört worden war, schüttelte verwundert den Kopf. "Diese Mäuse!", brummte er. "Nichts als Flausen im Kopf!"
Ein goldener Tag folgte auf den anderen. Es war, als wollte der Sommer nie enden; die Sonne gab sich alle Mühe, von morgens bis abends in ihrer ganzen Kraft zu scheinen. Zusammen bestaunten sie alle, wie die Vogelkinder bei ihren ersten Flugversuchen aus den Nestern plumpsten, wie der erste reife, rote Apfel vom Baum fiel. Als es zum ersten Mal gewitterte, hockte Ida zitternd wie am ersten Tag zwischen ihren Geschwistern im Loch hinter dem Giebelbalken und lauschte mit gespitzten Ohren jedem erneuten Donnerschlag, der ihr vorkam, als würde ihr ganzes geliebtes Zuhause gleich entzweibrechen. Das Krachen war lauter als alles, was sie bis dahin gehört hatte. Doch auch das Gewitter endete, wie es gekommen war: Das Grollen entfernte sich langsam, immer weiter, bis nichts mehr zu hören war als eine atemlose, erdrückte Stille in der muffigen Luft.
Nun wurde es schon spürbar kühler an manchen Tagen; der Blütenduft war allmählich verflogen und diesem schweren, süßlichen Geruch gewichen, der von unzähligen Früchten stammte. Ida beschloss, dass es für sie keine bessere Zeit geben konnte als diese. Die Futtersuche war nahezu mühelos; es gab Zeit, um so viele andere Dinge zu tun. Ab und zu unternahmen sie und Marlies Spaziergänge auf den Feldwegen, während die Jungen in waghalsigen Wettbewerben die Bäume hinaufkletterten. Es hätte Ida schütteln können, wenn sie daran dachte, wie häufig die Katze dort herumschlich, der schon so viele Vogelkinder zum Opfer gefallen waren. Doch sie würde sie wohl niemals davon abhalten können.
"Nun komm schon!" Marlies' Ungeduld war unnachgiebig. In ihr steckte soviel unbändige Energie, dass Ida nie im Leben mit ihr mithalten könnte. Doch was soll's, dachte sie. Warum eigentlich nicht? "Marlies, lahme Schnecke!", war es bis an den Waldrand zu hören. "Du glaubst, du seist schnell? Mich kriegst du nie!" "Träum weiter!", entgegnete Marlies. Ohne ein weiteres Wort stieß Ida sich ab, jagte mit einem Satz davon; das Wettrennen war eröffnet. Und ihre Füße flogen nur so, über die grobe Erde des Feldwegs, über die große Wiese, immer weiter, am Haupthaus vorbei, der Wind sirrte in ihren Ohren, schon konnte sie den Duft ihrer vertrauten Scheune riechen, immer weiter rannte sie, neben sich das keuchende Trappeln von Marlies, immer weiter, dort konnte sie schon das Tor sehen, sie mobilisierte ihre letzte Kraft, rannte mit geschlossenen Augen. Und war Zuhause.