Thema von Schreiberlicht im Forum Literatur und Schreiben
PROLOG Weißt du wie der Kieselbach klingt? Nein? Dann erzähle ich dir eine Geschichte. Meine Geschichte.
Der Bach floss schon seit sie denken konnten neben ihrem Haus vorbei. Leise gurgelnd. Keine größeren Steine befanden sich im Wasser, die die Ruhe stören könnten. Nur Kiesel. Deshalb tauften Nebula und ihr Bruder Imago ihn Kieselbach. In ihm lernten sie schwimmen, an seinen tiefsten Stellen war er bis zu zwei Meter tief. Fast jeden Tag badeten sie in ihm, er war ihr Leben. Die Eltern hatten beide Latein studiert und waren verrückt nach dieser Sprache, deshalb hatten ihre Kinder auch so außergewöhnlichen Namen. Nebula, der Nebel. Der Name passte perfekt zu ihr, er schmiegte sich an jede einzelne Zelle ihres Körpers an. Sie war verschlossen, unsichtbar. Niemand wusste was in ihr vorging, ihr Gesicht war eine Maske, die die wilden Gefühle in ihrem Innersten versteckte. Hin und wieder riss der Nebel auf, bildete ein kleines Loch. In diesen Momenten war sie verwundbar. In diesen Momenten ließ sie Leute in sich eindringen, erzählte ihnen etwas aus ihrem Leben. Doch kaum sagte ihr gegenüber etwas Falsches, war sie wieder dicht. Und kalt. Sie hatte keine Freunde, obwohl sie wirklich hübsch. Viele hatten es versucht ihr näher zu kommen, alle waren gescheitert. Niemand konnte sie durchschauen, wusste wieso sie so war. Außer ihr Bruder. Imago, das Bild. Genau wie bei Nebula passte der Name, als ob das Wort nur für ihn erfunden worden war. Er war bildschön, hatte schon viele Freundinnen gehabt und fast alle Mädchen der Schule standen auf ihn. Doch es gab ein Problem: Bilder veränderten sich nicht, sie waren so wie der Maler sie gemalt hatte. Fröhlich, traurig, nachdenklich, verliebt. Es gab viele Emotionen, doch er ließ keine Veränderungen zu. So wie der Maler sich weigerte, dass Leute sein Bild beschmierten. Er wollte keine Änderungen in seinem Leben. Die Eltern waren nur selten daheim, meistens arbeiteten sie in einem fernen Land. Und die Kinder waren alleine in dem Haus. Sie waren auf sich alleine gestellt, nur Geld von den Eltern bekamen sie, damit sie wenigstens überlebten. Ihre einzige Freude war der Kieselbach. Das grüne Haus passte sich perfekt an die Umgebung an. Es war schlicht gehalten, die Eltern hatten beim Bau sparen wollen. Wohnzimmer, Küche, ein Kühlraum, und das Büro, das niemand betreten durfte waren im unteren Geschoss. Die Zimmer der Kinder und Eltern, der Balkon und das Badezimmer mit Dusche, Badewanne, WC und Waschbecken oben.
Der alte Dachboden, über ihn gab es viele Mythen. Wanderer, die sich in diese Gegend verirrt hatten, sahen geheimnisvolle Lichter, die durch die Spalten und Ritzen drangen. Dort war Nebulas Ort. Jede Menge Bücher stapelten sich in dem Stroh, sie waren der Schatz des Mädchens. Jeden Tag las sie Stundenlang. Sie versteckte sich in ihnen vor der Wirklichkeit, sie lebte mehr in der Welt der Geschichten, als im wirklichen Leben. Die alte Gitarre, die unter einigen losen Brettern versteckt war, wurde auch oft benutzt. An vielen Abenden hörte man den wunderbaren Klang des Instrumentes.
Auf einer großen Wiese neben dem Haus hoppelten unzählige Kaninchen umher. Neben dieser unheimlichen Umgebung, wirkte dies fast schon lächerlich. Jedes der Geschöpfe hatte seinen eigenen Charakter, so wie alle anderen Lebewesen auf der Erde. Imago faszinierte es, wie unterschiedlich sie waren. Zu jedem Charakter kam die Fellfarbe dazu. Weiß, hellbraun, dunkelbraun, grau, schwarz. Die meisten waren eine Mischung aus diesen Farben, jedes mit einem anderen Muster. Jedes Fell einzigartig, so wie ein Fingerabdruck. Während er sie beobachtete sang er. Dies war seine Möglichkeit seine Gefühle aus sich herauszulassen, die er in der Schule immer zurückhalten musste. Schon viele Stücke hatte er komponiert und alle waren sie verschieden. Zu jeder Emotion hatte er nur ein Lied geschrieben. Für jedes Lied eine andere Farbe. So entstand nach und nach ein Bild. Er erzählte eine Geschichte mit seinen Kompositionen. Wenn die Geschichte fertig werden würde, würde das Bild fertig gemalt sein, denn er würde alle Farben verwendet haben. Nebula, in der Schule Nela genannt, weil viele ihren echten Namen zu merkwürdig fanden, war ziemlich klein für ihre 16 Jahre. Sie hatte lange, gewellte, dunkelbraune Haare, die fast bis zu ihrem Hintern reichten. Ihre Eisblauen Augen hatten erst wenige gesehen, meistens sah sie Personen nicht an, wenn diese mit ihr sprachen. Sie war sehr schlank und auch etwas muskulös. Jeder fand sie hübsch und bewunderte sie. Imago wurde eigentlich immer Macho genannt, keiner wusste weshalb, vor allem, weil er überhaupt kein Macho war. Irgendwann hatte es jemand als Scherz gesagt und jetzt nannten ihn alle so. Er war erst vor kurzem 17 Jahre alt geworden. Seine schwarzen Haare, die ca. zehn Zentimeter lang waren, hatte er immer ordentlich gebürstet und er legte sehr viel Wert auf sie. Er hatte sehr dunkelbraune, fast schwarze Augen, die etwas unheimlich aussahen. Er war, wie seine Schwester, relativ dünn, aber es fehlte ihm nicht an Stärke, denn Muskeln hatte er genug. Es gab nur wenige Mädchen, die nicht auf ihn standen. Der Tagesablauf der Geschwister war immer der Selbe. Nebula stand viel zu früh auf, Imago sehr spät. Nach der Schule ging der Junge mittwochs und freitags einkaufen, während Nebula das Mittagessen kochte. Nach dem Essen sahen sich die Kinder bis zum Abend nicht mehr. Imago kümmerte sich um seine Hasen und verwöhnte sie mit seiner Stimme, das Mädchen zog sich in den Schutz des Dachbodens zurück. Im ganzen Haus herrschte Stille, nur die Musik erklang leise, breitete sich aus, vermischte sich mit der Stimme von Imago und wurde von dem Wind davongetragen. Die Stimmung war überwältigend. Ein Klangteppich lag wie eine schützende Mauer um das Grundstück, es war beinahe magisch. Während dem kurzen Abendessen, bei dem der Zauber der nachhallenden Töne noch zu spüren war, die sich in die Gemäuer eingebrannt hatten, sprachen die Kinder nicht miteinander. Sie hatten sich nichts zu sagen. Dann gingen beide zu dem Kieselbach, zu jeder Jahreszeit. Stumm zogen sie sich aus und gingen nackt in den Bach. Sie waren Geschwister, sie mussten ihre Körper nicht voreinander verstecken. Das Wasser war nie zugefroren, auch im Winter war es warm. Es war wie Zauberei. Nebula und Imago liebten es, sich einfach treiben zu lassen. Dem Bach zu lauschen, wie er leise Geräusche machte, wenn Wellen auf ihre Körper trafen. Als würde er sich dafür entschuldigen sie angestoßen zu haben. Lange hörten sie den Grillen zu, dem Rauschen der Bäume des dunklen Waldes auf der anderen Seite des Baches. Die Rufe der Tiere, die um die Uhrzeit wach waren, hallten durch die Nacht. Hin und wieder sahen die Kinder auch Schatten vorbeihuschen. Aber sie hatten keine Angst, denn sie waren Stark. Stärker als alle Menschen zusammen. Die Augen der Geschwister blitzen auf, als sie sich verwandelten. Die von Imago jedes Mal in einer anderen Farbe, die von Nebula eisblau. Die Menschen mussten beschützt werden, vor Engeln. Sie waren die gefürchteten Beschützer. Sie waren Werwölfe.
1.KAPITEL Nebulas Sicht Ich rannte schon seit Stunden durch den Wald und konnte einfach nicht damit aufhören. Wie ich den Wind in meinem Fell spürte, wie er mit sanften Händen darüber strich, war einfach ein unbeschreibliches Gefühl. Als würde ich fliegen. Meine Pfoten trommelten über den weichen Waldboden, wirbelten Erde und Blätter auf, hinterließen eine Staubwolke. Doch ich spürte sie kaum, flog einfach durch dem Wald. Und war frei. Die Staubwolke legte sich hinter mir wieder auf den Boden, verdeckte meine Abdrücke. Ich rannte weiter und weiter, meine Beine trugen mich irgendwo hin, ich achtete nicht darauf, wollte einfach nur laufen. Der Mond stand schon hell am Himmel, in wenigen Tagen würde er einen perfekten Kreis bilden. Dann musste ich und Macho wieder bereit sein. Abrupt stoppte ich, als ich merkte wo ich war. Vor unserem Haus. Ohne es zu merken und in Gedanken versunken, war ich nach Hause gelaufen. Aber da ich ohnehin schon hier war, verwandelte ich mich zurück. In einen Menschen. Ich sprang über den Kieselbach und schaute in den Wald. In Gedanken suchte ich nach Macho, bis ich ihn fand, er war um die 500 Meter entfernt. ?Bin wieder da?, teilte ich ihm knapp mit, bevor ich in das Haus ging. Es war dunkel, doch das störte mich nicht. Meine Augen wurden heller und heller, bis sie so viel Licht ausstrahlte, dass ich mühelos den Weg in mein Zimmer finden konnte. Ich brauchte keine Taschenlampe. Elektrische Lampen hatten wir keine, nur für die Heizung hatten meine Eltern Geld ausgegeben. Doch die brauchten wir im Moment nicht, denn es war Juli. Wenige Minuten später spürte ich, dass Macho in der Nähe war, und sah aus dem Fenster. Gerade noch rechtzeitig, um sein Fell zu sehen, es war rot. Normalerweise hatte ein Wolf dieselbe Augen- und Fellfarbe wie als Mensch seine Augenfarbe war, doch bei Macho war das anders. Jede Minute änderte sich seine Augenfarbe, wenn er sich verwandelte, war sie auch jedes Mal anders. Und seine Fellfarbe war rot, nicht fast schwarz, wie seine Augen, sondern rot. Wie das Feuer, sein Element. Es gab viele Elemente, doch Feuer, Wasser, Luft und Erde waren die stärksten. Jedoch gab es bis jetzt nur Feuer und Wasser. Uns beide. Und wir mussten die beiden anderen verwandeln, jeder einen, wir wussten nicht woher wir das wussten, aber es war so, doch dafür mussten wir sie erst mal finden. Ich war so sehr in Gedanken versunken, dass ich Macho erst bemerkte, als er mir eine Hand auf die Schulter legte. Ich zuckte nicht zusammen, es würde sich außer ihm niemand trauen das Gebäude zu betreten. Alle hatten Angst davor, weil der Wald so nah war. Wahrscheinlich wusste auch niemand, dass wir hier wohnten, niemand kam auch nur auf die Idee und hinterherzuschleichen um zu schauen, wo unser Haus stand. Ich sah Macho tief in die Augen und umarmte ihn, wofür ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste. Leise murmelte ich noch ein: ?Gute Nacht?, und legte mich ins Bett, Zähneputzen musste ich nicht, das war einer der Vorteile eines Werwolfes. Während Macho in sein Bett ging, dachte ich nach. Jeder Werwolf hatte ein Element und konnte dieses Beherrschen, das war logisch und das wusste jeder Wolf. Doch was niemand wusste, war, ob Engel auch Elemente hatten. Engel waren böse, hinterhältig, und versuchten die Welt zu beherrschen, es gab keine Ausnahmen. Und leider waren sie auch stark, sehr stark. Schon viele unserer Art wurden von ihnen umgebracht, auch Menschen sind verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Und keiner wusste warum. Als ich hörte, dass Machos Schritte aufgehört hatten, und sich die Stille im Haus ausbreitete, die ich so liebte, die so durchdringlich war, dass sie jedem durch Mark und Bein ging, legte ich mich auf die andere Seite und schlief Augenblicklich ein. Noch ein Vorteil, wenn man ein Wolf ist. Am nächsten Morgen wachte ich bei dem ersten Sonnenstrahl auf. Ich brauchte nicht viel Schlaf. Ich liebte die Nacht, und so hatte ich mich dran gewöhnt nur wenig zu schlafen. Da noch zwei Stunden verblieben, bis wir zur Schule mussten, ging ich aus der Haustür und schlürfte zum Kieselbach. Der Morgen war meine Zweitliebste Tageszeit. Wenn alle Menschen noch schliefen, nur die Vögel schon munter ihr Lied zwitscherten, und die Natur langsam zum Leben erwachte, war es einfach wundervoll zu baden. Obwohl das nächste Dorf so weit entfernt war, dass der Verkehrslärm das Haus nicht erreichte, hörte ich dort jedes Geräusch, wenn ich mich nicht verschloss. Bis zu zwei Kilometern konnte ich alles hören, jedes kleinste Geräusch, jede Maus, die aus der Erde kroch, wenn ich mich konzentrierte. Wenn ich mich nicht konzentrierte, hörte ich alles, was lauter war als das ticken einer lauten Uhr. Es würde mich wahnsinnig machen, wenn ich mein Gehör nicht absichtlich normal machen würde. Und das war anstrengend. Ich liebte es also am Morgen, wenn ich mich nicht verschließen musste und einfach nur im Kieselbach schwimmen konnte. Am liebsten aber, tauchte ich. Da ich Element Wasser hatte, konnte ich unter Wasser atmen. Oft schwebte ich stundenlang, ließ das Wasser mit mir spielen. Es schaukelte mich hin und her, rauf und runter. Ich konnte seine Energie spüren, an jedem Punkt meines Körpers. Die Energie drang in mich ein, füllte jeden Teil von mir, gab mir Kraft für den Tag. Der Kieselbach war mein Leben. Ohne ihm konnte ich mir keinen Tag vorstellen. Er machte aus mir Nebula, er war der Wasserdampf, der mich bildete. Ohne ihn würde ich nicht existieren. Natürlich würde mein Körper noch da sein, doch mein Innerstes würde sich langsam auflösen. Der Nebel würde verschwinden und somit auch mein Grund zu Leben. Ich stieg aus den Bach, zog mir die Unterwäsche an, die ich mitgenommen hatte, und ging in die Küche. Die Pfützen, die sich unter mit Bildeten, würde Macho schon wegmachen. Er konnte es einfach verdampfen lassen. Ich richtete das Frühstück und weckte meinen Bruder, indem ich ihm meine kalte Hand in den Nacken legte. Innerhalb von einem Bruchteil einer Sekunde war er auf den Beinen. Während ich ihn auslachte ging ich in mein Zimmer um mich umzuziehen. Mittlerweile war mein Körper schon getrocknet, nur meine Haare waren noch nass. Dann ging ich die Treppe wieder hinunter zu dem Tisch, bei dem Macho schon saß. Der Boden war staubtrocken. Nach dem Essen, verwandelten wir uns und liefen durch dem Wald. Wir rannten um die Wette, die Schultaschen waren an unserem Rücken angebracht. Gut drei Kilometer waren es bis nach Resa, der Stadt, in der unsere Schule war. Wir brauchten für den Weg Zehn Minuten. Am Rand des Waldes verwandelten wir uns und gingen auf einem schmalen Weg den Hügel hinunter, auf dem der Wald endete. Ich verließ nicht gerne den Wald. In ihm fühlte ich mich so sicher, so vollkommen. Er war unser Revier, unser zweites Zuhause. Sehnsüchtig blickte ich über meine Schulter zurück, bevor mir ein Häuserblock die Sicht verdeckte. Ich verfluchte ihn in Gedanken, auch wenn ich nicht wusste wieso. Es brachte nichts den Wald einfach nur anzuschauen, aber von ihm wegzugehen. Genauso wenig, wie es etwas brachte, sich in der Wüste die rettende Oase anzuschauen, und trotzdem weiterzugehen. Genauso fühlte ich mich gerade. Ich ging weg von etwas, was ich zum Leben brauchte. Um in die Schule zu gehen. Wir betraten das große, gelbe Gebäude durch eine Doppeltür, von der eine Hälfte offen war. Sofort lagen alle Augen auf uns. Jeder beobachtete uns, wie wir uns verabschiedeten und in unsere Klassen gingen. Wie ich dieses Gefühl hasste, im Mittelpunkt zu stehen. Ich schmiss meine Schultasche neben meinen Fensterplatz in der zweiten Reihe und setzte mich auf den Sessel, der schon von den vielen Schülern, die vor mir auf diesem Platz gesessen sind, demoliert worden war. Kaum ein Fleck war nicht bekritzelt worden und er hatte schon etliche Schnitte und Risse in sich. In dem Lehrerzimmer hörte ich, wie unser Klassenvorstand den Raum verließ und in die Richtung unserer Klasse kam. Sofort setzte ich die interessierte Maske auf, nicht die gelangweilte, die ich bis jetzt getragen hatte. An den Schritten erkannte ich, dass er jemanden zweiten bei sich hatte. Nun war ich wirklich etwas interessiert und wartete. Die Schritte kamen immer näher. Meine Klassenkameraden wussten noch von nichts, und bewarfen sich mit Papierkugeln. Genervt verdrehte ich die Augen und seufzte ich auf. ?Lehrer kommt?. Augenblicklich war es still. Alle sahen mich schockiert an, weil ich etwas gesagt hatte, ohne vom Lehrer gefragt zu werden. Denn nur dann sprach ich in der Schule. Sonst fast nie. Nach einigen Sekunden Schockstarre, hörten die anderen Auch die Schritte und setzten sich auf ihre Plätze. Der Platz neben mir war frei. Der Lehrer betrat den Klassenraum und blieb verwundert stehen, weil es so ruhig war. ?Habt ihr einen Geist gesehen??, fragte er verwirrt. Dann zuckte er mit den Schultern und bedeutete dem Schüler, der ihn begleitet hatte, näher zu treten. Er war etwa in unserem Alter, schlank, einen Kopf größer als ich, hatte blonde Haare und blaue Augen. Aber nicht wie ich eisblau, sondern himmelblau und sie funkelten. Zwischen den Farben lag ein riesiger Unterschied. Der Lehrer bedeutete dem Jungen zu sprechen, der, wie ich fand, nicht hässlich war, und das war schon eine Seltenheit bei mir. Er hatte eine klare, relativ hohe Stimme, aber man merkte, dass er den Stimmbruch schon hinter sich hatte. ?Ich heiße Jonas, bin 17 Jahre alt und?äh? ich hab Schule gewechselt.? Ich musste innerlich grinsen, weil er so stotterte, anscheinend war er ziemlich schüchtern. Das war das erste Mal, dass ich nichts dagegen hatte, dass jemand zu uns wechselte. ?Sehr gut, danke Jonas? Herr Schmidt, wie unser Lehrer hieß, schaute sich um und sein Blick fiel auf mich. Erst da erinnerte ich mich, dass neben mir der letzte freie Platz war. Innerlich stöhnte ich auf und warf ihm einen tödlichen Bick zu, unter dem er merklich zusammenzuckte. ?Setz dich bitte neben?Nela?, man hörte in seiner Stimme, dass ihm der Junge Leid tat. Er verwendete nicht meinen richtigen Namen, doch ich hatte nichts dagegen. Nicht jeder sollte gleich von Beginn an wissen, dass ich anders war. Er setzte sich hin und betrachtete mich. Ich wusste, dass er etwas sagen wollte, doch er traute sich nicht. Ein grinsen wollte sich auf meine Lippen schleichen, doch ich verbot es ihm. In mir drinnen spürte ich ein leichtes Kribbeln, mein Wolf meldete sich. Er wollte mir etwas sagen, doch ich kam nicht darauf was. Die Stunden vergingen endlos langsam, als wollten sie mich absichtlich quälen. Der Sekundenzeiger hüpfte vorwärts um dann stehen zu bleiben, mich auszulachen und weiter zu hüpfen. Stundenlang starrte ich auf diese Uhr, die mich wahnsinnig machte. Und ich wechselte kein Wort mit Jonas. In den letzten fünf Minuten der letzten Stunde, als ich endlich das Gefühl hatte, es gleich geschafft zu haben und in den Wald zurückzukönnen, konnte er sich anscheinend nicht mehr beherrschen. Die Wörter wollten aus ihm heraus, er konnte sie nicht zurück halten. ?Hallo, ich bin Jonas, du bist Nela richtig?? Als er fertig gesprochen hatte, weiteten sich seine Augen, er wollte es gar nicht sagen, doch, doch es war wie bei mir, wenn mein Wolf etwas sagen wollte. Ich musste es unterdrücken scharf Luft zu holen. Seine Augen! Natürlich, dass wollte er mir sagen! Ich hob mein Gesicht und sah ihm direkt in die Augen. ?Ja, hallo? Meine Stimme klang rau, zu lang hatte ich nicht mehr gesprochen. Er zuckte zurück. ?Schön dich kennenzulernen?, murmelte er noch leise, bevor er sich umdrehte und sich von mir entfernte, eigentlich wegrannte. Ich nickte leicht. Es war Fluchtinstinkt. Sein Wolf hatte Angst, Angst vor mir, denn ich war auf höhergestellt als er. Er war Luft.
2.KAPITEL Imagos Sicht ?Ich habe Luft?. Nachdem ich kurz überlegen musste, was Nela mir damit in Gedanken sagen wollte, sprang ich fast in die Luft vor Freude. So lange hatten wir auf diesen Moment gewartet! Seit wir mit 14 Jahren unsere erste Verwandlung überstanden hatten, also ich ein Jahr früher als sie, hatten wir gesucht und gesucht, doch niemand hatte auch nur ansatzweise Erde oder Luft sein können. ?Wer??, fragte ich zurück. Ich nahm ein unterdrücktes Kichern in Nelas Kopf war, anscheinend konnte ich meine Aufregung nicht wirklich gut unter Kontrolle halten. ?Jonas, ist neu in meine Klasse geko?? Lucy unterbrach sie. ?Alles ok, bei dir?? Ich hatte zum Glück verstanden, was meine Schwester mir hatte sagen wollen und schaute in die verwirrten, braunen Augen von meinem Gegenüber. ?Ja Schatz, alles in Ordnung? Ich war wohl einfach stehen geblieben, als Nela mich kontaktiert hatte. Zum Beweis, dass wirklich alles gut war, küsste ich sie, dann gingen wir weiter auf den Ausgang der Schule zu, der unser Ziel gewesen war. Dort erwartete uns nämlich schon mein bester Kumpel, Maurice. Wir drei wollten noch in die Stadtmitte zu dem besten Eissalon der Welt, um uns eine Abkühlung zu gönnen. Wir schlenderten langsam die lange, unbevölkerte Straße entlang. Nur ein blonder Junge war auf der anderen Straßenseite und ging in dieselbe Richtung wie wir. Irgendwann fragte Lucy mich nach meiner Schwester. Sie war das einzige Thema, über das ich nicht gerne sprach. ?Ihr geht es gut?, antwortete ich knapp auf ihre Frage. ?Wie geht es denn deinen Geschwistern?? Sie sah mich zuerst komisch an, doch dann ging sie auf den Themenwechsel ein und so redeten wir über Lucys Zwillingsschwester und ihren kleinen Bruder. Mich interessierte dieses Thema herzlich wenig, doch es war besser, als über Nela zu reden. Meine Freundin quasselte den ganzen Weg, bis zur Eisdiele, ununterbrochen über ihre Geschwister. Als wir dort angekommen waren, hatte ich großen Respekt vor ihrem Mundwerk. Wir stellten uns bei der elendslangen Schlange hinten an und ich bemerkte, dass vor uns derselbe Junge stand, der vorhin neben uns gegangen war. Ich hatte ihn bisher noch nie gesehen, obwohl ich fast die ganze Schule kannte. Mit allen hatte ich mich angefreundet, um zu sehen, ob sie ein Wolf waren, doch Erfolglos. Ein kleiner Verdacht schlich sich in meinen Kopf und ich suchte meine Schwester, die gerade im Wald auf dem Heimweg war. Ich konnte Geräusche bis zu vier Kilometern erkennen und wenn ich Nela gefunden hatte, konnte sie auch mit mir sprechen. Es war in meinem Kopf deshalb natürlich noch viel mehr los als bei meiner kleinen Schwester und es amüsierte mich, dass sie sich dauernd darüber beschwerte, dass bei ihr so viel Trubel war. ?Nela?? ?Hm??, antwortete sie gelangweilt. ?Wie sieht Jonas aus?? ?Hast du ihn gefunden??, plötzlich hatte die Langeweile einem Interesse Platz gemacht. ?Weiß ich nicht. Also??, hackte ich nach. Ich war das Gegenteil von meiner Schwester, die die Ruhe in Person war. Ungeduldig wartete ich auf eine Antwort. ?Blond, so groß wie du, schlank, himmelblaue Augen die Funkeln.? Alles bis auf das letzte Detail stimmte, also stieß ich ihn leicht von hinten an. ?He!?, er drehte sich wütend um. Wow. Seine Augen waren genial, fast so schön wir Nelas. ?Tut mir Leid, aber? könnten wir uns nachher kurz unterhalten?? Er musste sich beherrschen um nicht wegzurennen, das erkannte ich so deutlich, wie man eine Katze unter lauter Mäusen erkannte. Nela hatte rechtgehabt! ?N?natürlich?, sofort drehte er wieder seinen Rücken zu mir. Ich atmete tief durch. Ein schüchterner Wolf, das hatte uns gerade noch gefehlt. Lucy zog an meinem T-Shirt, weshalb ich mich zu ihr wendete. ?Was willst du mit dem Neuen machen??, ich sah pure Verwirrung in ihren Augen. Ich unterdrückte einen Seufzer, die Wahrheit sagen, konnte ich ja nicht wirklich, das wäre Höchstverrat gegenüber den Wölfen gewesen, denn, wie ich sie kannte, wäre sie sofort zur Polizei gerannt, also musste ich sie wohl oder übel anlügen. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen als ich ihr mit einem gespielten Grinsen zu flüsterte: ?Er schaut nur ähnlich aus wie einer meiner Freunde, deshalb wollte ich ihn fragen, ob sie miteinander verwandt sind? Sogar bei dieser unglaubwürdigen, kleinen Lüge war mir nicht wohl zumute. Ich hätte wohl länger eine Ausrede überlegen müssen, aber das wäre dann auch verräterisch gewesen. Zum Glück vertraute sie mir so sehr, dass sie nicht einmal auf die Idee kam, dass ich ihn das auch hier fragen könnte, und ich missbrauchte dieses Vertrauen. Als jeder eine Eistüte in der Hand hielt, ich mit Holunder, der besten Eis Sorte die es gibt, und Joghurt, schlenderte ich zu Jonas hinüber, der an einer abseits gelegenen Straßenlaterne lehnte und mich aus ängstlichen Augen anschaute. ?Kommst du heute zu und zum Abendessen?? ?Wolltest du nicht wissen, ob?oh? Er hatte ein gutes Gehör, und konnte Sachen gut kombinieren, zwei Eigenschaften, die mir gefielen. Ich nickte. ?Ich hol dich um neun bei der Schule ab? Es war keine Einladung zum Essen, es war ein Befehl, das verstand er und er hatte Angst, richtig Angst. ?Du brauchst dich nicht zu fürchten?, versuchte ich ihn gesprächiger zu machen, doch als er als Antwort einfach nur nickte, gab ich es auf, schlug ihm auf die Schulter und ging zu meiner Freundin zurück, die fragend in meine Richtung sah ?Und?? ?Was und?? ?Ähm?Sind sie jetzt verwandt?? ?Ach so, nein, nein, ich hab mich getäuscht? Bevor ihr eine Erwiderung über die Lippen kam, gab ich ihr einen zärtlichen Kuss, der immer intensiver wurde, bis ein Räuspern uns unterbrach. Ich sah genervt auf und erblickte Maurice. Kurz lachte ich auf, bevor wir wieder in Richtung Schule gingen. Dort trennten sich unsere Wege. Als wir die lange Straße wieder zurückgingen, sah ich mich noch einmal um. Jonas stand hinter der Ecke, ich hörte seinen Atem. Er hatte uns beobachtet. Grinsend drehte ich mich wieder um. Vielleicht würde doch ein guter Wolf aus ihm werden? Als wir bei der Schule angekommen waren, dämmerte es schon langsam. Die Luft wurde etwas kühler, eine leichte Brise wehte und die Gerüche, die bei Wölfen natürlich verstärkt waren, waren wunderbar. Der Wald roch so gut nach zuhause. Lucy ging nach einem langen Abschiedskuss nach rechts, sie wohnte in einer kleinen Vorstadt von Resa, Maurice nach links, er wohnte nicht weit von hier und ich ging hinter die Schule. Jedes Mal mit der Ausrede, meine Eltern würden dort parken und mich abholen. Doch heute lief ich nicht, wie sonst immer in den Wald, nachdem die Beiden verschwunden waren, sondern wartete. Schon bald hörte ich Jonas Schritte auf den Pflastersteinen, roch, wenn ich mich konzentrierte, seinen Angstgeruch. Als er stehen blieb kam ich um die Ecke. Er erschrak nur wenig, anscheinend hatte er sich auf mich vorbereitet. Langsam gefiel er mir immer besser. ?Nela komm zur Schule?, befahl ich ihr in Gedanken und sie musste gehorchen. Ich war schon länger ein Werwolf als sie. ?Hallo Jonas, wir warten nur noch auf meine Schwester?, begrüßte ich ihn. Er hinterfragte nicht, was dann passierten würde, wenn Nela gekommen war. Sehr gut, ich wollte ihm nicht noch mehr Angst machen, als er jetzt schon hatte. Nach acht Minuten hörte ich, wie sie sich verwandelte, sie hatte sich sehr beeilt. Unser Neuling bekam große Augen, als er sie in aus dem Schutz des dunklen, düsteren Waldes herauskommen sah. Meine Schwester lief direkt auf uns zu und sagte, wie immer, kein Wort. ?Ihr wollt nicht mit mir zu euch nach Hause, oder?? Mittlerweile hatte er echt Panik. ?Nein, wir müssen dir etwas erklären?, ich seufzte und behielt ihn im Auge, wegrennen konnte er nicht. ?Also. Es gibt Fabelwesen, Werwölfe und Engel sind jedoch die häufigsten. Engel sind böse, Werwölfe gut. Jeder Werwolf hat ein Element und Luft, Erde, Wasser und Feuer sind sie stärksten. Ich bin Feuer, Nela Wasser und du bist Luft? Jonas hatte mehrmals was sagen wollen, doch dann waren ihm die Wörter im Hals stecken geblieben. Er starrte uns einfach nur mit offenem Mund an. Die Sekunden vergingen, wurden zu Minuten. Nach ewiger Zeit fand er seine Stimme wieder. ?Deshalb habe ich so komische Augen!? Jetzt waren wir es, die ihn anstarrten. Er hielt uns nicht verrückt? Dachte nicht, dass wir in die Irrenanstalt gehörten und lief nicht einmal vor uns weg? ?Komm mit?, sagte Nela und zog ihn in den Wald. Es schien ihn mehr zu verwirren, das Nela etwas gesagt hatte, als das ihm gerade weisgemacht wurde, dass er ein Werwolf ist. Die Situation war so absurd, dass ich zu lachen anfing. Ich konnte einfach nicht mehr aufhören. Die Beiden anderen gingen tiefer in den Wald, nachdem sie sich einmal umgeschaut hatten und ich stolperte ihnen hinterher. Als ich mich einigermaßen wieder beruhigt hatte, sah ich wie Nela sich ohne Vorwarnung verwandelte. Zuerst zuckte Jonas merklich zurück, doch als meine Schwester ihn nicht angriff, streckte er langsam seine zitternde Hand aus, um ihr eisblaues Fell zu berühren. Sie stand ruhig da und beobachtete ihn. Er schluckte, dann sagte er leise: ?Wie kann ich mich verwandeln?? Ich hätte mir nie erträumen lassen, dass es so einfach werden würde, nie. Auf einmal weiteten sich seine Augen und er sah Nela entsetzt an, also hielt ich den Mund. Ich wusste, dass sie mit ihm redete. Nach einiger Zeit nickte er schüchtern und setzte sich auf ihren Rücken. Ich riss die Augen weit auf, heute war der sonderbarste Tag seit der Erschaffung der Erde, zuerst glaubte mir jemand aufs Wort, dass er ein Werwolf ist, ohne Angst zu haben und dann ließ meine kleine Schwester jemanden auf sich reiten. Ich starrte noch lange auf die Staubwolke, die hinter Nela aufwirbelte, bis mir einfiel, dass ich mich vielleicht auch Mal verwandeln könnte. In meinem Kopf herrschte reines Chaos, ich verstand die Welt nicht mehr. WAS. ZUM. TEUFEL. GING HIER VOR SICH? Als ich kurze Zeit gerannt war, holte ich die Beiden ein, denn mit dem zusätzlichem Gewicht konnte Nela natürlich nicht so schnell rennen. Ich sah Jonas an?und er grinste?? Abrupt blieb ich stehen, war da Hexerei im Spiel? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie so etwas möglich war. An einem einzigen Tag, Überraschungen über Überraschungen. Wieso grinste er? Ich beschloss noch ein wenig zu warten, bevor ich weiterrannte, damit sich mein Kopf vor der nächsten Überraschung etwas erholen konnte. Wir kamen etwa gleichzeitig bei unserem Haus an. Da Jonas noch neu in der Gegend war, kannte er die Geschichten über diesen Ort noch nicht, zum Glück. Er kletterte von dem Rücken meiner Schwester und sie verwandelte sich zurück. Sekundenlang starrten sich die Beiden an, bevor Nela sich abwandte und mich erwartungsvoll ansah. Ach ja. ?Ähm? also stell dir einfach vor, dass du ein Wolf bist? Jonas fing leise an zu lachen. ?Was ist denn so lustig??, fuhr ich ihn an. So viel Aufregung tat mir nicht gut. ?Das geht leider nicht so leicht? Nela seufzte und atmete dann ein, um es besser zu erklären als ich. Was sie immer tat.
3.KAPITEL Jonas Sicht Sie fing an zu sprechen. Ich hatte sie erst zweimal gehört, wie sie etwas gesagt hatte, aber ich hatte mich gleich in ihre Stimme verliebt. Sie war so wunderbar sanft und weich, es war eine dieser Stimmen, bei denen man einschlafen konnte, wenn sie eine Gutenachtgeschichte erzählte, man fühlte sich geborgen. ?Schließe deine Augen? Wie in Trace führte ich ihren Befehl aus. ?Stell dir vor, du läufst durch den Wald, der Wind fährt durch dein Fell, deine Pfoten trommeln auf den Grund, du fliegst fast über den Boden. Du fühlst dich frei.? Bei den letzten beiden Punkten hatte ich ein leichtes ziehen in meinem Körper gefühlt, ich hatte mir wirklich vorstellen können, was sie gemeint hatte, ich war mir sicher, dass sie aus Erfahrung gesprochen hatte. ?Öffne deine Augen? Verwirrt machte ich was sie gesagt hatte, sollte ich mich nicht verwandeln? Ich rechnete damit, dass sie ärgerlich sein würde, weil ich es nicht geschafft hatte, doch ich sah ihr auf den Bauch. Meine Augen wurden größer und größer, als ich an mir herabblickte. Vorderpfoten. Ich wendete meinen Kopf, auch der hintere Teil, war der eines hellblauen Wolfes. Ich stand einfach nur da und betrachtete mich, die starken Muskeln, die sich unter meinem Fell abzeichneten, gefielen mir außerordentlich gut. ?Und jetzt lauf!? Auf diesen Befehl hatte ich gewartet. Bevor Nela und Macho auch nur einmal blinzeln konnten, war ich im Wald verschwunden. Erst jetzt fielen mir die tausend Gerüche auf, jeden Baum, jede Maus, jedes Tier in einem Umkreis von sicher 100 Metern konnte ich Riechen. Mir wurde erst jetzt bewusst wie viel ich verpasst hatte, die Gerüche waren der Wahnsinn! Hinter mir hörte ich Pfoten schritte, doch als ich mich umdrehte sah ich nichts. Meine Nase konnte auch nichts erkennen, also rannte ich in die Richtung, als der das Geräusch kam. Nach vielen Metern entdeckte ich die Ursache und lachte auf, sofern das als Wolf möglich war. Eine Maus! Ich hatte eine Maus gehört, sie überhaupt nicht nahe gewesen war. Mein Gehör fand Nela, die noch immer beim Kieselbach stand. Das musste ich ihr nachher erzählen! ?Nicht mehr nötig?, hörte ich da ihre wunderbare Stimme in meinem Kopf. ?Wenn du mit mir sprechen willst, höre dich auch? Vor Überraschung, hielt ich kurz inne, doch dann rannte ich zu ihr. ?Hörst du auch so gut?? ?Ja, je länger man ein Wolf ist, desto weiter hört man? Ich kam bei Nela an, die mir bedeutete mitzukommen. Zuerst lief sie langsam los, dann wurde sie immer schneller und schneller. Da ich nicht als Feigling dastehen wollte, lief ich hinter ihr her, doch ich hatte Angst, gegen einen Baum zu laufen. So lächerlich das auch klingen mag. Nach einiger Zeit, war das Tempo nicht mehr so schlimm, ich gewöhnte mich langsam daran und fing an den Lauf zu genießen. Auf einmal schlugen die Gefühle wie eine Bombe auf mich ein. Warum hatte ich sie denn vorher noch nicht gespürt? Es war?unbeschreiblich. Nelas Beschreibung war eine so starke Untertreibung gewesen, allerdings konnte man dieses Gefühl auch schwer in Worte fassen. Es war eine Mischung aus Freiheit, Aufregung und Neugierde, was ich wohl noch konnte. Ich rannte weiter und weiter, irgendwann war Nela nicht mehr vor mir, doch das störte mich nicht. Meine Pfoten trommelten auf den weichen Boden, der mit Laub vom letzten Herbst bedeckt war, der Wind spielte mit meinem Fell, verstrubbelte es, glättete es wieder, dann kam die nächste Luft Verwirbelung. Luft war mein Element, kein anderes würde auch nur ansatzweise zu mir passen. Ich atmete tief die Waldluft ein und schloss die Augen. Ich verließ mich ganz auf meine anderen Sinnesorgane. Ich wollte die ganze Nacht durchlaufen, am liebsten nie wieder aufhören. Mein gebrochenes Herz fügte sich langsam wieder zusammen, während ich durch den Wald dahinflog. Ich war einfach nur Frei. Ein Gefühl, das ich noch nie gehabt hatte und es war mit Abstand das Beste von allen. Ich roch die kühle Nachtluft, anscheinend hatte es zu dämmern begonnen, doch ich achtete nicht darauf. Es waren jede Menge Tiere in der Nähe, ich machte so gut wie kein Geräusch beim Laufen und erschreckte sie nicht. Ich flog hoch in den Himmel, obwohl ich noch auf der Erde lief. Meine Seele war nicht mehr in meinem Körper. Auf einmal wurde der Waldboden vollkommen glatt. Ruckartig kam ich in die Realität zurück und öffnete verwirrt meine Augen. Zuerst erkannte ich nichts außer Bäume, denn es war wirklich dunkel geworden. Auf einmal drang ein Licht durch meine Augen, sie wurden heller und heller, bis ich sah, dass ich zwei Meter über dem Boden schwebte. Plumps. Ich lag auf dem Boden. Zunächst einmal hatte ich Augenscheinwerfer. Ich wusste nicht wieso, doch ich musste über dieses Wort grinsen. Und dann konnte ich fliegen. Angestrengt versuchte ich irgendwie wieder in die Luft zu bekommen, doch es gelang mir nicht. Seufzend stand ich auf und schüttelte die Erde aus meinem Fell, dann würde ich es morgen, mit Nelas Hilfe, noch einmal probieren. Natürlich würde auch Macho mir helfen können, doch?Nela war mir irgendwie lieber. Mein Gehör suchte das Plätschern des Baches, der neben dem Haus der Geschwister floss, und als ich ihn gefunden hatte lief ich dorthin. Nela stand mit Scheinwerferaugen schon am Fenster und lief hinunter als sie mich kommen sah, während ich mich verwandelte. Sie lächelte leicht, als sie bei mir angekommen war und ich konnte nicht anders, als zurück zu grinsen. ?Ich kann fliegen?, brachte ich aufgeregt heraus, worauf sich ihre Augen weiteten. Ein triumphierendes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit, ich wusste etwas, was sie noch nicht wusste, doch als sie mir sagte, dass ich es ihr zeigen sollte, verschwand es so plötzlich wie es gekommen war. ?Äh?ich?ich weiß nicht wie ich das gemacht hab? Ich zog meinen Kopf ein, weil ich erwartete, dass sie mit mir schimpfte, doch zu meiner Verwunderung schüttelt sie nur leicht den Kopf. ?Geht jedem am Anfang so? Während sie sprach sah sie mir tief in die Augen. Das Blau war das Schönste, was ich je gesehen hatte, es passte so perfekt zu ihren braunen Haaren. Ich musste einen Seufzer unterdrücken. Ich kannte sie doch erst seit heute. Nein gestern! Ein Blick auf meine Armbanduhr zeigte, dass es schon fast ein Uhr war. ?Wir gehen morgen nicht in die Schule!?, mit den Worten drehte sie sich schwungvoll um, so dass ihre Haare durch die Luft flogen. Sie zog mich an wie ein Magnet, ohne es wirklich zu merken folgte ich ihr in das stockdunkle Haus. Macho stand vor einem Raum: ?Du schläfst heute in meinem Zimmer, dann beantworte ich deine Fragen? Mit einem letzten Blick auf Nela, die in einem anderen Raum verschwand, ging ich zu ihrem Bruder, welcher sich auf sein Bett legte. Nachdem ich mich umgesehen hatte, fand ich auf dem Boden eine Matratze, auf die ich mich setzte. Gerade als ich nach langen Sekunden der Stille Luft holte um die erste Frage zu stellen, meldete sich seine Stimme: ?Bevor du anfängst, erzähle ich dir einiges über das Wolfsleben. Also, wie du sicher schon gemerkt hast, haben Werwölfe einen sehr ausgeprägten Geruchs- und Hör Sinn. Außerdem können ihre Augen leuchten, sie müssen sich nicht die Zähne putzen und können schnell einschlafen. Das Beste ist aber, dass sie sich über Gedanken unterhalten können. Ich glaube, das waren alle Vorteile, doch ich könnte auch einen Vergessen haben? Auf jeden Fall haben Wölfe sie selbe Augenfarbe wie als Mensch, genauso wie ihr Fell. Bei mir ist es eine Ausnahme, ich weiß nicht wieso.? Er räusperte sich kurz. ?Jeder Wolf hat ein Element, aber das hat dir Nela ja schon erzählt, und unsere Gegner sind Engel, obwohl die Menschen denken, dass wir böse, und Engel gut sind. Jetzt habe ich aber eine Frage: Was hat dir Nela im Wald gesagt, dass du keine Angst mehr hattest?? Ich hörte wahres Interesse aus seiner Stimme. ?Nur, dass ich keine Angst haben soll?? Ich wusste, dass er wusste, dass das nicht alles war, doch ich hatte Nela versprochen, dass ich nichts verriet, auch wenn ich nicht wusste, was an dem, was sie gesagt hatte so schlimm gewesen war. Um von dem Thema abzulenken begann ich zu fragen. ?Ihr habt doch gesagt, dass ihr nicht zum Haus wollt, wieso seid ihr dann trotzdem hergelaufen?? ?Keine Ahnung, Nebula hat dich auf ihr reiten lassen, außer dir durfte das noch niemand.? ?Ok.? Ich starrte auf die Decke, auf der mein blaues Augenlicht zu sehen war und musste grinsen. Ich war der erste gewesen! Obwohl ich nicht wusste, warum mich das so freute, war es so. Erst jetzt viel mir auf, dass er Nebula gesagt hatte. ?Äh?Nebula? Ist das ihr richtiger Name?? ?UPS. Ja ist es, nur jeder nennt sie anders.? Ich war nicht wirklich enttäuscht, dass sie mir nicht ihren wirklichen Namen gesagt hatte, doch glücklich war ich auch nicht darüber. Egal. ?Warum nennt dich jeder Macho?? ?Keine Ahnung.? Ich musste mir ein Lachen verkneifen, das war ja einmal eine wirklich ausführliche Antwort gewesen. ?Wie heißt du wirklich?? ??Imago? ?Schöner Name? ?Danke? ?Ich weiß nicht, was ich noch Fragen soll?? ?Gut, dann frage ich dich etwas. Weshalb hattest du keine Angst vor uns?? ?Weiß ich selbst nicht genau?ich hab?irgendwie gespürt, dass wir ähnlich sind, weißt du?ich bin nicht wirklich beliebt. Ich hatte noch nie eine Freundin, meine Eltern streiten sich die ganze Zeit, mein Vater schlägt mich und meine Mutter auch selten und sie kümmern sich nicht darum wo ich bin. Ihnen wäre es wahrscheinlich am liebsten, wenn ich einfach verschwinden und nie wieder auftauchen würde. In meiner alten Schule wurde ich gemobbt, niemand hat zu mir gehalten. Ich weiß gar nicht, wie das ist, einen Freund zu haben, oder einen Kumpel, der immer zu mir hält, und etwas mit mir unternimmt. Jeden Nachmittag nach der Schule habe ich mich irgendwo herumgetrieben, und aufgepasst, dass weder meine Klassenkameraden, weder meine Eltern nicht finden. Oft bin ich erst spät in der Nacht in mein Haus zurückgekommen, damit ich meinen Vater nicht sehen musste. Irgendwie hat jeder gespürt, dass ich anders war, und ich selbst am meisten. Ich?ich konnte einfach nicht mehr.? Ich konnte einen leisen Schluchzer nicht unterdrücken, als alle Erinnerungen wieder hoch kamen. Meine Augen wurden feucht. ?Bis ich euch getroffen habe. Sofort habe ich die Verbindung gespürt und als ich heute durch den Wald gelaufen bin, war ich das erste Mal fröhlich. Das erste Mal in meinem Leben hab ich mich frei gefühlt. Das erste Mal hatte ich nicht das Gefühl gehabt alleine zu sein. Niemand, hat mir wehgetan, ihr habt sogar mit mir geredet. Und Nela, sie ist einfach wundervoll. Ein wunderschönes Mädchen hat mit mir geredet, das war auch das erste Mal in meinem beschissenen Leben. Ich bin erst einen Tag hier und fühle mich bei euch mehr zuhause, als an irgendeinem anderen Ort. Mein langsam gebrochenes und gesplittertes Herz hat sich wieder zusammengefügt? Es tat so gut sich auszureden, obwohl ich wusste, dass Macho nach dem ersten Satz schon eingeschlafen war. Ich hatte seine tiefen Atemzüge gehört. Meine Augen liefen über, die Tränen strömten nur so über meine Wangen. Es war eine Mischung aus Freudentränen, und welchen, die ich schon viel zu lange unterdrückt hatte. Alle meine Gefühle mussten aus mir heraus, ich hielt das Chaos in meinem Körper nicht mehr aus. In meinem Innersten regte sich der Wunsch, dass ich jetzt sofort einschlafen wollte, damit ich nicht noch schwächer wurde, damit niemand merkte, wie schwach ich schon war. Vor allem nicht Nela. Wie von selbst wurden meine Augenlieder von einer Sekunde auf die andere schwer und in der nächsten befand ich mich schon im Land der Träume, in dem ich mich von der Wirklichkeit ausruhen konnte, das Jahrelang meine einzigen glücklichen Stunden bedeutet hatte.
4.KAPITEL Nebulas Sicht Natürlich hatte ich gelauscht. Aber was hätte ich denn auch anderes machen können, die beiden hatten so laut geredet, dass ihre Stimmen auch ohne mein besseres Gehör durch die dünnen Wände gedrungen waren. Jetzt spukten mir Jonas Sätze im Kopf herum. Zuallererst hatte er nicht verraten, dass ich ihm gesagt hatte, dass ich keine so tiefe Abneigung gegen ihn hatte, wie gegen alle anderen Menschen. Außer Imago natürlich. Zuerst war er verunsichert gewesen, doch dann hatte ihn sein starker Wolf überredet nicht schwach zu sein und er war zu mir gekommen. Als nächstes hatte er eine wirklich schwierige Kindheit, und dass seine verletzte Seele gleich bei uns bleiben wollte, brachte mich aus irgendeinem Grund leicht zum Lächeln. Aber nicht nur deshalb, weil es so einfach gewesen war, nein, irgendwie war ich auch froh, dass er bei uns blieb. Ich hatte derartige Gefühle noch nie gehabt, keine Zuneigung empfunden, und jetzt kommt er, der Schwache, der am Boden zerstörte, und deckte eine ganz neue Seite von mir auf. Er blies ein Stück Nebel weg, bei einer Stelle, die bis jetzt im Verborgenen geblieben war, die sich versteckt hatte. Sogar vor mir. Und diese Unwissenheit, was hinter den verdunsteten Wassertropfen war, machte mich unsicher und verletzlich. Das, was mich aber am Meisten berührt hatte, was mein Herz hatte höher schlagen lassen, waren die Worte ?Und Nela, sie ist einfach wundervoll. Ein wunderschönes Mädchen hat mit mir geredet..." gewesen. Ich wusste, dass viele Leute mich hübsch fanden, doch bei niemandem hatte es die gleiche Wirkung erzielt. Macho hatte schon viele Freundinnen gehabt, doch ich noch keinen einzigen Freund. Ich wusste nicht was ?Liebe" wirklich war, wie sie sich anfühlte, doch ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht in jemanden verliebt war, den ich erst einen Tag kannte. Vielleicht, ganz vielleicht mochte ich ihn ganz, ganz wenig. Aber wahrscheinlich hasste ich ihn einfach nicht, und da ich eigentlich die gesamte Menschheit hasste, konnte es schon sein, dass mein Gehirn sich irgendetwas daher sponn, weil ich nicht so eine tiefe Abneigung gegen ihn hatte. Mit einem Seufzer drehte ich mich um. Dieser Junge brachte mein ganzes Leben durcheinander, setzte mich in ein Gefühls Karussell, das mein Herz um den Verstand brachte und die sonst undurchdringbare Mauer um meinen Körper bröckeln ließ. Er schlug ein kleines Fenster hinein und konnte tief in mich hineinblicken, so tief, wie ich es nicht einmal Imago erlaubte und ich konnte mich nicht wehren, war wie versteinert. Und ich hatte auch nichts dagegen, ihm einen Einblick in mein Leben zu geben.
Als ich am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang aufwachte, hatte ich einen Entschluss gefasst: Ich wollte ihm helfen, wollte ihn seine Sorgen vergessen lassen, und ihm ein zuhause geben, weil ich Mitleid mit ihm hatte. Noch ein bisher verstecktes Gefühl. Ich fragte mich, wie viel ich denn noch versteckt hatte, in den vielen Jahren Einsamkeit. Tief in meinem Innersten wusste ich, dass Jonas mir gut tat, doch mein über die Jahre aufgebautes, unwirkliches ich, wollte es nicht wahrhaben. Ich schüttelte meinen Kopf um die wirren Gedanken loszuwerden und schlich in die Küche. Gerade als ich aus der Haustür hinaus tapsen wollte, hielt ich inne und rannte wieder in mein Zimmer, um aus den tiefen meines Kleiderschranks, den alten Bikini hervorzukramen, den ich zuletzt vor zwei Jahren verwendet hatte. Ich zog mich rasch um, er war sicher um eine, wenn nicht zwei Größen zu klein, doch ich wollte nicht unbedingt unseren Gast ... verschrecken. Mir würde es nicht so viel ausmachen, ich war es ja gewohnt, doch Jonas, hatte bestimmt eine andere Meinung. Noch während ich die Treppe hinunterging, fiel mir ein, dass ich sehr viel über Jonas nachdachte. Nicht einen Satz konnten meine Gedanken formen, ohne dass ich an ihn dache, an seine Augen. Schon wieder! Genervt schnaubte ich und ließ mich in das Wasser des Kieselbachs sinken, an dem ich angekommen war. Das Wasser war von dem vorigen Tag noch angenehm warm und ohne groß darüber nachzudenken, tauchte ich unter. Normalerweise wurde ich in dem Wasser immer komplett ruhig, ließ es mir meinem Körper spielen, während meine Seele mit den Fischen um die Wette schwamm, doch heute wollte dieses Gefühl der vollständigen Zufriedenheit nicht kommen, ?Mein Nebel" wollte sich nicht wieder zusammenfügen, so wie sonst jedes Mal, wenn ein Loch hineingerissen wurde. Stadtessen fiel mir ein, wie Jonas mich wohl sehen würde, wenn er aus dem Fenster sah und sofort tauchte ich auf. Ein Körper der im Wasser schwamm, reglos, minutenlang, er würde denken, dass ich ... dass ich tot war. Kopfschüttelnd, dass ich sogar im Kieselbach diesen Jungen nicht aus meinem Kopf bekam, erzeugte ich eine leichte Strömung, die von unten gegen meinen Körper drückte, so dass ich im Wasser liegen konnte, und mein Gesicht aus dem Wasser schaute. Etwas entspannter schloss ich die Augen, nur um mich im nächsten Moment wieder zu verkrampfen. Jonas, Jonas, Jonas. Sogar, wenn ich schlafen wollte sah ich ihn, es war zum verrückt werden. Er war wie ein großer Berg, um den tausende Vögel flogen, viele Gedanken, doch eigentlich drehten sie sich nur um eines. In einem Film würde er jetzt als meine rettende Insel inmitten von einem weiten Meer dargestellt werden, doch das Leben war nicht immer so einfach. Ich war das Meer, und er ragte aus mir heraus. Die einzige Unebenheit, in meiner perfekten Maske.
Als ich die Augen aufschlug, musste ich sie gleich wieder zusammenpressen, die ersten Sonnenstrahlen krochen hinter dem Wald hervor, und doch waren sie schon so kräftig, wie an manchen Wintertagen zu Mittag nicht. Schlafen hatte ich nicht wirklich können, ich hatte nur so vor mich hin gedöst. Und immer nur an IHN gedacht. Leise Schritte kamen auf mich zu, und ein Blick zu des Geräusches, bestätigte meine Vermutung, irgendwie hatte ich gehofft, dass er es sein würde. ?Wieso bist du jetzt schon wach??", ungläubig starrte er mich an. ?So halt ... bist du ja auch" Ich wollte nicht unhöflich, oder gereizt klingen, doch ich merkte, dass ich viel zu lange fast nur mit Macho geredet hatte, ich hatte sozusagen verlernt freundlich zu sein, meine Stimme klang immer uninteressiert. ?Äh ja", verlegen kratze er sich die Schulter. ?Ich bin kurz aufgewacht und wollte gleich wieder einschlafen, doch dann ist mir das von gestern wieder eingefallen und ich wollte noch ein bisschen ... laufen" Ich bemühte mich um ein aufmunterndes lächeln, doch wahrscheinlich sah es eher gespielt aus, in diesen Sachen hatte ich auch nicht wirklich viel Erfahrung. ?Es steht dir nichts im Weg" In meinem Gehirn ratterte es, was könnte ich noch hinzufügen, dass freundlich klang? Hoffentlich machte ich kein allzu angestrengtes Gesicht. Bei Jonas hatte ich nur eine schwache Maske, ich hatte nicht genügend Kraft, um sie so stark werden zu lassen, wie bei anderen Menschen. ?Viel Spaß", war das einzige, was ich noch herauspressen konnte, bevor der Wald ihn schon verschluckt hatte. Mir war nicht vollkommen klar, weshalb, doch ich fand es keinesfalls beruhigend ihn alleine in dem finsteren, düsteren Wald verschwinden zu sehen. Am liebsten würde ich ihm hinterherlaufen, doch ich beließ es dabei, die Geräusche zu verfolgen, die seine Pfoten auf dem trockenen Waldboden machten, bis sie irgendwann außerhalb meines Hörvermögens in der Ferne verschwanden und nur noch in meinen Gedanken wiederhallten.
Während der Zeit, in der er weg war, konnte ich, nachdem ich mich umgezogen hatte, gerade Mal den Frühstückstisch decken. Gerade als ich nur noch den Honig aus dem Schrank neben dem Kühlschrank holen musste, hörte ich sein lautes Hecheln und das darauffolgende planschen als er im Bach landete. Wiederwillig brach ein leises kichern aus mir heraus. Langsam schlenderte ich zum Kieselbach, in dem Jonas, nun in menschlicher Gestalt untergetaucht war, als ob er in einem Haus voller Verrückter die Arme seiner Mutter gefunden hatte. ?Bisschen heiß?" ?Sehr lustig..." Sein Gesicht war rot angelaufen als er auftauchte. Diesen Fehler machte jeder Anfänger-Wolf mindestens einmal in seinem Leben, wenn er im Sommer verwandelt wurde. Aber es war auch logisch, man wollte den Wind wieder in seinem Fell spüren, das Gefühl von ungezähmter Freiheit, da vergaß man schon manchmal, dass ein Wolf Fell hatte, das nicht gerade nützlich bei der drückenden Hitze war. ?Frühstück ist fertig", teilte ich ihm noch schnell mit, als ich ihm schon den Rücken zugewandt hatte. ?Äh Nela? Ich bin vollkommen nass!", rief er hinter mir her. In Gedanken befahl ich Macho zu mir zu kommen und als er schlaftrunken im Türrahmen erschien und sich an ihm festhielt, damit er nicht schwankte, deutete ich auf unseren Gast. Ein schwaches Grinsen umspielte seine Lippen, als er auf Jonas zuging. Nachdem Imago kurz angestrengt geschaut hatte, war der blonde Junge staubtrocken. Es war interessant zuzusehen, wie sein Gesicht zuerst komplett verwirrt aussah und nach einigen Sekunden die Erkennung ihn ihm zu lesen war. ?Danke", in seiner faszinierten Stimme klang auch etwas Verlegenheit mit. Mein Bruder nickte ihm zu, dann gingen wir zum Tisch, auf dem die Butter bereits angefangen hatte zu schmelzen.
Nach dem Essen schlug ich vor, dass wir an diesem Tag nicht zur Schule gehen könnten, weil die ersten Tage nach der Verwandlung immer sehr aufregend waren. Jonas war sofort begeistert, auf Unterricht hatte in den letzten, drückend heißen Wochen vor den Ferien sowieso keiner Lust, doch mein Bruder meinte, zu meiner großen Überraschung, dass er in die Schule gehen wollte, weil Lucy es nicht gerne hatte, wenn er schwänzte. Nachdem ich einige Minuten lang erfolglos versucht hatte ihn zu überzeugen zu bleiben, damit ich nicht mit unserem Gast alleine war und nachdem dann auch geklärt war, wer Lucy ist, machte sich Imago mit einem selbstgefälligem Lächeln auf den Lippen gemächlich auf dem Weg zur Schule, doch sobald er außer Sichtweite war trommelten seine Pfoten immer schneller auf den Bode, er musste sich beeilen um noch rechtzeitig zur zweiten Stunde zu kommen. Als die Geräusche verschwunden waren, richtete ich meinen Blick von dem Wald auf Jonas. Still sahen wir uns in die Augen. Es war eine bedrückende Stille, die niemand traute zu brechen, die schwer wie Eisenblock zwischen uns lag. Eine Stille, die nicht totenstill war, die sich mit dem Rauschen des Waldes und Vogelgezwitscher vermischte, und doch Stille war. Schließlich war er es, der den Bann brach.
?Gehen wir zum Meer?" Ich brauchte einige Sekunden um seine Frage zu realisieren. ?...dort war ich seit Ewigkeiten nicht mehr" Fassungslos sah er in mein verlegenes Gesicht. ?Du lebst eine viertel Stunde vom Meer entfernt und warst seit ewiger Zeit nicht mehr dort?" Kopfschüttelnd nahm er meine Hand, und nur durch diese einfache Berührung schien es mir, als ob elektrische Blitze zwischen uns hin und her zucken würden, die mich um den Verstand brachten, deshalb riss ich meine Hand schnell von seiner los. In seiner Miene rangen Verlegenheit und Verwirrung miteinander, aber ich glaubte auch einen winzigen Schimmer Traurigkeit darin zu erkennen. Wahrscheinlich hatte ich mir ihn aber auch nur eingebildet. Jonas war einer von diesen Menschen, denen man alles sofort vom Gesicht ablesen konnte, jede kleinste Emotion schien darin eine enorme Veränderung auszumachen. Ich mochte das Gefühl, noch vor der Person, die vor mir stand zu wissen, wie sie sich fühlte. So wie jetzt mein Gast fragend und leicht verärgert zu mir sah. Oh! ?Äh... was hast du gesagt?" Mit einem Seufzer wiederholte er seine Aussage. ?Ich habe gesagt, dass ich zum Strand gehe und du mitkommst, weil ich weiß, dass es dir dort gefallen wird" ?Was? Ich meine ... wieso sollte ich mitkommen?" ?Weil es dir gefallen wird, ich hol kurz meine Sachen, bin gleich wieder da" Verwirrt sah ich ihm hinterher, wie er schon zum zweiten Mal an diesem Tag im Wald verschwand. Etwas perplex setzte ich mich auf den Boden neben dem Bach, wo wir gestanden hatten, und hörte ihm zu um mich zu beruhigen. Diese Methode schien mir besser, als alle Meditationsübungen die es gab zusammen. Die Luft roch nach Wald und Wiese, aber auch noch etwas von Jonas Geruch hing in der windstillen Umgebung fest, der auf eine seltsame Weise mein Herz schneller schlagen ließ. Einerseits, weil ich ihn gar nicht so schlecht fand, wie ich leider zugeben musste, andererseits, weil er so intensiv war, dass ich ihn genauso wenig ignorieren konnte, wie ein fast Erfrorener ein warmes Haus, und mir das Angst machte. Also stand ich auf und ging auf Imagos Kaninchenwiese, dort roch es zwar streng nach Fell und ihren Ausscheidungen, aber es war allemal besser, als der Geruch von IHM.
Doch diese wunderbare Zeit hielt nicht lange an, denn nach einigen Minuten preschte schon Jonas in Wolfsgestalt auf mich zu, der in seinem Maul eine Tasche mit Badesachen drinnen trug. Ich musste mir ein grinsen verkneifen, es sah zu niedlich aus, eine ?wilde Bestie" mir einer geblümten Badetasche zu sehen. So als ob ein T-Rex einen Sonnenschirm mit sich herumtagen würde. Er verwandelte sich, nachdem er die Tasche abgestellt hatte und sah mich auffordernd an, eigentlich hatte ich beschlossen, mich ihm zu wiedersetzten, doch der flehende Ausdruck in seinen strahlend blauen Augen, die in der Sonne funkelten, hielt mich davon ab. Wiederwillig packte ich meine Sachen ein und folgte ihm den langen, mit Steinen übersäten Pfad hinunter, bis wir zu der Hauptstraße kamen. Von dort ging es dann weiter den stinkenden, grauen Gehsteig entlang, bis wie in eine eher verlassene Bucht abbogen, die endlich wieder natürlich, und nicht mit Menschenzeug verpestet war. Ein komisches Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus, als ich das weite, offene Meer sah, dass sich bis zu einer etwa drei Kilometer entfernten Insel erstreckte, und rechts, in einem schmalen Durchgang, viel weiter Hinten mit dem Horizont zu verschmelzen schien. Auf der anderen Seite schmiegte sich eine felsige Landschaft an das Gewässer an. Das Brechen der Wellen am steinigen Strand hörte sich wunderbar an, jedes Mal, wenn ich in meiner Kindheit dort gewesen war, hatte ich Durst von dem Geräusch bekommen, ebenso wie jetzt. Ich musste wohl lange auf das Wasser gestarrt haben, denn Jonas, der bereits umgezogen war, grinste mich an. Ich presste die Lippen zusammen, doch dann quetschte ich mich wieder in den viel zu engen Bikini und ließ mich, ohne zu zögern, ins Wasser gleiten, das von der Hitze der letzten Tage angenehm aufgewärmt war. Es war fantastisch! Die Energie des Meeres drang in mich ein, mit einer solchen Wucht, dass ich nach Luft schnappen musste. Das riesige Wasser lebte, verschmolz mit mir, hob mich hoch und lies mich wieder runter gleiten, schaukelte mich hin und her. Als ich untertauchte schmeckte ich das Salz, das ich vorhin gerochen hatte, schmeckte Fische, Muscheln, Algen, hörte das knistern der Fische, wie sie sich unterhielten, die Wellen, die nun gedämpft auf den Strand trafen, Jonas Schritte, die die Steine aneinander schlagen ließ, und doch war das beeindruckenste das, was ich sah. Der Grund, über dem ich schwamm, und auf dem ich noch stehen hätte können, bestand aus vielen runden, von den Wassermassen geglätteten, weißen Steinen, die allesamt nicht größer als meine Faust waren. Wenn ich weiter in Richtung offenes Meer sah, schrägte der Boden ab, und die weißen kleinen Steine wurden von größeren, massiveren Felsbrocken in unterschiedlichsten Größen abgelöst, in deren Ritzen Moos und Algen abgelagert waren, bis sie in einem blauen Nichts meinen Augen entschwanden. Ein paar Muscheln blitzten in einiger Entfernung im Sonnenlicht auf, auch einige schwarze, stachlige Seeigel waren zu sehen, dort wo das Wasser schon tiefer war, und überall schwammen Fische in den unterschiedlichsten Farben und Formen herum. Winzig kleine, längliche in Schwärmen, größere, eher rundlichere alleine. Direkt neben mir beobachtete ich einen etwa zwanzig Zentimeter langen Grauen, der silbrig glänzte, wenn er sich zur Seite legte und das Licht reflektierte, daneben schwamm ein weiterer Grauer, dessen eintönige Farbe nur von einem weißen Fleck am Flossenansatz unterbrochen wurde, dessen Mitte ein schwarzer Punkt zierte. Als ich mich zu Jonas umdrehen wollte, ragte ein Felsblock in das Meer und zog meinen Blick auf seine glatte und dennoch schroffe Oberfläche, die sich in der Tiefe verlor. Direkt davor war ein Abgrund, so steil, dass ich den Grund nicht sehen konnte, sogar mit meinen Augen, sie unter Wasser genauso gut, oder sogar noch besser, als an Land sehen konnten. Ich führte meine Drehung zu Ende und sah in Jonas' belustigtes Gesicht, das durch eine Taucherbrille zu mir schaute. Er hatte wohl inzwischen begriffen, dass ich unter Wasser atmen konnte. Winzige Staubteilchen flimmerten auf der Wasseroberfläche, und Luftbläschen stiegen von dem Grund zu ihnen auf, als wollten sie nicht länger alleine sein und jemanden zum Spielen suchen. Genau durch diese Luftbläschen konnte ich atmen, ähnlich wie Fische, genug Sauerstoff war ja vorhanden. Die Sonne tanzte auf den Wellen, die von unter Wasser die verschiedensten Blautöne annahmen, mal höher, mal tiefer wurden und mich, die ich tiefer war, nur leicht hin und her schaukelten. Das Licht, das nicht nur auf dem Wasser tanzen wollte, bahnte sich einen Weg auf den Boden, auf dem es in allen Regenbogenfarben weitermachte, nie aufhörte, außer es war eine Wolke im Weg. Doch sobald sie wieder weg war, kamen die Fische zurück, die der Sonne gefolgt waren, weil sie nicht im Schatten sein wollten und sahen dem erneuten Schauspiel auf dem Grund des Meeres zu. Etwas weiter rechts steckte gerade ein Krake seinen runden Kopf aus seinem Versteck zwischen den Steinen, verschwand aber sofort wieder, als er uns wahrnahm. Und durch die Mischung aller dieser Dinge, sah Jonas, von dessen Gesicht sein mit Problemen gezeichnetes Leben abzulesen war, einfach zauberhaft aus. Ich grinste ihn dankbar an, als ich das letzte Mal hier baden gewesen war, hatte ich die Verwandlung noch nicht hinter mir gehabt, und ohne ihn hätte ich das hier wohl die nächsten paar Jahre nicht erlebt. Die Dankbarkeit, die ich für ihn empfand, war aufrichtig und ehrlich, jede Zelle in meinem Körper war erfüllt von Freude und Glück, weil es diesen Jungen gab, und er mich, gegen meinen Willen, hierher gebracht hatte, in mein neues Leben. Dann schwamm ich hinaus, in die Tiefen des Ozeans. Und wusste er würde auf mich warten.
Thema von Schreiberlicht im Forum Literatur und Schreiben
Teil 1 Ich drehte mich langsam noch einmal zu unserem Haus um. Der einst weiße Putz hatte über die Jahre eine gelbliche Farbe bekommen und hatte angefangen zu bröckeln. Das Gebäude sah einsam und verlassen aus, jetzt, wo ich mit den wenigen Sachen, die ich besaß mit meiner Familie auf Urlaub fuhr. Vor lauter Vorfreude auf meine zwei kleinen Enkelkinder begann mein altes Herz schneller zu klopfen. Ich lehnte mich an den großen Apfelbaum, der in meinem Garten stand und wunderschöne rosa Blüten trug. Seine ausladenden, knorrigen Äste erinnerten mich an meine Kindheit, als ich diese damals erklomm. Als sie noch so weit auseinander lagen, das ich wirklich stolz auf mich war, als ich die Baumkrone erreicht hatte, die damals bis zu den Sternen reichte. Der warme Frühlingswind riss mich aus meinen Gedanken, weil er mir die Haare ins Gesicht blies, aber ich machte mir nicht die Mühe, sie wegzustreichen. Mein Blick verirrte sich nun auf die Straße und huschte suchend hin und her, bis ich endlich in der Ferne ein schwarzes Auto ausmachte, das sich gut von den bunten Farben der Blüten und Blumen, die jetzt überall zu sehen waren, abhob. Als es näher kam, sah ich, wie mir die Personen in ihm eifrig zuwinkten, und mein Herz wurde warm. Langsam hob ich meine runzelige alte Hand und winkte zurück. Als sie bei mir angekommen waren und nachdem ich meine Tochter Carmen, meinen Schwiegersohn Levin und meine Enkelkinder, die Zwillinge Timon und Tom, begrüßt hatte, hievte ich mich mit Hilfe von Tom, der im rechten Teil des Autos saß, in die Mitte des Gefährts hinein. Levin am Lenkrad, mein Mädchen auf dem Beifahrersitz und die beiden zehnjährigen blonden Buben links und rechts von mir, dann startete der Fahrer den Motor. Ich atmete tief durch, da ich lange Autofahrten nicht mochte, und schnallte mich an. Sachte wurde ich in den Sitz gedrückt, als mein Schwiegersohn langsam Gas gab.
Teil 2 Fast sofort nach der Abfahrt wurde ich müde. Ich zwang mich aber, noch etwas wach zu bleiben um meine Enkel zu betrachten. Tom gab immer damit an, dass er der Ältere war, wenn auch nur um zehn Minuten. Timon war der Ruhigere von beiden, er sagte nur selten etwas, aber wenn er sprach, gab er fast immer gut überlegte Äußerungen von sich. Die Zwillinge glichen sich auf?s Haar: Lange dünne Körper, die sie von ihrer Mutter, also auch von mir, geerbt hatten, ein breites Lächeln, himmelblaue Augen und kurze blonde Haare. Sie waren schon wieder ein Stück gewachsen, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Da die Kinder es etwas merkwürdig fanden, dass ich sie beobachtete, fragte Tom, ob wir nicht etwas spielen wollten, während Timon unruhig auf seinem Sitz hin- und herrutschte. Natürlich willigte ich ein, und so verbrachten wir den Anfang der Autofahrt damit ?Ich seh, ich seh, was du nicht siehst? zu spielen. Nach einiger Zeit bekam ich ein flaues Gefühl in der Magengegend und meinte, dass ich eine kurze Pause bräuchte, sehr zum Leidwesen der beiden Buben. Um meinen Bauch zu beruhigen, schaute ich beim Seitenfenster hinaus, und wieder überkam mich diese Müdigkeit. Die Welt flog an mir vorbei, als ich herzhaft gähnte. Ich merkte nur noch, wie Carmen ihren Kindern sagte, dass sie jetzt still sein sollten, weil Tom angefangen hatte, seinen Bruder in den Arm zu pieksen, als sich meine Augenlieder wie von selbst schlossen und ich in das Land der Träume eintauchte. Früher, als ich jung war, konnte ich nie so schnell einschlafen, aber die Dinge ändern sich, wenn man alt wird. Komischerweise hatte ich einen Traum, obwohl ich fast nie träumte, und schon gar nicht im Auto, einen sehr merkwürdigen Traum: Ich lebte große Teile meines Lebens noch einmal, viele wichtige Abschnitte von ihm. Ich machte eine Gedankenreise, eine Reise voller Trauer und Verzweiflung, aber auch gefüllt von Hoffnung und Freude.
Teil 3 Die Reise startete an meinem fünften Geburtstag. Ich saß auf meinem blauen Bett und wartete auf mein Geschenk, mit dem schönsten Strahlen der Welt, einem Strahlen das aufrichtig und ernst gemeint war, welches nur Kinder zu Stande bringen. Meine Puppe, die ich letztes Jahr bekommen hatte, lag auf meinem Schoß. Als mir langweilig wurde, beschloss ihr das Schönste Kleid das ich hatte anzuziehen, natürlich auch in blau. Blau war immer schon meine Lieblingsfarbe gewesen, die ganzen Mädchen die verrückt nach rosa waren, hatte ich noch nie verstanden. Der Himmel, das Wasser, mein Kuscheltier, meine Decke,? alles was ich liebte oder besaß war blau. Ich dachte darüber nach, welches Geschenk ich wohl bekommen würde und vergaß ganz auf meine Puppe, die halb angezogen neben mir auf dem Bett lag. So in Gedanken versunken bemerkte ich erst gar nicht, das meine Eltern das Zimmer schon leide betreten hatten und erschrak als meine Mutter mir ihre Hand entgegen streckte, die ich dann aber sofort nahm und mich hochzog. Voller Vorfreude fühlte sich mein Magen merkwürdig an, aber in einer guten Art. Im Wohnzimmer angekommen hörte ich ein schaben und kratzen. Da ich sehr schreckhaft gewesen war, drückte ich panisch die Hand meiner Mutter fester, die nur schmunzelte und zu der Kellertür ging von der die Geräusche kamen. Versteckt hinter meiner Mutter, die die Tür öffnete, kniff ich die Augen zusammen, erst als mein Vater hinter mir seine großen Hände auf meine Schultern legte, wagte ich es meine Augen einen Spaltbreit zu öffnen, die kurz darauf so groß wie Suppenschüsseln waren, weil ich ihn zum ersten Mal sah. Einen kleinen Welpen. Kreischend lief ich zu ihm um ihn in die Arme zu nehmen. ?Beno, er heißt Beno?, jubelte ich und schaute meinen neuen Schützling wütend an, weil er vor mir zurückwich. Mein Vater lachte. ?Das ist ein Weibchen? sagte er mit seiner tiefen, warmen Stimme die ich so sehr liebte. Plötzlich musste ich auch grinsen und gab ihr wieder fröhlich den Namen den sie ihr Leben lang haben würde: ?Millie?
Teil 4 Die Erinnerung verblasste und mir wurde schwindelig. Alles drehte sich um mich, immer wieder sah ich Fetzten von mir, als ich lachend mit Millie spielte, bei jedem Fetzten ein wenig älter. Dann wurde mein Kopf wieder klarer und die Umgebung verschärfte sich immer mehr. Ich stand auf dem Bahnsteig, mit meiner besten Freundin Mai. Wir sind damals vierzehn Jahre alt gewesen. Sie weinte, genauso wie ich. ?Bitte, bitte tu mir das nicht an, du lebst nur einmal? schluchzte ich nach Wörtern suchend die sie überzeugen konnten nicht zu springen. Sie nahm mich in den Arm. ?Ich muss, du weißt es genauso gut wie ich?. ?D...du kannst auch zu?? Sie unterbrach mich: ?Ich werde nicht zu meinen Eltern, oder zum Direktor von der Schule gehen. Da hast es gesehen, es bringt nichts, sie machen weiter? Ich wusste es aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie wurde gemobbt, von der ganzen Schule, seit?schon immer eigentlich, ich wusste nicht weshalb. Ich sah sie flehent und mit Tränen in den Augen an: ?Ich werde nie mehr fröhlich sein ohne dich. Bitte!? Dann wurde der Zug durchgesagt. Ich werde ihn immer hassen, das schwöre ich. Sofort hielt ich sie an ihrem Leiberl fest, doch sie küsste mich einfach auf den Mund. Völlig verdattert ließ ich für einen Moment locker und den Moment nutzte sie um mich sanft nach hinten zu schubsen. Ich wollte nach ihrer Hand schnappen um sie fest zu halten, doch sie war zu schnell und rannte vor die gelbe Linie. Dort drehte sie sich noch einmal um und winkte. Dann sprang sie Sekunden bevor der Zug einfuhr. Ich wurde seltsamer Weise plötzlich ganz ruhig. Jetzt wusste ich den Grund für das Mobben *Sie hat mich geliebt* schoss es mir durch den Kopf. Ich fuhr mit den Fingern über meine Lippen und meine Augen würden feucht. ?Tschüss ich werde dich nie vergessen?, brach es nach einiger Zeit aus mir heraus, als mein Gesicht schon tränenüberströmten war. Mir war es egal was die Leute sagten die zu mir liefen um sich um mich zu kümmern, ich antwortete nicht, sah nur auf die Blutlacke die sich unter den Rädern ausbreitete. Mir wurde schlecht und alles um mich begann sich wieder zu drehen, ich sah und hörte die schreienden und weinenden Personen, die hysterisch herumrannten wie durch Nebel. Dann wurde für einen kurzen Augenblick alles schwarz.
Teil 5 Am selben Tag ein paar Stunden später lag ich im Krankenhaus, in einem kleinen, schlicht gehaltenen, weißen Raum. Ein Psychotherapeut redete schon seit Stunden auf mich ein und obwohl er nett zu sein schien, hörte ich ihm nicht zu. Irgendwann gab er es auf und stand von einem kleinen Stuhl auf, der außer einem kleinen Tisch, meinem Bett und einem Bild an der Wand, das sie fast vollständig bedeckte, noch im Raum war. Ich schielte auf meine Armbanduhr, es war erst 9, viel zu früh um zu schlafen, also beschloss ich nachzudenken, weil ich dort eh nichts anderes tun konnte. Normalerweise hasste ich es, wenn ich einschlafen wollte und irgendwelche schrecklichen Gedanken sich in meinen Kopf schlichen. Dann versuchte ich immer sie durch irgendwelche schönen zu ersetzten. Aber nicht in dieser Nacht, in dieser Nacht wollte ich nicht vor dem Bösen davonlaufen, sondern mich ihm stellen, in dieser Nacht wollte ich mutiger werden. Langsam setzte ich mich auf und betrachtete das Bild, welches eine wunderschöne, gemalte Landschaft zeigte, während ich anfing zu überlegen, wie klein ich doch war. *Ich kann nichts tun, überhaupt nichts. Die Erde kann jeden Moment von einem Meteoriten, oder etwas ähnlichem ausgelöscht werden, einfach so. Niemand kann das verhindern. Menschen halten sich für klug und das sie über alles bestimmen können, aber in Wirklichkeit können sie gar nichts. Das Universum ist so verdammt riesig und es gibt viel mehr als nur dieses eine Universum. Das Nichts hat kein Ende, aber das kann sich niemand vorstellen, was ist überhaupt ?unendlich??. Wir denken, dass es irgendwo doch aufhören muss, aber was ist danach? Eine Wand? Eine andere Welt? Vielleicht ist alles was wir kennen nur ein Sandkorn in etwas anderem, riesigem. Und es geht doch nicht das es keinen Anfang von dem Nichts gibt. Irgendwann muss es doch einen Anfang gegeben haben, aber was war davor?* Ich stand auf und ging in dem Raum hin und her. *Die Menschen machen noch alles kaputt, es braucht nur irgendeinen Trottel zu geben, wenige Atombomben und auf unserem Planet lebt nichts mehr, alles nur noch Wüste. Wieso bekämpfen sich Menschen überhaupt? Sicher, sie haben ihre Gründe, aber dadurch sterben Menschen, Kinder. Leute verhungern und wir werfen Lebensmittel weg, nur weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, oder die Gurke nicht die richtig Krümmung hat. Wir nehmen Tieren ihren Lebensraum weg, rotten Arten aus, nur damit wir im Winter mit T-Shirts in der Wohnung rumlaufen können.* Mir kamen langsam die Tränen. Ich wusste schon warum ich das jeden Tag versuchte zu verdrängen. Ich gähnte laut und warf ich wieder auf das Bett. *Unser Körper ist so empfindlich, was ist wenn ich am nächsten Morgen einfach nichtmehr Aufwache? Wenn ich irgendwann einen Herzinfarkt bekomme, vors Auto laufe? Ich liebe das Leben, ich mag nicht irgendwann einfach nicht mehr da sein, ich mag bei meiner Familie meinen Freunden bleiben. Wieso muss man überhaupt sterben? Wenn ich schon sterben muss mag ich wenigstens wiedergeboren werden und eine Chance bekommen mich zu verabschieden. Ich würde es nicht ertragen wenn ich in einem Flugzeug sitze das abstürzt und ich mich von niemandem verabschieden kann. Das viele nicht einmal wissen, dass ich gleich nichtmehr unter ihnen sein werde. Aber ich hätte keine andere Wahl, ich müsste es ertragen, ob ich kann oder nicht. Alle sagen immer ?das passiert nur ganz selten, tausende Male passiert nichts, also wird dir auch nichts passieren?, aber wenn ich gerade in diesem einen Flieger sitze der abstürzt, denke ich nicht darüber nach, ob das nur selten passiert.* Ich hatte angefangen leise zu weinen. *Wieso gibt es böse Menschen? Räuber, Diebe, Mörder. Wieso? Wieso geht es vielen so schlecht, dass sie stehlen müssen? Wieso bringen Menschen freiwillig ihresgleichen um? Wieso hassen Menschen Ausländer, die vor dem Krieg in ihrem Land flüchten und nur ein friedliches Leben haben wollen? Wieso hassen Menschen ihr Leben so sehr das sie sich umbringen, weil sie keinen anderen Ausweg wissen? Wieso mobben Menschen andere?* Ich konnte nicht mehr. Die letzten beiden Fragen waren zu viel gewesen und die Tränen flossen sowieso schon in Strömen. Ein Blick auf den Wecker sagte mir das es erst 11 war, aber erschöpft durch die Ereignisse dieses Tages, vielen meine nassen Augen schon fast von selbst zu. Also tat ich das, was ich an jedem anderen Tag auch tat. Ich dachte an irgendein schönes Erlebnis um mich abzulenken, um mich vor der Wirklichkeit zu verstecken. Bald darauf schlief ich ein.
Teil 6 Als ich wieder ?aufwachte? war es knapp ein halbes Jahr später. Ich schlurfte wie an jedem anderen Schultag deprimiert die kalten Treppen hinunter zu dem Frühstückstisch als ich fast über Millie stolperte, die am Boden lag und alle Beine von sich gestreckt hatte. ?Guten Morgen Mausi?, sagte ich wie jeden Morgen zu ihr, doch komischerweise reagierte sie nicht wie sonst sondern seufzte nur tief. Auf einmal hellwach bückte ich mich um sie zu streicheln doch sie wedelte nur schwach mit dem Schwanz. ?Mama??, rief ich leicht panisch. ?Ja?? Sie kam gerade zur Tür herein. ?Können wir Millie zum Tierarzt bringen?? Nachdem meine Mutter sich unseren Hund näher angeschaut hatte nickte sie kurz und ging zu ihrem Computer um eine Entschuldigung an meinen Klassenvorstand zu schreiben. Normalerweise war sie der Meinung, dass ich immer in die Schule gehen sollte, außer ich war schwer krank, also musste es etwas sehr ernstes sein, wenn es nicht bis zum Nachmittag warten konnte. Wir luden Millie in unser altes Auto, obwohl sie sich heftig dagegen sträubte und fuhren zu Frau Soma, einer sehr freundlichen Tierärztin, die um sie vierzig sein musste, und in der Nähe ihre Praxis hatte. Während meine Mutter und ich draußen warteten, holte ich mir ein Heft über ein Tierheim von einem Ständer, die immer dort herumstanden und las es mir zur Ablenkung durch. Als ich bei einer der letzten Seiten angekommen war, auf der Hunde die ein zuhause suchen aufgelistet waren, öffnete sich die Tür zu dem Behandlungszimmer mit einem leisen knarren und ich fuhr hoch. Erwartungsvoll rannte ich in das Zimmer hinein, in dem überall weiße Schränke und Kästen an der Wand standen die vollgefüllt waren mit Transportboxen, Leckerlies, Spritzen und vielen Medikamenten. Sofort nahm ich den vertrauten Geruch nach Desinfektionsmittel wahr, der so typisch für alle Arztpraxen war. Mein Blick viel auf den Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem ein Häufchen Fell lag. Als ich den traurigen Blick sah den Frau Soma mir zuwarf, fing ich an unkontrolliert zu zittern. Ich stürzte zu Millie und zog sie zu mir. ?Waf if mit ifr?? fragte ich, doch da ich meinen Kopf in meinem Hund vergraben hatte, hörte sich das wohl etwas komisch an. Normalerweise würde mich meine Mutter jetzt schimpfen, von der ich gar nicht mitbekommen hatte, dass sie ins Zimmer gekommen war, doch sie war sicher auch geschockt von den Ereignissen der letzten Stunde und so blieb sie still. Ich atmete tief den Geruch von Millies Fell ein, als die Tierärztin mit sanfter Stimme zu sprechen begann.
Teil 7 ?Es tut mir sehr leid, sie hat einen Tumor in der Nähe ihres Herzes. Durch eine sehr teure Operation, könnte sie, falls sie diese überhaupt überleben sollte, möglicherweise noch ein paar Monate leben. Allerdings müsste sie dann jeden Tag Medikamente einnehmen, die auch nicht gerade billig wären?? Nach den ersten zwei Sätzen hörte ich Frau Soma nur noch als lästiges Hintergrundgeräusch. Mein ganzer Körper verkrampfte sich und ich weinte in Millie?s Fell hinein. Meine Eltern hatten nicht genügend Geld für eine Operation, schon gar nicht für eine teure. Wir hatten so viel, dass wir davon gut leben konnten, aber nicht mehr. Als ich die Worte ??einschläfern wäre wohl das Beste für sie?? hörte, bekam ich auf einmal schlecht Luft, weil mir bewusst wurde, dass dies wahrscheinlich die letzten Minuten mit Millie sein würden. Meine Mutter stellte sich neben mich und streichelte meinen Rücken, während ich laut aufschluchzte. Ein warmer Tropfen fiel auf meinen Handrücken und bestätigte meine Vermutung. Ich hatte meine Mutter noch nie weinen gesehen. Millie, die seit meinem fünften Geburtstag immer Teil unserer Familie gewesen war. Millie, die mich immer getröstet hat wenn ich traurig gewesen war, die mir immer zugehört hat. Millie, die mich verstanden hat wie kein anderer, sollte für immer aus meinem Leben verschwinden. Mein ganzer Körper zitterte und immer mehr Tränen bahnten sich einen Weg nach draußen. Unaufhaltsam flossen sie über meine Wangen und durchnässten das Fell der Hündin. Irgendwann hörte ich wie sich Frau Soma von hinten näherte und krallte mich an Millie. Ich wollte sie nicht gehen lassen, sie sollte für immer bei mir bleiben, so lange bis ich sterben würde. Ich würde alles dafür tun. Zwei Hände zogen mich von ihr weg und da ich ihr nicht wehtun wollte, müsste ich loslassen. Ich schrie auf und wehrte mich, wollte wieder zu ihr zurück, doch meine Mutter, zu der die Hände gehörten soweit ich durch den Tränenschleier richtig sah, zog mich durch die Tür aus dem Behandlungszimmer. Das letzte Mal als ich Millie lebendig sah, lag sie zu einer Kugel zusammengerollt auf dem Tisch und schaute mich mit ihren schwarzen Augen an und ihr Blick, der pure Angst zeigte, brannte sich in meine Erinnerung ein.
Teil 8 Langsam wurde alles wieder undeutlicher, rasend schnell zog ihre Beerdigung vorbei. Als ich wieder klar sehen konnte saß ich auf meinem blauen Bett. Mein Blick irrte im Raum umher, in dem ein großer, hölzerner Schrank, mit einem Spiegel darauf stand, daneben war ein Fenster, mit dunkelblauen Vorhängen zu sehen, außerdem ein bunter Teppich, den meine Großmutter selbst gestrickt hatte und der jetzt meinen Fußboden schmückte. Den allergrößten Teil meines Zimmers, bedeckten allerdings die vielen Bücherregale. Es war ein regelrechtes Labyrinth, überall standen Regale, die schon vollkommen überfüllt waren und an der Wand stapelten sich auch schon haufenweise Bücher, die keinen anderen Platz mehr gehabt hatten. Das war meine Zuflucht. Ich konnte in ferne Länder reisen, Verbrecher jagen, in andere Welten abtauchen und für einen Moment mein verdammtes Leben vergessen. Trotzdem, saß ich jetzt in meinem Zimmer und hielt mit zittriger Hand ein kleines Messer, das ich dann langsam auf meinen Unterarm hinabdrückte. Dieser Moment, in dem sich ein gutes Gefühl in mir ausbreitete, wurde allerdings bei jeder weiteren Narbe immer kürzer, lange würde diese Methode nicht mehr halten. Ich sah wie das Blut den schmalen Schnitt ausfüllte und ein leichtes lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, das allerdings nach ein paar Sekunden wieder erlosch, als meine Zimmertür aufging. Verdammt. Ich hatte wiedermal vergessen abzusperren, aber wer ging denn auch ohne anzuklopfen in das Zimmer eines pubertierenden Mädchens? Ärgerlich steckte ich das Messer unter meine Bettdecke und wollte den Schnitt verdecken, doch es war zu spät. Meine Mutter stand mit schreckensgeweiteten Augen da und atmete einmal tief ein, und doch hörte ich das Zittern in ihrer Stimme als sie mir vorschlug wieder zum Psychiater zu gehen. Allerdings formulierte sie es nur so als ob sie es vorschlagen würde. Eigentlich war es eine Art Befehl. Ich seufzte einmal und nickte dann wiederwillig. Ich hatte gelernt, dass es sinnlos war mit meiner Mutter zu diskutieren, wenn sie Angst um mich hatte. Also verbrachte ich alle Donnerstagnachmittage des nächsten Jahres, in einem stickigen Raum, um mir das Geschwafel einer Frau anzuhören. Im Nachhinein musste ich zugeben, dass die Stunden mir doch geholfen hatten und mich wahrscheinlich vor dem Selben Tod bewahrt hatten, wie meine Freundin ihn hatte. Diesmal wurde alles neblig um mich herum, bis der Nebel so dicht war, dass ich meine Hand nicht mehr sah, wenn ich sie direkt vor die Augen hielt. Ein einzelnes Bild blitzte in meinen Gedanken auf, auf dem ich zu sehen war, wie ich freudestrahlend mein gutes Maturazeugnis herzeigte und meinem zukünftigen Chef die Hand schüttelte, weil ich bei ihnen angenommen wurde. Als Verhaltensbiologin. Dann erlosch das Bild so plötzlich wie es gekommen war.
Teil 9 Dann stand ich vor dem Traualtar, rechts von mir mein geliebter Lorin. Ich war nun fünfundzwanzig und lebte seit fünf Jahren mit ihm zusammen. Erst vor einem Monat hatten wir beschlossen endlich zu Heiraten. Ich sah mich um, es waren vergleichsweise wenige Leute zu unserer Hochzeit gekommen, als zu den anderen aus unserem Ort, aber es war mir eigentlich egal. Ich erkannte meine Eltern und meine zukünftigen Schwiegereltern leicht unter den Anwesenden. Lorins Geschwister, Luna und Simon, Zwillinge die zwei Jahre jünger waren als wir, saßen ebenfalls dort und schauten uns gespannt zu. Die Leute waren alle wunderschön angezogen, genauso wie ich und mein zukünftiger Ehemann. Ich lächelte. Meine Mutter hatte darauf bestanden das Brautkleid für mich auszusuchen und es war das Schönste von allen geworden. Mein Blick viel auf Lorin, der in seinem schwarzen Anzug mit seinen etwas längeren, braunen Haaren, die ordentlich gekämmt waren, einfach wunderbar aussah. Sofort musste ich wieder an unsere Schulzeit zurückdenken. Er war in meiner Klasse gewesen und hatte auch beim Mobben von Mai mitgemacht, doch anders als die anderen hatte er mir nie die schuld an ihrem Tod gegeben, sondern sich selbst. Ganz verzeihen würde ich ihm nie, aber trotzdem liebte ich ihn über alles. Ich hatte gar nicht mitbekommen, was der alte Pfarrer gesprochen hatte, ich war viel zu aufgeregt und in Gedanken versunken dafür. Nach kurzer Zeit kam es dann zum Eheversprechen. Gerade als wir die ?Ja? Worte sprechen sollten, spürte ich eine kleine Hand auf meiner Schulter. Erstaunt drehte ich mich um, aber da stand niemand. Soweit ich mich erinnern konnte ist unsere Hochzeit nicht gestört worden und so etwas vergisst man doch nicht. Ich schaute in das verwirrte Gesicht meines ?Fast-Mannes?, dessen Eisblaue Augen mich fragend ansahen und spürte nochmal die kleine Hand, die mich schüttelte, als der Traualtar verschwand. Ich schlug meine Augen schlug und sah die Umgebung rasend schnell vorbei ziehen. Vollkommen verwirrt blinzelte ich ein paar Mal. *Erstes hatte ich die Augen doch offen, wie kann ich sie dann ein zweites Mal aufmachen? Und zweitens? fliege ich? Bin ich Tod?* Ich drehte meinen Kopf auf die andere Seite und musste leise über meine eigene Dummheit lachen. Wieso wird man nur so dumm wenn man alt wird?
Teil 10 Ich sah in Timons strahlend blaue Augen, der fröhlich mein Lächeln erwiderte. ?Wir sind bald da", krähte Tom hinter meinem Rücken. ?Du hast die ganze Zeit geschlafen Oma!" Tatsächlich bemerkte ich in der Ferne schon das Meer, hatte ich wirklich sieben Stunden lang geschlafen? Mir war es viel kürzer vorgekommen. Carmen drehte sich besorgt zu mir um. ?Alles in Ordnung Mama?", fragte sie leise. ?Natürlich Schatz, die ganze Aufregung hat mich nur etwas müde gemacht." Sichtlich beruhigt blickte Carmen wieder auf den schmalen Feldweg, auf den wir nun eingebogen waren. Leise diskutierte sie mit ihrem Mann darüber, dass sie sich ein neues Navi kaufen sollten, weil das hier nicht einmal in der Nähe des Meeres war. Sie schaltete das Gerät aus und wieder ein, während Levin wieder zurück auf die Hauptstraße fuhr. Nach weiteren zehn Minuten Fahrt, in denen ich die Zwillinge beruhigen musste, weil sie die ganze Zeit herum quängelten, weil sie nicht mehr sitzen wollten, fuhren wir auf eine Brücke. Augenblicklich wurden beide still und starrten mit großen Augen auf den Fluss, der unter uns durchfloss und wenig später in das Meer mündete. Lächelnd genoss ich diesen Ausblick. So lange hatte ich kein Meer mehr gesehen, bestimmt seit zwanzig Jahren nicht mehr. Als wir von der Brücke herunterfuhren, hielt die Stille Gott sei Dank. Kurz darauf waren wir auch schon bei der Ferienwohnung angekommen. Nachdem wir begrüßt worden waren und uns das Haus gezeigt worden war, gingen wir an den Strand. Die Sonne versank gerade im Meer und die warme Luft spielte mit meinen Haaren. Die Zwillinge hielten meine Hände und ein Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Ein Gefühl das ich lange nicht mehr verspürt hatte. Es war eine Mischung aus Freude, Aufregung, Glück und Freiheit. Dieses Gefühl kann man nicht beschreiben. Erst wenn man es gefühlt hat, weiß man wie wunderbar es ist. Und so standen wir lange da und schauten dem Sonnenuntergang zu, der das Wasser in flüssiges Gold verwandelte, begleitet von dem sanften Rauschen der Wellen und dem Zwitschern der Vögel. Sie ist schon wunderbar, die Natur.
Teil 11 Als es uns zu kalt wurde um weiter draußen zu stehen, gingen wir in die Ferienwohnung. Da ich nicht so gut zugehört hatte, als der Vermieter uns gezeigt hatte, was alles im Haus vorhanden war, wollte ich nun alles auf eigene Faust erforschen. So wie früher. Nur leider ging das mit meinem alten Körper etwas langsam von statten. Gleich nach der dunkelbraun gestrichenen Haustür, kam man in die Küche, von der aus links der Eingang zum Wohnzimmer war, allerdings ohne Tür. An der Wand, die sich gegenüber dem Türstock befand, stand ein dunkelblaues, großes Sofa. Das gesamte Zimmer war weiß gestrichen und eher schlich gehalten. Durch ein kleines Fenster an der rechten Wand fiel das schwache Licht der Abenddämmerung herein. Auf beiden Seiten neben dem Sofa stand eine Lampe. Außer dem befanden sich nur noch ein Ledersessel und ein Schaukelstuhl in dem kleinen Raum. Ich ging durch ihn durch, zu der linken Seite des Zimmers, wo sich eine weitere Türe befand. Ich öffnete sie und gelangte in ein gemütliches Zimmer mit einem Doppel- und einem Hochbett. Da diese schon so viel Platz verbrauchten, waren nur zwei kleine Kästen in die Ecken des Raumes gequetscht. Ein Bild von einer Blumenwiese ziehrte eine Wand und eine Lampe hing an der Decke. Sonst konnte ich in diesem Zimmer nichts interessantes mehr entdecken. Also ging ich wieder zurück zur Küche und diesmal in die andere Richtung, wo sich allerdings schon eine Türe befand. Nachdem ich sie geöffnet hatte, trat ich in eine Art kleinen Vorraum, in dem sich nur ein Kasten befand. An zwei aneinanderliegenden Seiten des Raumes waren Türen angebracht. Die eine führte in ein Zimmer, in dem ein klappriges Bettgestell stand. Sonst hatte in diesem winzigem Zimmer außer einer Lampe nicht viel Platz. Vermutlich war es einmal eine Abstellkammer gewesen und würde nun als mein Zimmer fungieren. Die andere Türe führte in das Badezimmer, in dem sich ein Klo, eine Dusche und ein Waschbecken befand. In einigen Kästen die hier herum standen lagen Dinge wie Handtücher, oder Seifen. Einen Staubsauger und ein Wischtuch hatte ich auch gefunden, sogar ein Föhn war dabei gewesen. Ich schleppte mich wieder ins Wohnzimmer und ließ mich mit Anstrengung auf dem alten Schaukelstuhl nieder, jetzt war sogar eine kleine Hausbesichtigung zu anstrengend für mich... langsam wurde ich wirklich alt. Aber alles in allem schien es ein richtig nettes Haus zu sein.
Teil 12 Gerade als ich ein wenig weg gedöst war, kam Timon zu mir, er war der anhänglichere der beiden Buben. Er setzte sich auf meinen Schoß und kuschte sich an mich. Obwohl er mir langsam zu schwer wurde, beklagte ich mich nicht, denn er sah traurig aus. "Was hast du denn?", Fragte ich ihn sanft. "T...Tom sagt ich bin ein Baby, w...weil ich immer zu dir komme", schluchzte er leise. Ich nahm ihn im den Arm. Tom war manchmal wirklich nervig, was sollte denn daran schlimm sein, seine Großmutter zu mögen. Ich seufzte. "Setzten wir uns vielleicht auf das Sofa? Dann kann ich dir eine Geschichte erzählen." Der Junge hüpfte sofort von mir herunter, während ich mich langsam aufrichtete. Auf der Bank ließ ich mich aber gleich wieder fallen, ein Fehler. Ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Körper und ich atmete scharf ein. Nach einigen tiefen Atemzügen, sah ich in Timons gespannte Augen und fing an zu erzählen: "Vor langer Zeit lebten Werwölfe und Hexen friedlich zusammen. Die Hexen gaben den Werwölfen Gaben, dafür beschützten diese sie. Doch damals lebte ein Rudel voll von bösen Werwölfen. Sie verwüsteten eines Nachts ein ganzes Hexendorf und töteten alle, die sich nicht schnell genug verstecken konnten. Keiner weiß wieso sie das gemacht hatten, doch damit war der Frieden vorbei, die Hexen zogen sich in ein geschütztes Tal zurück und unterrichteten ihre Kinder so, dass diese dachten alle Werwölfe seinen grausam und sie sollten nie auch nur einen Werwolf anschauen. Die guten Werwölfe waren darauf hin so wütend das sie nicht versuchten den Frieden wiederherzustellen. Deshalb leben sie heute noch getrennt und das böse Rudel ward nie wieder gesehen." Timon saß nur da und schaute mich mit großen Augen an. Dann brach er die Stille in dem er ehrfürchtig flüsterte: "Ich mag ein Werwolf sein!" Ich musste lächeln. Timon glaubte alles was ich ihm sagte. Doch, wer weiß, vielleicht gibt es auch wirklich Fabelwesen. "Oma, Timon? Es gibt Essen", brüllte Tom durchs Haus. Wir sahen uns an und er grinste. "Danke Oma", sagte er noch bevor er verschwand. *Ach, man kann sich keinen lieberen Enkel als Timon vorstellen.* Ich hievte mich auch hoch und setzte mich zu den anderen an den Esstisch, der in der Küche stand.
Teil 13 Nach dem Essen, es gab Brote und als Belag Wurst, Käse und diverse Aufstriche, schleppte ich mich ins Bad und putzte meine Zähne. Dort zog ich mich dann auch unter größter Anstrengung um und schlüpfte in mein Nachthemd. Dann ging ich in mein Zimmer, legte mich auf das Bett, das fürchterlich knarrte und schaltete das Licht ab. Fast sofort viel ich in einen tiefen Schlaf und träumte, zu meiner Überraschung, die Reise weiter.
Ich stand wieder vor dem Traualtar, rechts von mir Lorin. Es lief alles genauso ab wie bei der Autofahrt, dieselben Leute waren da, der Pfarrer redete dasselbe unnötige Zeug? Der einzige Unterschied war, das sich diesmal bei den ?Ja?-Worten, kleine Hand auf meine Schulter legte um mich ach zu bekommen. Nach den erlösenden Worten, durften wir uns nun endlich küssen. Wie beim ersten Mal verspürte ich ein leichtes, angenehmes Kribbeln in meiner Magengegend, als sich seine Lippen auf meine legten. Automatisch schloss ich die Augen und die Anwesenden klatschten. Es war einer der schönsten Tage in meinem ganzen bisherigen Leben. Nach der Trauung, gingen wir in ein Gasthaus, um dort zu feiern. All unsere Verwandten und Freunde gratulierten und jeder hatte ein mehr oder weniger großes Geschenk für uns. Die meisten aber schenkten einen ansehnlichen Gelbetrag her. Das Essen schmeckte wirklich fabelhaft. Als wir alle schon viel zu viel gegessen hatten, weil es einfach zu gut war, hielt Lorin eine Dankesrede. Seine weiche Stimme und seine funkelnden eisblauen Augen waren so wunderschön für mich, jedes Mal wenn er redete, hörte ich nur nebenbei auf den Sinn hinter seinen Worten, viel mehr hörte ich auf den Klang seiner Stimme. Als er fertig war klatschten alle und ich war an der Reihe. Sehr nervös, leierte ich einfach den Text herunter, den ich auswendig gelernt hatte, doch da wieder alle klatschten und mein Mann, wie ich ihn nun endlich nennen konnte, mich bewundernd ansah, konnte ich es wohl nicht so schlecht gemacht haben. Nach und nach verließen die Gäste das Gasthaus. Ich war gemeinsam mit Lorin natürlich die letzte die den Raum verließen, nachdem wir dem Wirt ausgiebig gedankt hatten. Er trug mich zum Auto, setzte mich lachend hinein und wir fuhren in unser neugebautes, gemütliches Haus. Es war himmelblau angestrichen, weil Lorin es in meiner Augenfarbe haben wollte, was ich echt süß fand. Wir gingen hinein und durch den Vorraum, wo wir uns die Schuhe auszogen, danach trug er mich, wieder im Brautstyle, die Treppe in unser Zimmer hinauf. Dies war die Nacht, in der ich meine Jungfräulichkeit verlor. Womöglich die schönste Nacht in meinem ganzen Leben. Die Nacht in der ein neues Leben entstand. Unser neues Leben.
Teil 14 Gleich nachdem die Erinnerung verblasst war, tauchte auch schon die nächste auf. Ich lag im Krankenhausbett und neben mir saß Lorin, als die Hebamme mir ein winziges Ding in die Arme legte. Ein Wunder. Es war so unglaublich, dass in einer einzigen Nacht, ein Lebewesen entstehen konnte. Nun würden wir nie wieder alleine sein. Das Wunder, das Carmen hieß, würde uns immer begleiten, wir würden alle Höhen und Tiefen zu dritt meistern, ihr Leben mit unserem Beschützen und ihr alles beibringen was wir wussten. Wie von Sinnen schaute ich unsere kleine Tochter an, die sofort angefangen hatte zu trinken. Ich hatte mir schon immer ein Kind gewünscht und endlich hielt ich es in den Armen. Lorin strich liebevoll mit der Hand über den Kopf von Carmen, auf dem man schon den Ansatz von Haaren erkennen konnte. Er legte den anderen Arm um mich und hauchte: ?Danke?. Ich schmunzelte: ?Ich muss dir danken? Er lachte leise, dieses Lachen, das ich so sehr liebte. Ich wiegte unser Kind sanft hin und her, während er sich zu mir runterbeugte und mich küsste. Ich lächelte in den Kuss hinein, dieser Mann machte mich verrückt, mein gesamter Körper fühlte sich so leicht an wie eine Feder, das einzige Gewicht, das ich tragen musste, lag in meinen Armen. Der Druck auf meinen Lippen ließ nach, doch dieses Gefühl blieb. Carmen fing an zu schreien, da ich nicht wusste, wie ich sie beruhigen sollte, wiegte ich sie nervös schneller, doch es brachte nichts. Ich redete leise auf sie ein, während ich sie auf und ab schüttelte, aber das brachte genau so wenig. Unbeholfen bot ich ihr noch was zum Trinken an und schaute Lorin dabei hilfesuchend an. In seinen besorgten Augen, war ein Funken Belustigung zu sehen, trotzdem nahm er unsere Tochter in den Arm. Augenblicklich wurde sie still. Nach einem kurzen Moment der Überraschung, prusteten wir beide los, anscheinend hatte mein Mann auch auf andere so eine besondere Wirkung. Nicht einmal durch das Lachen von uns, brachte Carmen wieder zum Schreien, weshalb Lorin langsam aufstand und mit ihr herumging, während er sie leicht schüttelte und, so wie ich vorher, leise auf sie einredete. Ich seufzte tief, als ich dieses Bild sah, ich hatte bis zu dem Zeitpunkt nicht gewusst, dass ein einfaches Bild, oder die Vorstellung davon, so viele Gefühle in einem Menschen auslösen konnte. Die zwei Personen die ich am meisten in meinem ganzen Leben mochte, auf einem Fleck. Zusammen.
Teil 15 Carmen wurde größer und immer hübscher. Ihre braunen, langen, gewellten Haare und himmelblauen Augen hatte sie von mir geerbt. Ihr Lächeln, dem keiner lange standhalten konnte, von Lorin. Ganz am Anfang hatten wir mit dem Gedanken noch ein Kind zu bekommen, der sich jedoch sehr bald verflüchtigt hatte. Wir hätten nicht gedacht, dass ein Kind so anstrengend ist, und so viel Zeit beansprucht. Sicher, wir hatten damit gerechnet, dass es anstrengend werden würde, aber damit, dass es so schlimm werden würde hatten wir nicht gerechnet. Jedoch zahlten sich all diese Bemühungen aus wenn man das Ergebnis sah. Carmen war ein so liebes Kind, sie war freundlich, nett, höflich und fast nie zickig, auch als sie älter wurde war sie nicht so wie sie anderen Mädchen, sie schminkte sich nicht und lackierte sich nicht die Nägel, weil sie der Meinung war, dass dies nur Haut schaden würden. Natürlich war das auch unsere Meinung und so waren wir Begeistert von der Klugheit unseres Kindes. In der Schule war Carmen genauso gut wie mein Mann, der in jedem Fach gute Noten hatte, sogar noch bessere als ich, und das war schon wirklich schwer. Unser Kind war schon in der Volksschule eine der Klassen besten, dass änderte auch nicht, als sie ins Gymnasium kam. Sie schloss Schule mit wirklich guten Noten ab und studierte begeistert Medizin, die ja nicht gerade einfach war, man brauchte jede Menge lateinische Fachausdrücke, die zu lernen sehr viel Zeit beanspruchte, doch Carmen hatte Spaß daran und das war die Hauptsache. Gegen Ende ihres Studiums traf sie Levin. Sie waren sofort ein Herz und eine Seele und beschlossen über stürzt noch im nächsten Monat zu heiraten. Wir hatten ein wenig Sorgen, dass diese Beziehung nicht lange halten würde, doch sie waren unbegründet gewesen. Sofort nach ihrer Hochzeit, zogen sie in ihr neu gebautes Haus ein. Carmen wollte unbedingt einmal vier Kinder haben und auch Levin war nicht abgeneigt, also hofften wir darauf, bald Enkelkinder zu bekommen, doch es funktionierte nicht. Meine Tochter wurde einfach nicht schwanger, so sehr sich das junge Paar das auch wünschte. Jede Menge Tränen wurden wegen dieses Themas vergossen, doch als nach zehn Jahren Ehe immer noch kein Baby im Bauch von Carmen war, gaben wir die Hoffnung auf. Wir, das waren eigentlich alle: Carmen, Levin, Levins Eltern, Lorin, ich und unsere Eltern. Also praktisch alle, die sich dafür interessierten. Als die beiden Verliebten dann älter wurden, versuchten sie erst gar nicht mehr ein Kind zu bekommen, das Risiko war zu hoch, dass es nicht gesund sein würde, wenn es auf die Welt kam.
Teil 16 Mit einem Ruck wachte ich auf, ein Blick auf die Uhr, die an der Wand hing und ich vorher nicht bemerkt hatte, sagte mir, dass es Elf Uhr war. *Moment! ELF UHR??* Wie bei der Autofahrt war die Zeit rasend schnell vergangen, ich hatte mehr als Zwölf Stunden geschlafen und in der Zeit nur Drei kurze Erinnerungen geträumt. Langsam schüttelte ich den Kopf um die wirren Gedanken loszuwerden, sie kreuz und quer in meinem Kopf herumschwirrten. Ich setzte mich auf und wollte aufstehen, doch das erwies sich als Fehler. Ich zog scharf die Luft ein, weil ein stechender Schmerz durch meinen gesamten Körper zuckte und plötzlich fühlte ich mich schwach, sehr schwach. Ich sah schwarze und glitzernde Punkte vor meinen Augen, weshalb ich mich wieder niederlegte, aber nicht ohne nochmal diesen Schmerz zu spüren. ?Timon? Carmen? Tom?", rief ich mit zittriger Stimme. Mein Mädchen rannte sofort zu mir, gefolgt von ihren Kindern. ?Mama? Was ist los?", fragte sie beunruhigt. ?Ich glaube, dass ich nicht mehr nach Hause komme", hauchte ich. ?Nur noch ein paar Tage vielleicht..." Vollkommen geschockt sah sie mich an, ihre schönen Augen füllten sich langsam mit Tränen, während die Buben gar nichts verstanden. ?N..nein b...bitte verl...lass m...mich n...nicht", sie hatte zu wenig Kraft um mehr als das zu sagen. ?Sch, sch, nicht weinen" Sie setzte sich auf mein Bett und ich wischte ihr die Tränen ab, die inzwischen ungehindert in Sturzbächen ihre Wangen herunterliefen. ?Wen ich spüre, dass meine Zeit gekommen ist, sag ich euch schon Bescheid" Sie nickte, aber rührte sich trotzdem nicht vom Fleck. Meine Enkelkinder hatten es inzwischen auch begriffen und legten sich neben mich, nachdem sie mich einpaar Sekunden nur angeschaut hatten und Timon ein undefinierbares Geräusch von sich gegeben hatte. Plötzlich spürte ich wie eine Müdigkeit an mir zog, die stärker war als alles, was ich bis jetzt verspürt hatte, doch ich wusste tief in meinem Herzen, dass ich erst nach der Gedankenreise sterben würde. Ich wusste nicht wieso, ich wusste es einfach. Während meine Tochter ein zweites Klappbett aus einem Kasten holte und neben mir aufbaute, wurden meine Augenlieder schwer. ?Ich schlaf jetzt ein bisschen", brachte ich hervor. Ala ich die blassen Gesichter meiner Familie sah musste ich innerlich lächeln, es hatte sich ausgezahlt, dass ich gelebt hatte. ?Ich schlafe jetzt wirklich nur, ich verspreche es euch, ich verabschiede mich noch..." Gegen Ende des Satzes wurde ich immer leiser und am Ende wusste ich nicht, ob sie mich überhaupt verstanden hatten, doch ich war zu müde um diesen Satz zu wiederholen. Alle meine Gliedmaßen wurden schwerer und schwerer, meine Augen fielen zu und ich träumte die Geschichte weiter, meine Geschichte.
Teil 17 Viele Jahre nach der Heirat, Carmen musste um die 50 gewesen sein, wurde meine Mutter schwer krank und meinem Vater ging es auch nicht mehr so gut. Es war auch kein Wunder, schließlich war sie 87 und er 93. Um die letzten Wochen bei ihnen zu sein, fuhren Carmen und ich in das Altersheim, in dem die Beiden wohnten. Leise klopften wir an und öffneten die Tür zu ihrem Zimmer. Mein Vater sah mich zuerst verwirrt, dann wütend an. ?Gehen Sie a??, er wurde von einem Hustenanfall unterbrochen. ??aus meiner Wohnung heraus?, versuchte er zu schreien, doch er krächzte es eher. ?Aber Papa?wir sind es doch! Fida und Carmen.? Er kam ganz nah zu uns und schaute uns genau an. Plötzlich hellte sich sein Blick auf und er öffnete den Mund um etwas zu sagen, bevor er es sich anders überlegte und uns einfach mit der Hand ein Zeichen gab um uns zu folgen. Wir gingen von dem Vorraum, in dem wir gestanden hatten, in ein gemütliches Wohnzimmer. Von dort führte eine Tür nach rechts in ein Schlafzimmer. ?Oma!?, rief meine Tochter leise, als sie die schlafende Person sah, die quer im Bett lag. Meine Augen weiteten sich. War dies wirklich meine Mutter? Die Frau die mich großgezogen hatte? Ihre grauen kurzen Haare standen in alle Richtungen ab und ihre Haut, aus der die Adern hervortraten, hatte keine Ähnlichkeit, mit der, die sie früher gehabt hatte. Auf einmal flackerten ihre Augenlieder und se öffnete unter großer Anstrengung die Augen, um zu sehen, wer sie aufgeweckt hatte. Früher waren ihre Dunkelbraunen, fast schwarzen Augen lebendig gewesen, immer war ein Funkeln in ihnen zu erkennen gewesen, jetzt waren sie trüb, eigentlich leblos. Ein Schluchzen entkam mir. Das war nicht die starke Person, die die meine Mutter gewesen war, das war ? kein Mensch mehr. Sie sah so schwach aus, so, als ob sie schon unter den Toten wandeln würde. Ich holte zittrig tief Luft uns setzte mich an ihr Bett. Natürlich erkannte sie uns nicht mehr. ?Jo..han?n?nes??, hauchte sie voll Panik nach meinem Vater. ?Alles ist ok Liebes, das sind unser Kind und unser Enkelkind? ?W?wir haben keine K?Kinder? Es war sehr beunruhigend, meinen Eltern in diesem Zustand beim Sprechen zuzuhören, deswegen gingen wir in das Wohnzimmer und setzten und auf die Couch, auf der wir schlussendlich dann auch schliefen. Am nächsten Morgen wurden wir von einem heiseren Schrei geweckt. Sofort liefen wir ins Schlafzimmer und konnten uns schon danken was passiert war. Meine Mutter sah friedlich aus, viel friedlicher als gestern Abend. Trotzdem liefen mir die Tränen herunter, schließlich hatte ich sie die fast die Hälfte meines Lebens jeden Tag gesehen und sie hatte mich geboren. Noch beunruhigender war allerdings, dass mein Vater genauso reglos neben ihr lag. Hatte er nicht gerade noch geschrien? Ich stand in einer Schockstarre da, doch Carmen reagierte sofort und drückte einen Knopf der in dem Zimmer war. Nach nicht mal einer Minute, war schon eine Ärztin im Zimmer und fragte was los sei. Nachdem wir ihr alles so schnell wie möglich erzählt hatten, rief sie sofort den Krankenwagen, erst dann betrat sie das Zimmer in dem meine Eltern lagen und untersuchte beide. ?Bei Frau Fons, war es wahrscheinlich, dass sie die Nacht nicht überleben würde, Herr Fons hat, so wie es aussieht einen Herzinfarkt erlitten?, erklärte sie uns sanft, aber ich erkannte, dass auch sie geschockt war. Wir saßen mit tränenüberströmtem Gesicht auf der Couch und warteten auf die Rettung, die nach ein paar Minuten eintraf. Sie nahmen meine Eltern mit und zwei Ärzte blieben da um uns zu beruhigen. Zu Mittag, als wir gerade in der Cafeteria waren und eine Kleinigkeit aßen, viel hätten wir eh nicht herunterbekommen, erreichte uns dann die Nachricht, dass mein Vater auch gestorben war. Da es eigentlich schon ziemlich sicher gewesen war, befreite nur eine einzelne, einsame, verlorene Träne aus meinem Auge und rollte die Wange herunter, wenigstens sind sie zusammen gestorben. Geschockt von den Ereignissen des Tages, sollten wir ins Krankenhaus fahren und dort eine Nacht bleiben, damit wir sofort betreut werden konnten, falls es uns wieder schlechter ging. Da dies nicht der Fall war, fuhren Carmen und ich jeweils zu unseren eigenen Häusern, die etwa eine Viertelstunde auseinander lagen. Nach der einstündigen Fahrt, schloss mich Lorin gleich in die Arme, er wusste auch schon von der traurigen Nachricht. Eine Woche nach dem Tod meiner Eltern war ihre Beerdigung. Dort kamen alte Erinnerungen wieder hoch und ein paar Tränen wurden vergossen, doch ich hatte mich mit dem Gedanken abgefunden, dass sie nicht mehr unter uns weilten. Dort wo sie jetzt waren, falls sie überhaupt irgendwo waren, würde es ihnen sicher besser gehen, als in den letzten Tagen auf unserer Erde.
Teil 18 Ein paar Jahre später, als Carmen 53 Jahre alt war, bekam ich völlig überraschend einen Anruf von meiner Tochter. Sie war schwanger! Zuerst war ich wirklich geschockt, denn mit 53 war das Risiko schon wirklich sehr groß, dass das Kind nicht gesund werden würde und Carmen klang am Handy so, als ob sie den ganzen Tag geweint hatte. ?Wieso habt ihr?? Wenn ihr das doch nicht wolltet wie konnte???, stammelte ich vor mich hin und brachte keinen gescheiten Satz zusammen. ?Wir w?wollten das nicht, es ... wir waren unvorsichtig.?, schluchzte sie und klang dabei zu verzweifelt, dass ich mich am Liebsten zu ihr Teleportiert, und sie in den Arm genommen hätte. ?Behaltet ihr es??, es war eigentlich keine Fragen, denn ich kannte meine Tochter gut genug, um die Antwort zu wissen. ?Natürlich!!?, ihre Stimme klang verwirrt, weil ich diese Frage überhaupt gestellt hatte. Sofort fing ich an Fragen zu stellen: ?Wie lang bist du schon schwanger? Wann kommt es? Wart ihr schon beim Arzt? Wird es ein Junge oder ein Mädchen?? Ich wusste, dass sie lächelte, aber es ist doch normal, dass man aufgeregt ist, wenn man das erste Enkelkind bekommt. ?Seit einem Monat, wissen wir noch nicht, nein wir haben morgen einen Termin und wissen wir noch nicht?, antwortete sie auf meine Fragen, dass sie sich überhaupt alle Fragen gemerkt hatte, fand ich schon beeindruckend. Ich, mit meinem alten Gehirn, hätte das niemals geschafft. ?Herzlichen Glückwunsch?, flötete ich schlagartig gut gelaunt und holte sofort meinen Mann ans Telefon, der ähnlich reagierte wie ich. Nachdem er aufgelegt hatte, umarmten wir uns und ich hatte Tränen in den Augen. Ich hatte die Hoffnung schon vollständig aufgegeben, hatte gedacht, dass wir sterben würden, ohne dass unsere Familie weitergeführt werden würde. Lachend und weinend zugleich, suchte ich sofort im Internet nach passenden Geschenken, denn acht Monate waren schnell vorbei. Während ich Anziehsachen suchte, fiel mir ein, dass ich ja noch nicht wusste, ob es ein Mädchen oder ein Junge sein würde, also beschloss ich zu warten, bis das Geschlecht des Kindes feststand. Vor Aufregung kribbelte es in meinem Bauch, ich freute mich wahnsinnig. Bis ich daran dachte, dass das Kind auch krank sein konnte. Es war sogar sehr wahrscheinlich. Ich seufzte, jetzt hatte ich mir selber die gute Laune verdorben. Ärgerlich über mich selbst, ging aus unserem Schlafzimmer um Lorin zu suchen. Wie ich erwartet hatte, saß er im Wohnzimmer auf dem Sofa und las Zeitung, doch als ich den Raum betrat, schaute er auf und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Ich konnte diesem Funkeln in seinen wunderschönen Augen nicht wiederstehen, also setzte ich mich neben ihn und küsste ihn lange. Die Zeit bis zu dem Termin, an dem festgestellt werden sollte, ob unser Enkel männlich oder weiblich war, verging wie im Flug. Als der Tag gekommen war, saß ich die ganze Zeit auf meinem Schaukelstuhl und starrte das Ding in meiner Hand an, das jedoch keinen Ton von sich gab. Genervt legte ich es auf das Fensterbrett und ging dann auf die Toilette um mich zu erleichtern. Als ich zurückkam hatte ich, natürlich, einen Anruf in Abwesenheit. Ich hatte nicht mal gehört, dass es geklingelt hatte. Sofort nahm ich das Handy in die Hand und rief Carmen zurück. Nach zweimal Läuten hob sie ab, doch ich hörte nur ihr atmen. Ich wusste, dass sie mich auf die Folter spannen wollte. ?Und??, half ich ihr auf die Sprünge. Anscheinend hielt sie es nicht länger aus die Neuigkeit für sich zu behalten denn auf einmal platze ein ganzer Wortschwall aus ihr heraus. ?E?es werden Zwillingsbuben und sie sind beide g?gesund!? Sie regte sich so sehr auf, dass sie sogar zu Stottern anfing. Erleichtert stieß ich die Luft aus, die ich die ganze Zeit, ohne es zu merken, angehalten hatte. ?Lorin??, rief ich meinen Mann und erzählte ihm von unserem Glück. Ich wollte quietschen und im Zimmer herumspringen, wie ein kleines Mädchen, weil ich so erleichtert war, doch da ich Erwachsen war, war das wohl nicht angebracht. Stattessen fing ich an zu weinen, ich musste einmal alle Gefühle herauslassen die sich in den letzten zwei Monaten angestaut hatten. ?Mama? Alles ok??, hörte ich sie besorgte Stimme meiner Tochter und erst da fiel mit wieder ein, dass ich ja noch das Handy in der Hand hielt. ?Alles ok Schatz?, ich weinte trotzdem hemmungslos weiter. ?Es sind nur Freudentränen? ?Na dann?, lachte sie und legte auf. Ich glaube, ich war in meinem ganzen Leben noch nie so erleichtert wie zu diesem Zeitpunkt. Ein halbes Jahr später, wartete ich mit Lorin und Levins Mutter im Krankenhaus vor der Türe, die mich von Carmen und meinen Enkeln trennten. Der Mann meiner Tochter, hatte mit reinkommen dürfen, um sie abzulenken, trotzdem hörte man ihre Schreie gedämpft durch die gut isolierte Tür durch. Hoffentlich würde alles gut gehen! Zwei Stunden, nachdem wir gekommen hatten, durfte ich endlich zu meiner Tochter. Ich trat durch die Tür und blieb ruckartig stehen. Mir kamen wieder Tränen in die Augen als ich Carmen so glücklich sah. In jedem Arm von ihr lag eine kleine Gestalt. So klein und zerbrechlich, wie jeder von uns einmal angefangen hatte zu leben.
Teil 19 Nach und nach nahm ich meine Umgebung wieder war und horchte, ob ich herausfinden konnte wer noch im Raum war. Ich wusste, dass Carmen auf dem Klappbett neben mir lag, da ich sie atmen hörten, vermutlich schlief sie, denn die Atemzüge waren sehr ruhig und tief. Ich machte meine Augen einen Spalt breit auf, um sie gleich wieder zuzumachen. Ich wollte mir die Kraft für das Verabschieden sparen, denn ich wusste, dass ich noch nicht an dem Ziel meiner Reise angekommen war. Leise atmete ich weiter, um Carmen nicht zu wecken und versuchte wieder einzuschlafen, aber es ging nicht. Wieso ging es immer, nur nicht wenn man es wollte? Ich öffnete meine Augen ganz, denn ich hatte Durst. Als ich das Wasserglas auf dem Nachtkasterl neben mir sah, musste ich leicht grinsen. Wie ich meine Familie nur liebte. Meine Hand, sie vor Anstrengung zitterte, sobald ich sie hob, griff nach dem halbvoll gefüllten Glas und ich hob den Kopf leicht hoch. Als ich ausgetrunken hatte, stellte ich das leere Gefäß wieder zurück und legte mich schwer atmend wieder hin. Nur von diesen kleinen Bewegungen schlug mein Herz so schnell, als ob ich gerade einen Marathon gelaufen hätte. Mein Atem ging genauso schnell, und ich ließ ihn einfach. Carmen schlief sowieso zu tief um davon aufzuwachen. Ich drehte meinen Kopf auf die andere Seite und stieß zu meiner Verwunderung gegen einen Arm. Meine Wut darüber, dass ich meine Augen schon wieder öffnen musste, legte sich als ich meinen friedlich schlafenden Enkel sah. Wieso hatte ich seine Atemzüge denn vorher nicht gehört? Timons Augen zuckten hin und her, also träumte er. Hoffentlich keinen Albtraum. Nachdem ich ihm eine Weile beim Schlafen zugesehen hatte, schloss ich wieder die Augen. Erst zu dem Zeitpunkt fiel mir auf, dass Tom nicht in diesem Zimmer war. Als ich meine Augen besorgt wieder aufmachen wollte, hörte ich leise Stimmern aus dem Wohnzimmer. Wieso hatte ich mir denn bitte Sorgen gemacht? Es mussten doch nicht alle immer bei mir im Zimmer sein. Verwirrt über meine eigenen Gedanken, starrte ich mit geschlossenen Augen an die Decke und dachte nach. Ich hatte die beste Familie, die man sich nur wünschen konnte. Früher war mir das nie aufgefallen, dass ich es im Leben so weit gebracht hatte. Immer hatte ich gedacht, dass Mai wegen mir gestorben war, ich dachte ich wäre jetzt so etwas wie eine Mörderin, doch Lorin hatte mich auf den richtigen Weg zurückgeführt. Irgendwann in meinem Leben, als ich noch ein Kind war, war ich falsch abgebogen, auf dem Weg zum Ziel, doch mein Mann hatte meine Hand genommen und mich von dem dunklen Pfad, auf einen wunderschönen Strandweg geführt. Seit wir verlobt gewesen waren, war ich bis auf wenige Ausnahmen immer glücklich gewesen, doch ich hatte es nicht wirklich realisiert. Wieso viel mir erst jetzt, einen Tag vor meinem Tod auf, dass ich das Ziel schon längst erreicht hatte? Dass ich den Sinn des Lebens schon längst gespürt hatte? Während ich darüber nachdachte, dämmerte ich, ohne es zu merken, langsam ein. Die letzten Wörter, die in meinem Kopf nachhallten waren: Das Ziel ist, glücklich zu sein.
Teil 20 Ich saß im Krankenhaus auf einem Bett und beobachtete die Person, die dort drin lag, während mir langsam Tränen über die Wangen liefen. Das war vor etwa drei Jahren gewesen. Die Maschinen die an die Person angeschlossen waren, piepsten leise vor sich hin. Plötzlich kam meine Tochter mit ihren zwei achtjährigen Buben ins Zimmer. Ihre Augen waren schon ganz rot, vermutlich hatte sie die ganze Zeit bei der herfahrt geweint. Hinter Carmen, stand Levin und legte ihr eine Hand auf ihre Schulter. ?Opa!?, kam es von den Zwillingen fast gleichzeitig, und sie liefen zu ihm ans Bett. Lorin hatte die Augen geöffnet und sah die Beiden liebevoll an, bevor sein Blick wieder zu mir wanderte. ?Verlass mich nicht so früh!?, schluchzte ich leise. ?Sieh mich an! Jeder Mensch muss einmal sterben und nun bin ich an der Reihe. Der Tod ist etwas Natürliches, das Leben jedes Menschen endet mit ihm. Früher oder später. Das Leben geht weiter, auch wenn ich nicht mehr da bin und jetzt hör auf zu weinen und sei glücklich! Freu dich, dass wir gemeinsam ein so schönes Leben hatten, und sei nicht traurig, weil es jetzt vorbei ist! Ich werde immer auf dich warten, egal wo, egal wie lange.? Diese lange Rede war eine Qual für ihn, aber ich wusste, dass es ihm schon eine ganze Weile auf dem Herzen lag, das zu sagen und ich wusste, dass er Recht hatte. Trotzdem konnte ich mir kein Leben ohne ihn vorstellen. Carmen trat vor und verabschiedete sich auch von ihm, aber ich hörte nicht zu. Mein Verstand versuchte, mein Herz zu überzeugen, dass er immer bei mir sein würde, auch wenn ich ihn nicht sehen konnte. Ich wischte mir die letzten Tränen aus den Augen und lächelte ihn an. Ich beugte mich zu ihm herunter und küsste ihn lange, während er zurücklächelte. ?Du hast recht?, flüsterte ich leise in sein Ohr, so dass nur er es hörte. ?Ich weiß? Nachdem die zwei Kleinsten aus unserer Familie sich lange an ihn gedrückt hatten und er ihnen die Tränen aus den Augen wischte, während er etwas zu ihnen sagte, was sie anscheinend beruhigte, kam ein Arzt ins Zimmer. Carmen schluchzte auf und drückte sich an ihren Mann. Timon hielt ihre Hand und Tom die seines Vaters. Der Arzt sah uns mit fragendem Blick an und wir nickten. Lorin sah mich noch einmal mit seinen wunderschönen Augen an und flüsterte: ?Vergiss nicht, ich werde auf dich warten? Nachdem ich genickt hatte, ?Vergiss nicht, ich werde auf dich warten" Nachdem ich genickt hatte, verließen wir das Zimmer. Eine lange Operation stand ihm bevor und es war sehr unwahrscheinlich, dass er sie überleben würde, aber wenn man sie nicht durchführte, würde er innerhalb einer Woche sterben. Die fünf Stunden waren eine Folter für mich und als der Arzt wieder herauskam, sah er sehr traurig aus. ?Sein Herz hat einfach aufgehört zu schlagen?. Ich musste tief durchatmen um mich zu beherrschen, doch dann dachte ich wieder an seine letzten Worte und musste leicht lächeln. Jetzt war er sicher schon bei Mai. Und Millie.
Teil 21 Zwei Wochen nach seinem Tod hole ich mir einen Hund aus dem Tierheim, einen alten Labrador. Ich Fand es ungerecht, dass alte Tiere niemand haben wollte und ihnen ein schönes Ende ermöglichen wollte. Sicher, Welpen waren viel süßer, aber alte Hunde konnten ja nichts dafür dass sie alt waren. Vielleicht sind sie ihr ganzes Leben schlecht behandelt worden und nur weil irgendein Idiot sie abgegeben hatte, mussten sie einsam und alleine sterben. Deshalb holte ich Maestro zu mir. Außerdem würde ein Welpe sicher länger leben als ich, und das wollte ich dem armen Hund nicht antun. Ich wurde mit der Zeit wieder glücklicher und bekam beine Lebensfreude zurück, die langen Spaziergänge mit Maestro taten mir wirklich gut, weil ich viel an die frische Luft kam. Sonst würde ich immer nur in meinem Haus sitzen und nichts tun. Freundinnen hatte ich ja keine, also bekam ich wenn dann von meiner Tochter und ihrer Familie besuch. Tom wollte meinen alten tapferen Hund immer an der Leine halten, nur ging das Kind immer so schnell, dass Maestro zuhause immer fix und fertig war. Am Abend saß ich immer auf dem Balkon und lauschte der Natur. Ich hörte den Vögeln zu wie sie ihre Lieder sangen, den Grillen wie sie ein Konzert veranstalteten und den Hühnern vom Nachbarn wie sie Gackerten. Hin und wieder krähte auch der Hahn und unterbrach für einen Augenblick die Stille. Ich liebte die Nacht. Da ich schon so alt war, aber trotzdem bis spät in die Nacht draußen saß, weil die kühle Abendluft einfach unglaublich war, wachte ich meistens erst um die Mittagszeit herum auf. Aber das machte ja nichts, ich war sowieso allein. Die Tage wurden zu Wochen und die Wochen zu Monaten. Täglich ging ich mit Maestro spazieren, der immer älter wurde und ich deshalb immer kleinere Runden ging und einmal in der Woche kam meistens meine Familie vorbei. Sonst saß ich meistens nur da. In der Stille. Früher hätte ich das furchtbar langweilig gefunden, aber jetzt genoss ich es einfach nichts zu tun zu haben. Nach mehr als zweieinhalb Jahren saß ich wie jeden Abend auf dem Balkon in meinem Schaukelstuhl. Es war gerade mitten im Sommer und die heiße Luft kühlte erst langsam ab. Aber irgendetwas stimme nicht. Ich saß lange da und lauschte der Natur bis es mir auffiel. Es war still. Zu still. Maestros schnaufen, das mich das letzte Jahr immer begleitet hatte fehlte. Ich lächelte traurig und stand mit Anstrengung auf. Er lag neben dem Küchentisch, so als würde er schlafen. Ich fuhr mit meiner alten Hand noch ein letztes Mal durch sein Fell, das schon langsam kalt wurde, ein letztes Mal noch nahm ich seinen Geruch auf. Danach rief ich Carmen an. Wir begruben Maestro direkt neben Millie. Und ich wusste, dass er auch auf mich warten würde.
Teil 22 Mit einem Ruck wachte ich auf und wusste, dass die Reise zu Ende war. Der nächste, und letzte wichtige Schritt in meinem Leben war heute. Carmen kam gerade aus der Küche und rannte auf mich zu, als sie sah, dass ich die Augen offen hatte. ?Meine Geschichte ist aus?, flüsterte ich zu ihr. Zuerst sah sie mich verwirrt an, woher sollte sie denn auch wissen was ich geträumt hatte, aber dass, was ich ihr eigentlich hatte sagen wollten, verstand sie. ?Geh nicht, ich brauche dich noch??, hauchte sie. ?Meine Zeit ist gekommen.? Jedes einzelne Atom von meinem Körper sehnte sich danach, endlich nicht mehr gebraucht zu werden, diese große Müdigkeit zerrte wieder an mir, Mai, Millie, meine Eltern, Lorin, Maestro, alle wollten mich bei sich haben, doch ich konnte nicht gehen, nicht ohne mich zu verabschieden. ?Holst du die Anderen?? Sofort sprang sie auf und suchte ihre, meine Familie zusammen. Alles was noch übrig geblieben war von ihr. Timon lief sofort weinend in mein Zimmer und legte seine Arme um mich. ?Timon?? Er schaute mich mit großen Augen an und nickte. ?Ich werde jetzt in ein anderes Land ziehen, von dem aus ich euch aber immer beobachten kann und beschützen werde ok? Seid nicht traurig, ihr habt noch so viel vor euch?, noch ein ganz langes Leben. Versprecht mir nur eins?? Er kam ganz nahe zu mir und auch Tom, der mitgehört hatte trat jetzt näher. ?Werdet glücklich!? Langsam nickten meine beiden Enkel. ?Ja, Oma?, hauchte Timon. ?Ich verspreche es dir?. Zufrieden verabschiedete ich mich mit einer langen Umarmung und einem Kuss auf die Wange von ihnen. Sie weinten nun nicht mehr, sondern sahen eher nachdenklich aus. Als nächstes kam Levin, der erst gerade ins Zimmer gestolpert war zu mir. ?Du bist ein Guter Schwiegersohn. Pass bitte auf mein Mädchen auf. Ich danke dir? Er sah mich mit seinen schokoladenbraunen Augen an und nickte. ?Ja Fida.? Erleichtert schaute ich zu Carmen, die die letzte war. Sie beugte sich zu mir herunter und ich wischte ihr die Tränen aus den Augen. ?Vergiss nicht, was dein Vater gesagt hat, als er gestorben ist?, erinnerte ich sie. ?Er war ein sehr weiser Mann!? Meine Tochter schluckte und nickte ?Ja Mama, ich werde dich vermissen? ?Ich werde euch alle vermissen mein Schatz und ich werde auf euch warten, wie lange das auch dauern mag.? Alle nickten bedrückt. Bevor ich dem unnachgiebigen ziehen, dass mich schon den ganzen Tag lang quälte, nachgab sagte ich noch einmal die Worte, die ich Timon und Tom gesagt hatte. ?Werdet glückli
Thema von Schreiberlicht im Forum Literatur und Schreiben
Hallo Tagebuch! Zum allerletzten Mal. Unsere Zeit war schön, findest du nicht? Naja das waren aber auch die einzigen schönen Momente in meinem Leben und die mit Majka. Nur wir drei. Allein. Die anderen in der Schule beachten mich gar nicht. Wahrscheinlich merken sie nicht mal das ich so Fett bin. Diese Leute in den Foren versuchen mir einzureden das es nicht stimmt das ich hässlich und Fett bin. Sie sagen ich bin hübsch und viel zu dünn, manchmal schreibt auch jemand, dass ich mager bin. Verrückt oder? Ah ich hab noch ein paar Augenblicke vergessen, die auch ganz ok waren. Weist du noch? Ein Messer. Das Blut rannte in kleinen Tröpfchen von meinem Handgelenk runter. Das war auch ein gutes Gefühl. Aber sonst...meine Eltern haben mich zum essen gezwungen, meine "Freundinnen" ebenfalls. Also zumindest haben sie es versucht, oft habe ich es geschafft sie auszutricksen. Und an feste Freunde war überhaupt nicht zu denken. Ich frage mich warum meine Eltern mich noch nicht abgegeben haben. Sie wollten sicher ein hübsches, schlankes, braves Mädchen und nicht so was wie...mich. Mein Leben war eh schon kurz vor dem zerbrechen...nur noch von Majka zusammengehalten. Immer wenn ich aufgeben wollte kam die angetappst, hat mich mit der süßen Nase angestuppst. Ihre Augen haben mich angefunkelt und ich hab nie anders können als mit meiner Hand durch ihr weiches, beiges Fell zu fahren. Sie hat sich immer an mich gekuschelt, den Kopf auf meinen Schoß gelegt und dadurch hab ich immer neue Hoffnung bekommen. Aber seit einer Woche....Sie war zu alt um den Tumor zu überstehen hat der Tierarzt gesagt. Jetzt liegt sie in unserem Garten unter dem Apfelbaum auf dem ich früher immer gelegen habe. Als ich jünger war. Als alles noch gut war. Als Majka noch da war und neben mir gelegen ist während ich in dir geschrieben habe. Jetzt regnet es in Strömen. So wie meine Tränen in Strömen fließen. Mein Leben ist nun zerbrochen. Ohne sie hat es keinen Sinn mehr. Ich mag keinen neuen Hund. Ich mag sie nicht ersetzten. Ihr war ich gut genug. Allen anderen bin ich es nicht. Sie hat mir nie wiedersprochen. Du zwar auch nicht, aber du kannst es auch gar nicht. Gestern hab ich was aus der Apotheke geklaut. Irgend ein Gift. Ich koste es mal. Es ist nicht besonders gut aber ich fühle mich gut. So gut wie noch nie ohne Majka. Denn jetzt ist es...endlich aus.